Vor 25 Jahren gründete Jutta Speidel den Verein Horizont, neun Jahre später folgte eine Stiftung, die die Arbeit fördert. Was als kleines Projekt der Münchner Schauspielerin für Kinder und Mütter ohne festen Wohnsitz begann, hat längst mittelständischen Charakter – und steht heute vor einer weiteren Professionalisierung.

Sie haben 1997 den Verein Horizont München gegründet, der Mütter und ihre Kinder in Not sowie bedürftige Familien und Jugendliche unterstützt. Neun Jahre später folgte die Horizont Jutta-Speidel-Stiftung. Wie wurden Sie zur Vereinsgründerin und Stifterin?
Jutta Speidel: Ich selbst hatte über viele Jahre wohltätige Organisationen unterstützt, wenn man mich fragte. Es waren aber immer Projekte, die irgendwo auf der Welt waren und zu denen ich keinen direkten Bezug hatte. Das reichte mir einfach nicht. Wenn ich mich schon einsetze, möchte ich Feedback haben, was mit dem Geld passiert. Und das Thema war vor der eigenen Haustür: dass in Deutschland und meiner Stadt München obdachlose Kinder leben. Darüber sprach damals kein Mensch, es gab viele Vorurteile. Wir haben lange gebraucht zu erklären, dass die Kinder es wert sind, gefördert zu werden.

„Wir haben lange gebraucht zu erklären, dass die Kinder es wert sind, gefördert zu werden.“
Jutta Speidel

Wie ging es mit dem Verein los?
Speidel: Ich hatte eine kleine Erbschaft, mit der ich den Verein gegründet habe und anfangs über die Runden kam. Ich konnte mir Rechtsanwalt, Sozialpädagogin, Erzieherin und eine Büromitarbeiterin leisten. Die ersten Räumlichkeiten waren in einer Obdachlosenpension. Was die Finanzierung anging, hatte ich einen guten Instinkt: Ich dachte einfach, ich gehe nicht an große Firmen ran, die sowieso immer geschröpft werden, sondern fange mit den Bürgern an. Und so bin ich mit selbstgebastelten Flyern und einer Tröte in die Münchner Fußgängerzone gezogen und habe Geld gesammelt. Wenn wir im Monat ein paar Tausend Euro gesammelt haben, waren wir schon wieder reich. Ich hatte nicht mal eine Genehmigung. Die Polizei fand das in Ordnung – sie kannten mich. Meine Kinder, die Familie und der Freundeskreis fanden das Engagement auch toll. Die vier Millionen Euro, die wir fünf Jahre später für das erste Horizont-Haus gebraucht haben, haben wir so natürlich nicht bekommen. Da konnten wir auf externe Unterstützung zählen.

Wie wurden Sie 2006 dann Stifterin?
Speidel: Die Stiftung hat sich ergeben, weil wir ein großes Erbe bekommen haben, das unsere Schulden bei der Stadtsparkasse für das erste Haus abbezahlt hat. Der Spender wollte uns zu seinen Lebzeiten unterstützen. Er war begeistert von der Arbeit und fand es sinnvoll, zusätzlich eine Stiftung zu eröffnen – er selbst wollte aber anonym bleiben, die Stiftung sollte jedoch meinen Namen tragen.

Die Unterstützung des Vereins ist der einzige Zweck der Stiftung?
Speidel: Ja, genau. Die Stiftung ist eine nachhaltige, finanzielle Sicherheit für uns. Würden wir Projekte Dritter unterstützen, wäre es ein ganz anderes Geschäft.

Sie sind Vorsitzende des Vereins, aber nicht Vorstandsvorsitzende der Stiftung. Bewusst?
Speidel: Ja. Die Stiftungsvorstände sind eine Insolvenzanwältin und ein Medienmann. Die beiden machen das sehr gut. Ich habe auch keine Sonderrechte in der Stiftung. Das fände ich nicht richtig. Flache Hierarchien sind mir lieber. Ich bin ja keine zornige alte Dame (lacht).

Horizont ist stark gewachsen, verfügt heute über zwei Häuser, ein Schutz- und ein Wohnhaus. Auch die Zahl der Mitarbeiter nahm deutlich zu. Wie hält da die Professionalität Schritt?
Speidel: Dieser Aspekt kam erst recht spät. Vor acht Jahren habe ich eine Frau kennengelernt, die lange im Bankbereich gearbeitet hat und auch Psychologin ist. Sie ist sehr strukturiert und empathisch. Sie hat wirklich Struktur in die Organisation reingebracht. Inzwischen sind wir ein mittelständisches Unternehmen mit mehr als 50 hauptamtlich Beschäftigten. Auch bei der Stiftung war Professionalisierung entscheidend. Bevor wir das Stiftungsmanagement aufgebaut hatten, haben wir nicht viel Geld eingenommen. Das hat sich durch die Arbeit im Marketing und Fundraising geändert. Es ist ein gewisses Vermögen vorhanden, auch die beiden Häuser, in denen der Verein arbeitet, zählen dazu. Wir planen gerade unser drittes. Auch das wird der Stiftung gehören, durch eine Erbschaft hat unsere Stiftung ein Grundstück und Haus erworben.

Das Horizont-Haus im Münchner Domagkpark wurde als zweites Gebäude 2018 eröffnet. Foto: Cordula Treml

Wie viel Geld braucht der Verein Horizont pro Jahr für seine Arbeit?
Speidel: Wir brauchen, grob gesprochen, 2,5 Millionen im Jahr, um alles zu bezahlen. Wenn wir die einsammeln, haben wir keine Sorgen. Das schaffen wir auch. Je größer wir werden, desto mehr Geld brauchen wir. Wir sind auch sehr gut vernetzt mit anderen Stiftungen und städtischen Institutionen, wo wir Förderanträge stellen können. Mittlerweile gibt es ja auch städtische oder staatliche Förderungen für Kitas. Das war anfangs nicht so.

Wie lange könnten Sie weitermachen, wenn zwei oder drei Jahre deutlich weniger Spenden eingehen würden?
Speidel: Wir würden nicht gleich aufgeben müssen. Bislang ist allerdings immer Geld geflossen. Wir hatten große Befürchtungen, dass die Unterstützung in der Pandemiezeit einbrechen könnte, so auch nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine. Aber erstaunlicherweise ist das nicht passiert – vielleicht auch, weil wir anders aufgestellt sind als manche andere und die Gelder bei uns von den Bürgern kommen. Vielleicht auch, weil unsere Unterstützer mich als integre und bodenständige Person sehen und sich sicher fühlen und Horizont eine anerkannte Institution geworden ist.

Das Projekt lebt also trotz Professionalisierung auch von Ihrer Persönlichkeit.
Speidel: Der Verein ist eng an meine Persönlichkeit und an meine Ideen gebunden. Ich bin eine gute Netzwerkerin, habe einen Kopf für Marketing. Anfangs hatte ich Hemmschwellen, aber heute „haue“ ich jeden an, von dem ich denke, er könnte etwas spenden. Alle Fernsehsender wissen, dass sie nicht an Horizont vorbeikommen, wenn sie mich einladen (lacht). Und natürlich habe ich ein gutes Team gefunden, das stabil an meiner Seite ist, sodass ich nicht alle zwei Jahre neue Leute suchen muss. Natürlich passiert das auch, dass junge Leute weiterziehen – das ist auch in Ordnung.

Wie gehen Sie in dieser Konstellation das Thema Nachfolge an?
Speidel: Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir uns hierzu coachen lassen. Wir denken darüber nach, wie Horizont in zehn Jahren aussehen wird. Ich werde in zwei Jahren 70, auch die Vorstände können das Tempo nicht auf Dauer durchhalten. Unsere Arbeit im Gremium ist rein ehrenamtlich. Der Wachstumsaspekt beschäftigt uns stark. Wir sind schon groß – und nun ist die Frage, wie groß wir uns zu werden trauen. Wie kräftig sind wir? Da sind Vorstand und Team gefragt. Das normale Leben brummt ja auch noch. Ein Supervisor wird in das Team und in den Vorstand schauen, wo es welche Stärken und Schwächen gibt. Dieser Entwicklungsprozess muss nicht innerhalb eines Jahres beendet sein, aber auf den Weg gebracht werden.

Sie planen ein drittes Gebäude. Welche speziellen Anforderungen gibt es in Ihrem Arbeitsbereich?
Speidel: Unser großes Ziel ist es, dass die Häuser immer Erweiterungen sind, die einander gegenseitig befruchten, sodass auch ein Umzug der Bewohnerinnen stattfinden kann. Das dritte Haus, das wir wieder als Schutzhaus bauen, ist für Mütter mit Kindern, die unmittelbar in großer Not sind und rund um die Uhr Betreuung brauchen. Für das Schutzhaus ist ein Aufenthalt von etwa 1,5 Jahren vorgesehen. Das kann je nach Einzelfall kürzer oder länger dauern. Manche Frauen verlassen es früher, andere sind stark traumatisiert und brauchen länger, um wieder zu einem Selbstwertgefühl zu kommen. Auch Sicherheit spielt eine Rolle. Zudem werden wir ein Gesundheits- und Therapiezentrum im Haus integrieren, das den Bewohnerinnen niederschwellig zugänglich sein wird, auch um Traumata und Ängste professionell bearbeiten zu können.

Inwiefern?
Speidel: Wir müssen die Häuser so absichern, dass die Männer nicht in die Gebäude eindringen können – auch wenn der Sicherheitsaspekt bei uns nicht im Mittelpunkt steht. Wir sind eben kein Frauenhaus, sondern ein Mutter-Kind-Haus. Bei uns steht Wachsen und Gedeihen im Vordergrund. Es ist für uns wichtig, dass Kinder bei uns vielschichtige Bildungsangebote erhalten und weiterkommen – und dass sie lernen, was wichtig fürs Leben ist.

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