Das gesamte Stiftungsvermögen in einen Aktientitel zu stecken, klingt aberwitzig. Die Oberfrankenstiftung ist damit fast 80 Jahre lang sehr gut gefahren. Die Stiftung, die Kunst und Kultur, Soziales, Denkmalpflege, Wissenschaft und Forschung in Oberfranken fördert, wurde 1927 mit einem Stiftungsvermögen von sechs Millionen Reichsmark errichtet. Die Stifter brachten damals Aktien eines Energieversorgungsunternehmens in die Stiftung ein, in dem sie als Aufsichtsräte tätig waren.
Das Stiftungsvermögen ist heute auf stolze 700 Millionen Euro angewachsen. Aktuell ist es noch zu etwa 60 Prozent in Aktien angelegt. 15 Prozent entfallen auf Immobilien und festverzinsliche Papiere, mit den übrigen zehn Prozent Kapital hat die Stiftung in Infrastrukturprojekte investiert.
Dass die ursprüngliche Investmentstrategie – ein einziger Aktientitel – aufgebrochen wurde, geht auf die Entscheidung des Stiftungsratsvorsitzenden im Jahr 2003 zurück. Dieser habe sich an den heutigen Geschäftsführer Stefan Seewald gewandt – damals bei einer Sparkasse beschäftigt –, weil er wegen der einseitigen Portfolioaufstellung nicht mehr ruhig schlafen könne. Damals standen viele Anleger unter dem Eindruck der Dotcom-Blase; das Vermögen der Oberfrankenstiftung habe „ordentlich geschwankt“, erinnert sich Seewald. Das Portfolio bestand zu diesem Zeitpunkt noch zu 90 Prozent aus einem Aktientitel, zu zehn Prozent aus Tagesgeldanlagen – Dividenden der Vorjahre, die man nicht ausgegeben hatte.
Um eine Grundlage dafür zu schaffen, ihr Vermögen umzuschichten, gab die Stiftung Seewald und einem seiner Kollegen den Auftrag, Anlagerichtlinien zu formulieren. Dass sich diese fix und unkompliziert aufstellen lassen, stellte sich bald als Trugschluss heraus, sagt Seewald: „Beim Start haben wir gedacht, wir schreiben eine Din-A4-Seite mit zehn Paragrafen. Paragraf eins zur Allokation, 50 Prozent Aktien, 30 Prozent Renten oder so ähnlich. Das war dann aber zu kurz gegriffen.“
Ideen und Muster für Anlagerichtlinien suchte Seewald im Internet, beim Bundesverband und bei anderen institutionellen Anlegern. Darüber hinaus schlug Seewald in den Landesstiftungsgesetzen nach, berücksichtigte Vorgaben der Stiftungsaufsicht, zog die Abgabenordnung zu Rate. „Wir haben probiert, das Beste aus allen Welten zu vereinen“, sagt Seewald. Damals habe es nur wenige öffentlich verfügbare Beispiele gegeben. Heute kommen regelmäßig Stiftungen auf die Oberfrankenstiftung zu und fragen, ob sie deren Anlagerichtlinien einsehen und als Muster heranziehen dürfen.
Philosophisches Grundgerüst in den Anlagerichtlinien
Aus den Anlagerichtlinien, die Seewald mit seinem Kollegen aufstellen wollte, ist ein ganzes Anlagehandbuch geworden. Ihnen sei wichtig gewesen, sich in den Anlagerichtlinien an der Geschichte der Oberfrankenstiftung zu orientieren und „etwas aus deren Philosophie zu übernehmen“, betont Seewald. Michael Freudigmann, Stiftungsmanager bei der BW-Bank, hält dies für ein entscheidendes Kriterium von Anlagerichtlinien: „Es muss einen Bezug zur Satzung geben in der Präambel und in den Anlagezielen einer Anlagerichtlinie – die Identität einer Stiftung muss sich ein Stück weit in den Anlagerichtlinien widerspiegeln.“
Überlegungen zu Herkunft und Kern der Stiftung sowie dem Grundgerüst der Anlagephilosophie sind vor allem in das erste Kapitel des Anlagehandbuchs eingeflossen. Dort ist festgehalten, dass die Stiftung ursprünglich „ganz bewusst mit Aktienkapital“ errichtet wurde und sich lange nur auf einen Aktientitel konzentriert hat. Auch die Kapitalmarktstrategie – langer Atem, ruhige Hand, antizyklische Zukäufe – ist hier fixiert. Weitere Kapitel des Anlagehandbuchs beschreiben den gesetzlichen und steuerrechtlichen Rahmen, bestimmen, wie der Anlageausschuss sich zusammensetzt, und regeln den Umgang mit externen Beratern. Zudem beschreibt das Anlagehandbuch, wann Reports über die Kapitalanlage erstellt werden sollen. „Nur in der Mitte des Anlagehandbuchs sind Themen, wie man sie heute aus den Anlagerichtlinien kennt: die Allokation, ESG-Kriterien oder dass die Verwaltung des Vermögens ausgeschrieben wird“, sagt Seewald.
Im Anhang des Anlagehandbuchs finden sich Reporting- und Buchhaltungsmuster sowie Protokolle der Sitzungen des Anlageausschusses, der zweimal im Jahr tagt. „So lebt die Anlagerichtlinie von Sitzung zu Sitzung weiter.“
Erfahrungsaufbau über Jahre
In dem recht umfassend geratenen Anlagehandbuch ist die Strategie für die Kapitalanlage festgehalten, über die konkrete Kapitalanlage der Stiftung entscheidet hingegen der Anlageausschuss. Dieser setzt sich aus einem verkleinerten Kreis des zehnköpfigen Stiftungsrats zusammen: Der Vorsitzende sowie drei weitere Mitglieder aus dem Stiftungsrat sind in diesem vertreten. Harte Kriterien für die Aufnahme in den Anlageausschuss gebe es nicht, sagt Seewald, aber: „Wir versuchen, das Gremium relativ lange konstant zu halten, weil mit jeder Sitzung Erfahrung aufgebaut wird.“ Viele Stiftungsräte der Oberfrankenstiftung brächten glücklicherweise Finanzmarktexpertise aus anderen Funktionen mit, da sie etwa als Bezirksräte oder in Aufsichtsgremien von Sparkassen tätig seien.
Die Mitglieder des Anlageausschusses diskutieren Chancen und Risiken der Kapitalanlage im Marktumfeld und legen den Plan für das Jahr fest. Die Anlagerichtlinien sind hierbei ein limitierender Faktor: „Wenn wir in der Sitzung des Anlageanschusses etwas umsetzen wollen, was die Anlagerichtlinien nicht zulassen, geht der Auftrag an die Stiftungsverwaltung, die Richtlinien anzupassen“, sagt Seewald. „Außerdem haben wir einen Regelprozess, in dem wir die Anlagerichtlinie einmal im Jahr, meist im Dezember bis Januar, angucken und, wenn notwendig, anpassen.“
Auf jeden Fall habe eine regelmäßige Beschäftigung mit den Anlagerichtlinien einen wichtigen Effekt, ergänzt Freudigmann: „Wir erleben bei Stiftungen, dass sie die Anlagerichtlinien in ihren Vorstandssitzungen auf die Tagesordnung setzen, um auch sauber für spätere Generationen zu dokumentieren, auf welcher Grundlage sie ihre Anlagerichtlinien getroffen haben.“