Der Konflikt unter den Aldi-Nachkommen beschäftigt die Gerichte und die Öffentlichkeit. Gründe hierfür liegen nicht nur in den rein persönlichen Auseinandersetzungen, sondern auch in der Organisationsform der Familienstiftung. Über die Historie, Konstruktionsfehler und das Missverständnis der Familienstiftung.

Die Wirtschaftspresse berichtet seit Monaten über einen Streit unter den Erben von Theo Albrecht, dem Gründer von Aldi Nord, zusammen mit Aldi Süd als Aldi-Gruppe einer der ganz großen Player im deutschen und europäischen Lebensmittelhandel. Beide Aldi-Unternehmen sind 1961 aus einer Realteilung der Gründer Theo und Karl Albrecht hervorgegangen und gehören jeweils verschiedenen Familienstiftungen. Bei Aldi Nord sind es drei solcher Stiftungen. In einer davon, der Jakobus- Stiftung, ist jüngst ein Erbenstreit entbrannt. Bei den anderen Stiftungen sind Prozesse entweder schon abgeschlossen oder befinden sich noch auf dem Wege der Urteilsfindung.

Im berichteten Fall der Jakobus-Stiftung wird von einem Berechtigten geklagt, er sei vom für die Verteilung von Überschüssen (Erträge des Stiftungsvermögens) zuständigen Stiftungsorgan übergangen worden. Der Vorwurf der Veruntreuung steht im Raum. Dass in Familienstiftungen unter den durch den Stiftungsakt des Stifters enterbten Familienangehörigen Streit ausbricht, ist keine Seltenheit. Familienstiftungen sind bekannt dafür, dass hier notorisch vor Gericht gestritten wird. Das Gefühl, übergangen worden zu sein bei der Verteilung jährlicher Wohltaten – in vielen Fällen in Millionenhöhe –, ist zwar menschlich und daher verständlich. Dennoch dürfte es sich dabei wohl um einen Irrtum handeln. Aber diesen Irrtum teilt der Antragsteller mit den meisten Kautelarjuristen und sogar mit der Juristerei, wie sie in gelehrten BGB-Kommentaren verbreitet wird. Wollten vormals die kundigen Thebaner Familienstiftungen als „industrielle Familienfideikommisse“ (H. Liermann, 1963) eigentlich gänzlich verbieten bzw. rechtlich runterstufen, etwa in Bayern, so ist man neuerdings nach einem wiederholten Blick ins Gesetz zu der Erkenntnis gelangt, dass sie ein Recht auf Existenz haben.

Fehler im System

Stiftern wird unter dem Grundgesetz (GG) eine Stifterfreiheit zugestanden, auch familienorientierte Stiftungen einzurichten. Schließlich ist die Familie und ihr Schutz eine Verfassungsaufgabe nach Art. 6 GG. Diese Stiftungen werden, wie jegliche andere Stiftung auch, mit einem Vermögen ausgestattet, das in der gestifteten Form mehr oder weniger ungestört von familiären Wendungen und Begabungen zusammenzuhalten ist. Und mit den anfallenden Erträgen sollen dann den direkten Nachkommen sowie den zukünftigen Generationen aus der Stifterfamilie materielle Hilfestellungen zuteilwerden.

Hier nun setzt der allgemeine Irrtum ein. Denn die Familienstiftung als solche gibt es im deutschen Zivilrecht gar nicht. Das BGB kennt nur eine Stiftung, als Einheitsstiftung unter einer öffentlichen Aufsicht für alle verschiedenen Ausformungen, die es in der Praxis geben mag. Sie ist als eigenständige Rechtsform, wie die kirchliche und die kommunale Stiftung, ein Erbe längst vergangener Zeiten in den Länder-Stiftungsgesetzen. Diese sind aber verwaltungsrechtliche Regelungen und gehören dem öffentlichen Recht an. Damit wird die Familienstiftung allerdings keine Stiftung des öffentlichen Rechts, sie verbleibt im Privatrechtskreis. Aber der Staat in der Gestalt des jeweiligen Sitzlandes hat mit seinem Verwaltungsrecht bei der Verwaltung und Stiftungszweckverwirklichung kein Mandat mehr – außer dem der Rechtskontrolle.

Daher haben in der Vergangenheit, wohl dem preußischen Gesetzgeber im Allgemeinen Landrecht von 1794 folgend, die Landesgesetzgeber die Familienstiftungen von der staatlichen Aufsicht weitgehend befreit und haben diese den Gerichten übertragen. Und das obwohl die Aufsicht bei einem herrenlosen Institut (mit zumeist wichtigem Inhalt, dem Stiftungsvermögen) eigentlich eine unumgängliche Disziplinierungsinstanz bei Streitigkeiten unter den Beteiligten darstellt.

Stiftung mit Verein gleichzusetzen?

Die so verfassungsrechtlich gewonnenen Erkenntnisse haben dazu geführt, dass Stiftungen wie ein Verein angeblich für alle möglichen öffentlichen (wie bisher) und nun auch privaten Zwecke errichtet werden können. Grenzen gibt es für den Stifter nur hinsichtlich der Verfassungskonformität der Zwecksetzung und bei der Stiftungsverwaltung nur hinsichtlich der Rechts- und Gesetzes- sowie Satzungstreue. Ansonsten sind Stifter und später ihre Konstrukte ziemlich frei, sich selbst mit und in der Stiftung zu verwirklichen. Beinahe selbstverständlich ist es, dass Vermögensausstattung und Ertragskraft in etwa dem Stiftungszweck und seiner konkreten Verwirklichung in späteren Zeiten durch das Stiftungsorgan entsprechen müssen. Darüber zu wachen, war und ist bei gemeinwohlorientierten Stiftungen nach derzeitigem Recht die Aufgabe der Länder-Genehmigungsbehörden und der laufenden staatlichen Stiftungsaufsicht. Familienstiftungen sind von solchen Kernanliegen der Rechtsordnung für juristische Personen nicht ausgenommen.

Dabei wird in der öffentlichen Verwaltung und in der Literatur überwiegend verkannt, dass verfassungsrechtlich bei der Zwecksetzung ein Unterschied zwischen Stiftung und Verein besteht. Der Verein als Ausdruck der grundgesetzlich garantierten Vereinigungsfreiheit kann in der Tat zu allen möglichen öffentlichen und privaten Zwecken gegründet werden. Die Stiftung ist dagegen seit unvordenklichen Zeiten bis heute der Förderung des Gemeinwohls verpflichtet. Dabei ist Gemeinwohl mit öffentlichen Zwecken nicht unbedingt identisch. Die öffentliche Sicherheit – Polizei, Verfassungsschutz, Militär, Landesverteidigung, politische Zwecke wie etwa Parteienförderung, Wahlwerbung – ist dem Stifter als Zwecksetzung und der Stiftung bei der Zweckverfolgung versagt, selbst in Auslegung wachsweicher Zweckformulierungen. Das gilt ebenso für rein private und wirtschaftliche Zwecke, wie Hobbys, Clubaktivitäten, Freizeitvergnügungen, Helikoptergeldverteilung an beliebige Zielgruppen, Produkt- oder Firmenwerbung. Wenn solche Stiftungen in falscher Auslegung der Rechtslage entstanden sind, sind sie rückabzuwickeln. Sie genießen keinen auf alle Ewigkeit währenden Vertrauensschutz.

Stiftungszweck überprüfen

Was bedeutet das nun für den vorliegenden Fall? Die Zweckbeschreibung ist, dank Anwaltshilfe, nicht oder nur wenig zu beanstanden. Die Stiftung war durchaus genehmigungsfähig. Aber was die Genehmigungsbehörde seinerzeit übersehen und versäumt hat, ist Folgendes: Um die Rechtsordnung von unsinnigen Rechtsgebilden freizuhalten, gehört es zu den unausgesprochenen Aufgaben einer jeden dafür zuständigen Behörde zu prüfen, ob denn Zweck und zukünftige Leistungsfähigkeit der Stiftung kompatibel sind; eine überdehnte Zwecksetzung ist mit einem geringen Vermögen und den daraus resultierenden sehr kleinen Erträgen nicht zu verwirklichen. Umgekehrt gilt: Für die nahe Zukunft zu erwartende überdimensionierte Erträge aus der Vermögensausstattung können für eine enge Zwecksetzung, beispielsweise langfristig nur zwei Destinatäre, vernünftigerweise nicht ausgegeben werden. Sie verbleiben also zwangsläufig als Vermögensmehrung in der Stiftung. Das wäre ein Konstruktionsfehler. Denn Ausschüttungen auf Zuruf an die Destinatäre sind so ohne Weiteres nicht zulässig. Sie mögen auf dem Papier durchaus berechtigt sein, aber sie sind nicht stiftungsadäquat, also rechtsmissbräuchlich, wenngleich das eher die Theorie und weniger die gelebte Praxis in Familienstiftungen ist.

Denn die Stiftung ist eine von der Rechtsordnung einzig für Zwecke des Gemeinwohls zugelassene Leistungseinheit, was aus dem Grundgesetz allerdings nur indirekt zu erschließen ist: Ihre Aufgabe ist die Dienstleistung in der Form der Anstaltsstiftung oder die materielle Förderung des Gemeinwesens für das Gemeinwohl – dann genannt Förderstiftung. Das beißt sich mit zwangsläufigen Thesaurierungen, wenn der Zweck nach Rechts- und Satzungslage nicht zu verwirklichen ist. Die Stiftung ist keine Sparkasse, bei der Gewinne oder andere Überschüsse eingelagert und früher oder später an durch die Satzung legitimierte Private einfach so ausgeschüttet werden. Das wäre das schon erwähnte Helikoptergeld an definierte Familienangehörige zur privaten Verwendung.

Wichtige Frage: Wer wird hier gefördert?

Zwei Zwecksetzungen, die dem Stiftungsregister Schleswig-Holstein zu entnehmen sind, verdienen in diesem Zusammenhang eine genauere Betrachtung. Da sind seitens der Stiftung zum einen „einmalige Zuwendungen“ zu leisten „für die Zahlung von Erbschaftsteuern“. Das ist nach der Rechts- und Steuerordnung eine persönliche Angelegenheit der Betroffenen als staatsbürgerliche Pflicht. Die Steuer dient letztendlich mit ihrem Ertrag dem Gemeinwohl, aber es kann nicht Aufgabe einer Stiftung sein, dem durch Erbschaft begünstigten Familienangehörigen die Last der zukünftigen Erbschaftsteuer abzunehmen. Und dann kann die Stiftung auf Antrag eines Destinatärs diesem bei der Begründung „unternehmerischer Tätigkeiten“ mit verlorenen Zuschüssen helfen. Das erinnert an staatliche Wirtschaftspolitik in der Form der Förderung der Gründerszene – durchaus zum Wohle des Gemeinwesens –, die aber schwerlich unter das Gebot der Gemeinwohlförderung durch eine Stiftung passt. Darlehen erscheinen hier akzeptabel, nicht aber verlorene Zuschüsse an einen potentiell recht kleinen Kreis. Es spricht einiges dafür, dass bei der Genehmigung der Stiftung hier nicht tief genug nachgedacht wurde. Solche Fehlkonstruktionen sind aus der Satzung zu streichen. Und für die gerade bei neu errichteten Familienstiftungen üblichen Überdotierungen sind hilfsweise alternative Förderbereiche zu fordern, die dem Skandal des Helikoptergeldes abhelfen.

Mit der Anstalt des Liechtensteinischen Rechts könnte solch eine Konstruktion realisiert werden, dann in einer Stiftung des Handelsrechts. Hier in Deutschland sind diese Rahmenbedingungen noch nicht so weit, trotz etlicher Reformbemühungen in der jüngeren Vergangenheit. Der gerade von den relevanten Verwaltungen in Bund und Ländern erarbeitete Entwurf eines modernisierten Stiftungsrechts macht in diese Richtung keinerlei Anstalten. Und auch der ob etlicher handwerklicher Fehler in diesem Entwurf als Gegenentwurf ins Gespräch gebrachte Denkanstoß aus der hieran interessierten Professorenschaft ist in dieser Hinsicht nicht aufgeschlossener. So etwas würde auch der traditionellen deutschrechtlichen Stiftung zutiefst widersprechen.

Über den Autor:
Klaus Neuhoff leitet das Institut Stiftung und Gemeinwohl an der Privaten Universität Witten/Herdecke.

Aktuelle Beiträge