Förderstiftungen sind immer mit der Frage konfrontiert, wie lange die Unterstützung währen soll. Einerseits entfalten viele Projekte ihre Wirkung erst mit der Zeit, müssen die Organisationen doch erst Infrastrukturen schaffen und Netzwerke erschließen. Andererseits wollen Stiftungen sich häufig nicht auf allzu lange Bindungen einlassen – das wäre, Hand aufs Herz, vielen Stiftungsverantwortlichen auch zu langweilig –, sondern verschiedene Projekte anschieben und dort Impulse geben.
Neben dem Exit, der gut vorbereitet und kommuniziert sein will, kann eine Stiftung andere Förderpartner suchen, die einspringen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die geförderte Organisation in die finanzielle Selbständigkeit zu überführen. Das ist gewissermaßen der Idealfall. Wie aber gelingt es, autarke Organisationen zu schaffen?
„Das ist weit weg vom Projektdenken der meisten Stiftungen.“
Wolfgang Rohe, Stiftung Mercator
Die Stiftung Mercator GmbH verfolgt „langfristige und stabile“ Projekte, betont Geschäftsführer Wolfgang Rohe. Aber: „Die Frage nach langfristig alternativen Finanzierern und Gesellschaftern spielt von Anfang an eine Rolle. Wir wollen nicht, wie zum Beispiel die Zeit-Stiftung im Falle der Bucerius Law School, in ein Dauerengagement eintreten. Wir stehen gleichwohl für ein langfristiges Commitment im Interesse unserer inhaltlichen Ziele.“
Die Stiftung Mercator hat bisher zwei selbst gegründete Organisationen in die Selbständigkeit überführt, weitere Ausgründungen sind geplant. „Wir schauen bei allen Organisationen, ob eine Verstetigung sinnvoll ist und die Funktionalität weiterhin benötigt wird. Wenn eine Institution ihren Zweck erfüllt hat, kann sie auch beendet werden. Hat sie ein gewisses Eigengewicht erworben und deckt einen weiterhin bestehenden Bedarf, dann unterstützen wir sie, die Unabhängigkeit von der Stiftung zu erreichen“, sagt Rohe. Wie die rechtliche und kaufmännische Verselbständigung ausgestaltet ist, kann dabei sehr unterschiedlich sein.
Nicht trivial
Der Thinktank Agora Energiewende ist ein Beispiel für einen Übertritt in die Unabhängigkeit. In diesem Fall haben fünf Mitglieder der Geschäftsführung in einem Management-Buy-out die Gesellschafteranteile der Mutterorganisation, der Smart Energy for Europe Platform gGmbH, übernommen. Die Stiftung finanziert zwar weiterhin Projekte des Thinktanks, dieser ist aber eigenständig. Bei dem Sachverständigenrat für Integration und Migration, einem 2008 von acht Stiftungen gegründeten unabhängigen Gremium, hat sich ein anderer Geldgeber gefunden: Dort ist 2021 der Bund als Förderer eingestiegen.
Markus Piduhn, kaufmännischer Geschäftsführer der Stiftung Mercator, erklärt, dass der Einstieg des Bundes nicht trivial war: „Es war zunächst nicht ganz klar, ob das Innenministerium Gesellschafter einer Gesellschaft sein kann. Die Frage stellt sich bei einem klassischen Deal wie einem Management-Buy-out nicht.“ Auch für die Mitarbeiter und in der Verwaltung habe die Finanzierung durch den Staat zu Umstellungen geführt: „Wir unterliegen als GmbH nicht dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, in den die Beschäftigten eingegliedert werden müssten. Auch die Organisation von Auftragsvergaben musste zum Beispiel neu geregelt werden. Die finale Unterschrift ist dann der einfachste Schritt.“
Etwa fünfzehn Jahre
Bei weiteren Organisationen steht die Stiftung Mercator aktuell im Gespräch mit Partnern und Mitförderern. Über die weitere Finanzierung des Mercator Research Centers Ruhr (Mercur), das akademische Kooperationsprojekte fördert, verhandelt die Stiftung zurzeit mit den Universitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen, die bereits als Mitgesellschafter eingebunden sind. Bei Ruhr Futur, einer Bildungsinitiative im Ruhrgebiet, führe die Stiftung Gespräche mit dem Bildungsministerium NRW und dem kommunalen Regionalverband Ruhr, bei dem Austauschprojekt Deutsch-Türkische Jugendbrücke wiederum bespreche man sich mit dem Bund, so Rohe.
Bei all diesen Projekten habe die Stiftung „den Startzeitpunkt deutlicher vor Augen gehabt als den Endzeitpunkt“, erklärt der Geschäftsführer. Die Stiftung peile eine Förderdauer von etwa fünfzehn Jahren an. „Es gibt jeweils Evaluationen nach fünf und nach zehn Jahren, spätestens dann muss es einen Exitplan geben“, sagt Rohe. „Es kommt nicht darauf an, ob die Förderung am Ende fünfzehn oder sechzehn Jahre währte, sondern darauf, dass es in einer dritten Förderungsphase einen Plan gibt, wer für die Stiftung Mercator als Gesellschafter einsteigen und wer als Finanzierer Verantwortung übernehmen kann.“
Wie gelingt die Verselbständigung?

Ein Zusammenschluss von acht Stiftungen gründete 2008 den Sachverständigenrat für Integration und Migration – seit 2021 ist das Bundesinnenministerium Geldgeber. Der Sachverständigenrat soll als unabhängiges Gremium fungieren. Er veröffentlicht unter anderem ein jährliches Gutachten zu Themen aus dem Bereich Integration und Migration. Foto: Michael Setzpfandt
Stiftungen, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, langfristig eine selbständige Organisation zu gründen, gibt Rohe einige Empfehlungen: „Die erste Bedingung ist: Sondiere das Themenfeld im Hinblick auf die verfolgten Ziele. Findet sich für die angestrebte Wirkung ein Partner, der alle Voraussetzungen erfüllt?“ In diesem Fall solle man von einer eigenen Gründung absehen, sondern eher eine Kooperation anstreben. Andernfalls trüge die Stiftung „unnötige Konkurrenz in ein Feld, das gut organisiert ist“.
Findet sich kein Partner, der bereits die Funktion ausfüllt, rät Rohe zu einer genauen Marktanalyse: Dann seien viele Gespräche mit Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über deren Bedürfnisse nötig. So habe Carla Hustedt, die den Bereich Digitalisierte Gesellschaft in der Stiftung leitet, zur Vorbereitung der neuen Partnergesellschaft Agora Digitale Transformation rund einhundert Stakeholder-Gespräche geführt, um den Bedarf möglichst genau zu ermitteln.
Die richtigen Leute
Der nächste Schritt sei die Personalauswahl, sagt Rohe. Man brauche eine Leitung, die sich auskennt und ein gutes Netzwerk besitzt. Rohe rät auch dazu, sich starke Partner als Mitgesellschafter zu suchen. „Da wird es spezifisch, weil die Partnergesellschaften sehr unterschiedlich ticken: Wer zum Beispiel etwas im Ruhrgebiet machen möchte, muss die relevanten lokalen Akteure einbeziehen. Sonst muss er sich am nächsten Tag in der WAZ fragen lassen, warum er zum Beispiel an Essen gedacht habe, aber nicht an Duisburg.“ Andere Akteure müsse man integrieren und beteiligen, damit ein Projekt langfristig Erfolg haben kann.
„Die finale Unterschrift ist dann der einfachste Schritt.“
Markus Piduhn, Stiftung Mercator
Deutlich raten die beiden Geschäftsführer davon ab, mit Ausgründungen Kernaufgaben wie das Prüfungs- und Abrechnungswesen aus der Stiftung auszulagern. Ebenso sollten Ausgründungen keine operativen Projekte der Stiftung übernehmen, die die Stiftung selbst gut stemmen kann. Dies habe die Stiftung bei Austauschprogrammen erprobt, den Schritt aber wieder rückgängig gemacht.
Rolle rückwärts
„Es zeigte sich, dass wir die Steuerung der Projekte am effizientesten selbst zu leisten vermögen“, erinnert sich Rohe. „Eine solche Übernahme wäre im Falle der bestehenden Partnergesellschaften nicht möglich. Sie halten Kompetenzen, Funktionen und Ressourcen vor, die in der Stiftung nicht abbildbar wären.“
Ein Vorteil der juristischen Selbständigkeit ist – gerade für die Thinktanks aus dem Hause Mercator – auch die eigenständige Kommunikation. Die Spin-offs seien durch die Eigenständigkeit freier in ihrer Kommunikation und darin, Positionen zu beziehen. „Die Agora Energiewende zum Beispiel kann sich auf eine Art und Weise äußern, wie die Stiftung es nicht tun kann. Wollen wir Atomkraft? Wollen wir 2030 oder 2035 aus der Kohle aussteigen? Antworten darauf setzen, wenn sie mehr als bloße Meinung sein sollen, umfängliche Expertise voraus, über die die Stiftung inhouse nicht verfügt. Die Agora hat auf der Basis einschlägiger Fachkompetenz dazu Vorschläge, Studien, Produkte und Szenarien entworfen und kommuniziert.“
Nur für die Großen
Auch wenn mit kleineren Budgets Ausgründungen in Frage kommen – das Schaffen von weiteren Organisationen ist sicherlich den größeren Stiftungen vorbehalten. Die Kosten sind unterschiedlich. Für die neueste Ausgründung der Stiftung Mercator, die Agora Digitale Transformation, veranschlagt die Stiftung 8,6 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre, über das größte Budget verfügt mit 55 Millionen Euro binnen fünf Jahren das universitäre Förderprojekt Mercur. Dass sich – auch unter den kapitalstarken Stiftungen – Nachahmer finden werden, hält Rohe für unwahrscheinlich. Auf einer informellen Veranstaltung habe er einmal die Ausgründungen der Stiftung vorgestellt. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass alle sofort loslegen wollten, Partnergesellschaften zu gründen. Das ist weit weg vom Projektdenken der meisten Stiftungen.“ Dabei würden die Geschäftsführer keinesfalls von Ausgründungen abraten, größere Nachteile oder Risiken sehen sie nicht. „Sonst hätten wir die neue Agora Digitale Transformation ja nicht gegründet.“
Bei der Stiftung Mercator befinden sich die meisten der genannten Projekte aktuell in der finalen Phase der Förderung, die Möglichkeiten für deren Weiterbestehen diskutiert die Stiftung zurzeit. Ist damit die Ausgründungswelle vorerst beendet? Konkrete Pläne für weitere Ausgründungen gebe es derzeit nicht. Aber, so Rohe: „Die Weltlage ist indes derart volatil, das kann sich in einem Jahr wieder ändern.“