Das Deutsche Rote Kreuz versucht mit einem neuen Projekt, Lebensumstände im urbanen Kontext zu verbessern. Dabei greifen die Maßnahmen direkt in den Alltag der Menschen ein, so dass sie selbst Missstände beseitigen. Wie funktioniert das?

Mit 17 Millionen Menschen leben in Karatschi rund dreieinhalbmal so viele Menschen wie im Großraum Berlin. Dass mit der Urbanisierung und der Ausbreitung städtischer Lebensformen auch Probleme aufkommen, weiß Qaswar Abbas, Projektleiter und seit 2020 beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), das seit 1987 in Pakistan tätig ist: „Die Hauptprobleme in Karatschi sind das Haushalten mit Wasser, Hygiene und der Umgang mit Abfall.“

Um die Situation in strukturschwächeren Stadtteilen der am Indusdelta gelegenen Metropole zu verbessern, hat das DRK das Projekt Urban Action Kit (UAK) als Pilotprojekt gestartet. Das UAK ist ein Programm, das aus sechs Modulen besteht: städtische Landwirtschaft, Wasser und Hygiene, Stärkung von Ökosystemen, lebenswerte Städte, Katastrophenvorsorge und kreative Kommunikation. Es müssen nicht zwangsläufig alle Module angewendet, sondern diese können an den lokalen Kontext und den Bedarf vor Ort angepasst werden.

Das UAK ist in einem Dutzend Sprachen verfügbar, unter anderem in Hindi, Bengali und Suaheli, um es leicht in unterschiedlichen Städten der Welt einzusetzen. Das Kit weise einen entscheidenden Vorteil auf, erklärt Abbas: „Das UAK kommt mit geringen finanziellen Mitteln aus.“ Außerdem könne es – anders als andere Projekte, die häufig über mehrere Jahre laufen – auch für kurze Zeitspannen von einigen Monaten implementiert werden.

Das DRK kooperiert in dem Pilotprojekt mit der lokalen Schwesterorganisation vor Ort, dem Pakistanischen Roten Halbmond. Darüber hinaus gibt es Partnerschaften mit lokalen Organisationen, die als Multiplikatoren dienen und mit anderen Städten arbeiten. „Uns geht es darum zu helfen, den Menschen vor Ort und den humanitären Akteuren“, erklärt Thomas Smarczyk, Referent Pilotprojekte Urban/Methodologie beim DRK. Langfristig ist es das Ziel, dass der Rote Halbmond das Projekt alleine leiten, weiterentwickeln und in anderen Regionen weiterführen kann, erklärt Smarczyk.

Thomas Smarczyk (links) und Qaswar Abbas (rechts) vom Deutschen Roten Kreuz (DRK).

Qaswar Abbas (oben) und Thomas Smarczyk (unten) vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). Quelle: Deutsches Rotes Kreuz

Quelle: Deutsches Rotes Kreuz

Quelle: Deutsches Rotes Kreuz

Die meisten Module des UAK zielen darauf ab, Bewusstsein für urbane Probleme zu schaffen und Verhaltensänderungen in der Bevölkerung zu bewirken. Die Verhaltensanpassungen benötigen normalerweise eine gewisse Zeit und Übung. Beim UAK habe es nur zwei bis drei Monate gedauert, bis erste Veränderungen im Verhalten der Menschen zu erkennen waren, sagt Smarczyk.

Da in Karatschi enorme Mengen an Abfall anfallen und Probleme bei dessen Entsorgung bestehen, hat das DRK im Kontext des UAK Schulungen gegeben. „Die meisten Müllwerker waren nicht vorsichtig bei der Arbeit und haben sich nicht genügend geschützt“, sagt Abbas. „Wir haben ihnen einfache Schutzmaßnahmen gezeigt und ihnen erklärt: ‚Es geht dabei nicht nur um dich, sondern auch um deine Familie.‘“ Um der lokalen Bevölkerung die Mülltrennung näherzubringen, setzt das Rote Kreuz auf verschiedene Impulse – zum Beispiel mit einem Müllsammelwettbewerb, vor dessen Start den Bewohnern von Karatschi erklärt wird, warum und wie Müll getrennt werden sollte. Im Zuge des Wettbewerbs sei es zu ungeahnten kreativen Entwicklungen gekommen, berichtet der Projektleiter: So hätten zwei Frauen nach Ende des Wettbewerbs begonnen, aus Plastikmüll Dekoration und Haushaltsgegenstände wie Blumenvasen zu fertigen.

Da das DRK das Projekt erstmalig durchführt, legen die Projektverantwortlichen besonderen Wert auf die Evaluierung und haben untersucht, ob und wie die Maßnahmen bei der Bevölkerung greifen. Bei der Dokumentation eines Hygiene- und Handwaschprojekts an einer Schule wurde etwa mit einem Fragebogen überprüft, wie oft die Kinder ihre Hände reinigen und in welchen Situationen das geschieht. Die Befragung zeigte, dass sich die Kinder zwar nach dem Toilettengang gründlich ihre Hände wuschen, jedoch vor dem Essen häufig nicht.

Das DRK weltweit

Zurzeit ist das DRK weltweit in rund 50 Ländern aktiv, eine Ausweitung in andere Regionen ist geplant: „In Pakistan geht es um Wasser und Hygiene, in anderen Städten geht es um Evakuierung im Falle eines Erdbebens oder um Krankheiten oder Epidemien. Probleme beeinflussen sich auch gegenseitig, etwa in Bezug auf Gesundheit, Alltag und Ernährung“, erklärt Smarczyk.

Das UAK ist eine Maßnahme mit Vorsorgeansatz. Das DRK bindet oft Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge in Hilfsprojekte ein: „Humanitäre Hilfe und Katastrophenvorsorge sind eine Art Schwesterdisziplin oder Teile eines Katastrophenmanagement-Zyklus“, sagt Smarczyk.

Ein Land, viele Kulturen

Wenn geplant ist, Projekte wie das UAK in andere Gebiete zu tragen, sollte laut Abbas immer die Kultur des jeweiligen Ortes beachtet werden: „Das Projekt muss an das spezielle Gebiet und die Kultur anpasst sein. Pakistan alleine ist ein sehr diverses Land, mit verschiedenem Essen, verschiedenen Kulturen.“

Die Schlüsselerkenntnis dieses Projekts ist für Abbas, dass auch mit geringen finanziellen Mitteln viel bewegt werden kann. Es sei bedeutsam, den Bewohnern zu zeigen, dass es möglich ist, das eigene Umfeld lebenswerter zu gestalten. Dabei sei wichtig, mit einfachen Maßnahmen zu beginnen und Schritt für Schritt Verhaltensänderungen herbeizuführen.

Als die größte Herausforderung bei solch einem Projekt sieht Abbas, dass die meisten Menschen im Ballungsraum unterschiedliche Tagesabläufe haben. „Auf dem Land haben die Menschen tendenziell mehr Zeit. Die meisten Menschen in den Ballungszentren haben jedoch keine Zeit – sie arbeiten in Fabriken, führen kleine Unternehmen und haben unterschiedliche Arbeitszeiten. Das war eine echte Herausforderung, die Leute davon zu überzeugen, uns ihre Zeit zu widmen“, so Abbas. Und wenn es notwendig sei, Menschen zu überzeugen, Projekten wie dem Urban Action Kit in ihrem Alltag ihre Zeit zu schenken, sei es dabei essentiell, ihnen zu zeigen, dass sie selbst wichtig sind.

Auch der Klimawandel kann bei der Hilfe im urbanen Kontext nicht außer Acht gelassen werden: „Die Naturgewalten sind erratischer und schwerer einzuschätzen.“ Migration sei ebenfalls ein Faktor, der das UAK beeinflusst: „Städte sind der Zielort für Migration. Städte arbeiten unglaublich effizient, wenn man beispielsweise schaut, wie wenig Raum eine Person in Anspruch nimmt, wie effizient Handelsströme sind, wie dicht Dienstleistungen beieinanderliegen, die Migranten brauchen. Gesundheitsvorsorge funktioniert besser. Viele Leute bewegen sich also in die Stadt in der Hoffnung, dort Lösungen für ihre Belange zu finden“, sagt Smarczyk.

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