Eine Bürgerstiftung baut kontinuierlich Stiftungskapital auf, lautet das fünfte der vom Bundesverband formulierten zehn Merkmale. Gemessen daran hat die Bürgerstiftung Hamburg ihre Hausaufgaben gemacht: Sie ist mit einem Stiftungskapital von insgesamt 70 Millionen Euro die kapitalstärkste Organisation ihrer Art in Deutschland. Wie stark das Vermögen in den letzten Jahren gewachsen ist, zeigt ein Blick in den Jahresbericht 2018: Dieser wies noch ein Stiftungskapital von 35 Millionen Euro sowie neun Millionen Euro treuhänderisch verwalteter Gelder aus.
Das Stiftungsvermögen ist seitdem weiter gewachsen – vor allem in Form von Immobilienbesitz, der nunmehr die Hälfte des Stiftungsvermögens ausmacht. Trotz des hohen Stiftungskapitals sind Spenden weiterhin eine wichtige Stütze der Projektarbeit: Rund ein Viertel der Einnahmen stammt aus Kapitalerträgen, drei Viertel sind finanzielle Zuwendungen. Und auch diese haben sich in den vergangenen gut vier Jahren auf fast zwei Millionen Euro verdoppelt.
„Ein großer Schritt“
Eine Stiftung, die in dieser Größenordnung wächst, braucht mehr und vor allem auch hauptamtliches Personal. Aktuell arbeitet die Bürgerstiftung Hamburg mit 24 hauptamtlichen Mitarbeitern, ehrenamtlich unterstützen 350 Personen die Stiftung.

Rüdiger Ratsch-Heitmann ist der erste hauptamtliche Geschäftsführer der Stiftung. Foto: Kirsten Haarmann
„Für Bürgerstiftungen ist es ein großer Schritt, über das reine Ehrenamt hinauszuwachsen“, findet Rüdiger Ratsch-Heitmann, der Geschäftsführer der Stiftung. Die Bürgerstiftung konnte sich lange Zeit allein auf die Arbeit ehrenamtlicher Helfer stützen: „Sogar der Zahlungsverkehr der Stiftung lag noch in ehrenamtlichen Händen“, sagt Ratsch-Heitmann, der seit 2017 im Amt und der erste hauptamtliche Geschäftsführer der Hamburger Bürgerstiftung ist. „Bis vor zweieinhalb Jahren hatte die Stiftung Vorstände, die ihr Ehrenamt mit deutlich mehr als 40 Wochenstunden absolviert haben. Die konnten keine Nachfolger mehr finden – so ein Ehrenamt wollte sich niemand antun.“ Die Stiftung setzte dann einen Organisationsentwicklungsprozess auf, im Zuge dessen weitere Aufgaben auf Hauptamtliche übertragen wurden.
Eine solche Umstellung war für manche Mitstreiter sicherlich auch schmerzhaft: „Ich glaube, dass es eine besondere Hürde war, die Selbstwahrnehmung als Bürgerstiftung in rein ehrenamtlicher Hand aufzugeben und zu akzeptieren, dass sich die Organisation weiterentwickelt hat. Das war ein Lernprozess, der eine Zeit gedauert hat.“

Bürgerstiftungen leben von Engagement – je mehr Menschen sich einbringen, desto besser. Foto: Kirsten Haarmann
Rollierendes System bei der Bürgerstiftung Hamburg
Während viele Verwaltungsaufgaben inzwischen durch hauptamtliche Kräfte übernommen werden, ist die Gremienarbeit weiterhin ein Ehrenamt. Dazu zählen etwa der Vorstand und die Beiräte, wie der Immobilien- und der Anlagebeirat. Für die ehrenamtlichen Stellen hat die Stiftung ein rollierendes System eingeführt: Die Posten werden für drei Jahre vergeben, Amtsinhaber können sich maximal dreimal zur Wahl stellen.

Keine Tomaten auf den Augen: Kinder lernen Obst und Gemüse kennen. Foto: Lili Nahapetian
Das heißt natürlich auch, dass die Stiftung sich nach spätestens neun Jahren von liebgewonnenen und gut eingearbeiteten Unterstützern trennen muss, zumindest in der Gremienarbeit. Ratsch-Heitmann sieht hierin aber auch ein positives Moment: „So traurig es in den einzelnen Fällen ist, sich von Weggefährten verabschieden zu müssen, gerade wenn sie die Organisation mitgeprägt haben: Das Heilsame ist, dass es zur Erneuerung zwingt und Offenheit ermöglicht.“
Trotz des rollierenden Systems sieht Ratsch-Heitmann noch einige dringliche Personalthemen, etwa im Hinblick auf Diversität und Alter. Den Grund für einen tendenziellen hohen Altersdurchschnitt in Bürgerstiftungen sieht er auch in der deren Entstehungsgeschichte in Deutschland: „Darin, dass viele Bürgerstiftungen vor etwa zehn bis 20 Jahren gegründet wurden und die Gründergeneration im Ü-70-Bereich angelangt ist, liegt eine Herausforderung.“
Bürgerstiftungen hätten auf diesem Weg ihre Stärke generiert, auch da sie in der Lage waren, Unterstützer und Kapital zu mobilisieren. Grundsätzlich sei aber jede Bürgerstiftung gut beraten, möglichst diverse Vertretungen der Bevölkerungsanteile in ihren Gremien zu haben. So steht in den zehn Merkmalen einer Bürgerstiftung auch: „Die interne Arbeit einer Bürgerstiftung ist durch Partizipation und Transparenz geprägt“ und „Eine Bürgerstiftung macht ihre Projekte öffentlich […], um allen Bürgern ihrer Region die Möglichkeit zu geben, sich an den Projekten zu beteiligen.“
„Yoldas“ heißt „Weggefährte“

Bei dem Mentoring-Programm Yoldas¸ verbringen Mentor und Mentee Freizeit zusammen – inklusive Fahrt auf dem stiftungseigenen Tandem. Foto: Kirsten Haarmann.
Um eine möglichst breite Beteiligung zu ermöglich, will die Bürgerstiftung Hamburg partizipative Strukturen schaffen und stärken. So sollen etwa Kinder und Jugendliche, die in den meisten Projekten Begünstigte sind, selbst mitgestalten können. Für Ratsch-Heitmann ist es ein Ziel, „dass Bürgerstiftungen auch von jungen Menschen als ein Ort für ihr Engagement wahrgenommen werden“. Ein erster Schritt in diese Richtung ist ein Kinderbeirat, der eigenständig Fördermittel vergibt. Neu geschaffen ist ein Jugendumweltrat als Stiftungsgremium: In diesem können junge Menschen bis 25 Jahre über die Förderung von Hamburger Klima- und Umweltschutzprojekten entscheiden, die ebenfalls von jungen Menschen initiiert sind.
Wie die meisten Bürgerstiftungen ist die Bürgerstiftung Hamburg fördernd und operativ tätig: Eines der fünf operativen Projekte ist ein Vorleseprojekt mit 170 ehrenamtlichen Engagierten. „Das ist ein ganz tolles Projekt, weil es in verschiedene Richtungen wirkt“, findet Ratsch-Heitmann. „Das hat etwas mit Bildung, Kultur und Spracherwerb, aber auch mit dem Zusammenspiel von Jung und Alt zu tun, weil es in der Regel ältere Menschen sind, die das Engagement wahrnehmen. Dort entsteht generationenübergreifende Wertschätzung.“
Ein anderes Projekt trägt die Stiftung seit über zehn Jahren: Das Mentoren-Projekt „Yoldas“, türkisch für „Weggefährte“, bei dem Kinder mit türkischem Migrationshintergrund einen Mentor zur Seite gestellt bekommen, mit dem sie ins Museum, in den Zoo oder zum Schwimmen gehen. Durch die gemeinsamen Freizeitaktivitäten können die Kinder außerhalb der Familie einen erwachsenen Freund gewinnen. Dieser soll den Mentee auch auf seinem Bildungsweg unterstützen. „Das hat sich in vielen Fällen als wichtiges Begegnungs- und Integrationsmodell erwiesen“, sagt Ratsch-Heitmann.
Die Erfahrungen aus diesem Projekt kann die Bürgerstiftung in ihrem finanziell größten Projekt mit anderen Organisationen teilen. „Landungsbrücken“ heißt die Initiative, bei der über 20 Organisationen inhaltlich beraten und dabei gefördert werden, Patenschaftsbeziehungen einzugehen. Anfänglich ging es vor allem darum, Geflüchtete mit Mentoren in Kontakt zu bringen. Inzwischen richtet sich das Programm an einen breiteren Empfängerkreis: Menschen aus bildungsfernen Schichten.

Das Projekt mit dem Titel Landungsbrücken fördert Paten- und Mentoringprojekte finanziell und bietet ihnen eine Plattform für Austausch. Foto: Kirsten Haarmann
Ein völlig neuer Ansatz ist das Berichtsformat „Hamburg Impuls“, das die Bürgerstiftung von den Community Foundations in Kanada abgeschaut hat. „Es geht darum, den Zeitgeist zu erspüren, die Lebensqualität und auch die Herausforderungen in der Stadt, in der man lebt, festzustellen und in den Dialog zu bringen“, erklärt Ratsch-Heitmann das Konzept. Dafür stellt die Bürgerstiftung Zahlen und Daten, etwa von statistischen Ämtern oder aus Studien, zusammen. Es können auch eigene Untersuchungen gestartet werden. Die Ergebnisse werden illustriert in einem eigenständigen Bericht präsentiert.
Der aktuelle Bericht „Impuls 2019“ konzentriert sich auf drei Bereiche: Bildung, Integration und Umwelt. In ihm finden sich Aussagen wie „Jedes fünfte Kind in Hamburg lebt von Hartz IV“ oder die Ergebnisse einer Befragung unter Kindern, welche essbaren Früchte am Waldesrand wachsen: „24 Prozent der Kinder konnten keine Frucht korrekt nennen.“
Hamburg ist segregiert
Die Sozialstruktur der Stadt leicht verständlich präsentiert zu bekommen, sei in der Zusammenschau aufschlussreich und vermittle Kenntnisse, findet Ratsch-Heitmann: „Ich habe selbst noch mal gelernt, dass über die Hälfte aller Jugendlichen in Hamburg einen Migrationshintergrund hat.“ Insgesamt vermittle der Bericht ein differenziertes Bild der Stadt: „Hamburg ist sehr segregiert: Es gibt reiche und sehr arme Gebiete, was Einkommen, aber auch was Lern- und Karrierewege von Kindern und Jugendlichen angeht. Wie sich dies auf die Lern- und Berufswege von Kindern und Jugendlichen niederschlägt und was hier Projektarbeit bewirken kann: Das wollen wir sichtbar machen.“

Im „Tollhafen“ im Hamburger Stadtteil Veddel dreht sich alles um Bewegung für Kinder. Foto: Kerstin Schomburg
Das Gelernte könne dann als Wissen in die Projekte miteinfließen: „Es hilft uns darin, noch mal klarer zu werden, wo unsere Programme ansetzen und wo wir noch blinde Flecken haben“, sagt Ratsch-Heitmann. So könnte man etwa der fehlenden Kenntnis einiger Kinder in Sachen Natur und Umwelt begegnen, indem man die Draußenschule stärke: In Hamburg gebe es an mehreren Standorten auch bereits Schulgärten, in denen die Schüler selbst pflanzen können.
So hoch, dass man die eigene Stadt im Alleingang verbessern will, muss man die Ziele aber gar nicht unbedingt stecken. Der Bericht kann vielmehr auch ein Anlass für zielgerichtetes Fundraising sein. Ratsch-Heitmann dazu: „Der Bericht ist nicht so gedacht, dass wir alle Probleme lösen, die wir benennen. Er soll ein Impuls sein für uns – aber eben auch für andere.“
Info
Wer sich selbst in der Bürgerstiftung Hamburg einbringen möchte, etwa als Mentor bei Yoldas oder im Vorleseprojekt, kann sich hier über ein Engagement schlaumachen.
Was eine Bürgerstiftung ist, ist in diesem Übersichtsartikel zusammengefasst.