Um Frühchen ihren schwierigen Start ins Leben zu erleichtern, haben Kathrin und Hartmut Beck die Initiative und gemeinnützige Unternehmergesellschaft „Oktopus für Frühchen – Deutschland“ gegründet. Die Stiftung sprach im Interview mit dem Gründerehepaar über den Sinn der Häkeltiere, die Rolle von Social Media beim Aufbau der Organisation und die Überwindung der regulatorischen Hürden.

Wie kam es zur Idee von „Oktopus für Frühchen – Deutschland“?

Kathrin Beck: 2013 hat eine Frühchen-Mutter in Dänemark durch Zufall die positiven Effekte eines gehäkelten Oktopusses auf ihr Baby entdeckt. Da der Greifreflex bei Frühchen schon stark ausgebildet ist, ziehen sie oft an den lebenswichtigen Zugängen und Sonden. Liegt ein Oktopus nah bei ihnen, können sie sich an den Tentakeln festhalten. Die Tentakel erinnern sie vielleicht an die Nabelschnur in Mamas Bauch. Damit helfen die Oktopusse, das Legen von Zugängen und Sonden zu reduzieren, was meist sehr schmerzhaft ist und zudem ein hohes Risiko für die Frühchen bedeutet. Wir sind selbst Frühchen-Eltern, und als ich von diesem Projekt in Dänemark gelesen habe, wollte ich in Deutschland auch aktiv werden.

Hartmut Beck: Ich glaube an den technologischen Fortschritt, insbesondere im Bereich der Medizin. Als Frühchen-Papa war ich davon überzeugt, dass auf einer Kinderintensivstation neben dem Personal viele Maschinen die Überlebenswahrscheinlichkeit der Frühgeborenen steigern. Die Oktopusse habe ich zuerst belächelt und sah sie eher als eine Art Kuscheltier. Jedoch habe ich schnell gelernt, dass es auch Soft-Faktoren gibt, die die Entwicklung der Frühchen wesentlich beeinflussen können. Unsere Oktopusse sind ein Teil davon.

Welche ersten Schritte sind Sie gegangen, auf welche Widerstände sind Sie gestoßen?

Hartmut Beck: Wir mussten uns mit verschiedensten Themen befassen. Ein sehr wichtiger Partner bei unseren ersten Fragen war das Team der Neonatologie der Uniklinik Münster, die als eine der ersten Kliniken in Deutschland die Oktis bereits seit 2014 einsetzt. Durch sie haben wir nicht nur „hautnah“ von den positiven Effekten der Oktis auf die Frühchen erfahren, sondern konnten uns auch direkt mit Frühchen-Fachleuten und Okti-Profis austauschen. Diverse Fragen haben uns zu Beginn beschäftigt: Wie kommen wir in Kontakt mit den Kinderintensivstationen? Wie finden wir genügend Mitstreiter für unser Projekt? Welche rechtlichen und sicherheitsrelevanten Vorschriften gibt es zu beachten? Wir sind wie ein Start-up, aber gemeinnützig und ohne große Anschubfinanzierung.

Kathrin Beck mit den gehäkelten Oktopussen

Kathrin Beck: Ich musste mich entscheiden: Treibe ich mein Herzensprojekt weiter voran oder gehe ich wieder einer externen Beschäftigung nach? Und habe ich dann noch genügend Zeit für Oktopus für Frühchen?

Hartmut Beck: Das war keine leichte Entscheidung. Wir verzichteten damit auf ein Gehalt für unsere Familie, und uns war bewusst, dass sich im Gegensatz zu einem Start-up unser Kapital nicht vermehren, sondern im besten Fall für glückliche Gesichter und Momente sorgen wird. Meine Frau ist nun hauptamtliche Geschäftsführerin und für alle Themen rund um die Oktopusse verantwortlich, ich kümmere mich als Gesellschafter im Hintergrund eher um die „trockeneren“, aber ebenfalls wichtigen juristischen, steuer- und aufsichtsrecht­lichen Themen. Das Einwerben von Spenden und die IT fallen ebenso in meinen Tätigkeitsbereich.

Nach über zwei Jahren Vorbereitung haben Sie im Jahr 2019 die gemeinnützige Organisation gegründet. Wie haben sich Struktur und Aktivitäten seither entwickelt?

Kathrin Beck: Social Media war beim Auf- und Ausbau unserer Strukturen extrem wichtig, vor allem für das Netzwerk der häkelnden Helferinnen – wir nennen sie liebevoll Häkelbienen. Ohne unsere Häkelbienen, die wir größtenteils über Facebook, Instagram und unsere Webseite gefunden haben, würde das Projekt nicht funktionieren. In unserer Facebook-Gruppe findet ein reger und persönlich sehr angenehmer Austausch statt. Gerade in einer Zeit, in der Häkeltreffs wegen Corona nicht stattfinden konnten, war das ein wichtiger Ersatz. Neben unseren Häkelbienen haben wir Botschafter im Einsatz, die den Kontakt zu den Krankenhäusern vor Ort pflegen. Ihre Aufgabe ist, regelmäßig im Krankenhaus als Ansprechpartner für Klinikpersonal und Eltern zur Verfügung zu stehen. Zudem unterstützen uns Moderatoren im Bereich Social Media sowie Spendenbeauftragte. Weltweit ist das Projekt mittlerweile in knapp 40 Ländern verbreitet, es gibt aber keine übergeordnete Struktur. In den deutschsprachigen Ländern sind wir gut vernetzt und unterstützen uns gegenseitig.

Wie finanziert sich die Organisation?

Hartmut Beck: Wir finanzieren uns ausschließlich über Geld- und Sachspenden. Zwei Großspender und viele weitere kleinere Spender unterstützen „Oktopus für Frühchen – Deutschland“. Neben den Häkelbienen bekommen wir auch in anderen Bereichen viel Unterstützung. Unsere Juristen und Wirtschaftsprüfer arbeiten pro bono, und unser Steuerberater und Buchhalter verlangt nur den gesetzlich vorgegebenen Mindestsatz.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus, wie funktioniert die Produktion der Oktopusse?

Kathrin Beck: Zusammen mit unseren circa 120 Häkelbienen stellen wir derzeit circa 3.500 Oktopusse im Jahr her. Bevor diese an Krankenhäuser in ganz Deutschland versendet werden können, wird jeder Oktopus einer umfangreichen Prüfung unterzogen. Pro Stück brauche ich mindestens zehn Minuten. Ist beispielsweise ein Tentakel 21 statt höchstens 20 Zentimeter lang, fällt der Oktopus durch die Sicherheitsprüfung und darf nicht zu einem Frühchen in den Inkubator gelegt werden. Jede Prüfung wird mit einem Prüfprotokoll dokumentiert, und jede Häkelbiene bekommt ein persönliches Feedback, was sehr geschätzt wird. Wenn ich noch Zeit finde, häkle ich selbst auch. Zusätzlich gestalten wir beispielsweise auch Videoanleitungen für unsere Häkelbienen.

Hartmut Beck: Zum Häkeln der Oktopusse zu motivieren, ist eine Herausforderung: Die Häkelbienen bekommen kein Geld, aber per Häkelanleitung eine Menge Sicherheitsvorschriften. Wenn jemand mit viel Liebe einen ersten Oktopus häkelt, der aber bei der Prüfung durchfällt, muss man sehr sensibel und konstruktiv kommunizieren, damit auch ein zweiter Versuch gestartet wird. Diese besondere Fähigkeit schätze ich sehr an meiner Frau, sie ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor unseres Projekts.

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