Lobbyisten genießen nicht den besten Ruf. Es gibt aber Lobbyisten, die sich für das Wohl von Tieren, den Umweltschutz oder benachteiligte Menschen einsetzen. Auch gemeinnützige Organisationen in Deutschland versuchen, durch Advocacy den großen Hebel über die Politik anzusetzen. Gelingt das?

Frank Mischo freut sich immer, wenn er die UN-Sonderbeauftragte für Kinderrechte trifft. Dass es diesen Posten in Deutschland gibt, ist ein Stück weit auch sein Erfolg. Mischo ist Advocacy-Manager bei der Kindernothilfe, das heißt, er koordiniert deren politische Arbeit. Mit seinem sechsköpfigen Team hat Mischo sich lange dafür eingesetzt, dass eine zentrale Stelle für die Rechte von Kindern geschaffen wird, hat Unter­schriften gesammelt und mit Regierungsvertretern diskutiert.

Advocacy: Jugendliche vor der Bundeskanzleramt für ein Übergabegespräch einer Petition zu der Kinder ohne Aids –Kampagne

Jugendliche vor der Bundeskanzleramt für ein Übergabegespräch einer Petition zu der „Kinder ohne Aids“-Kampagne. Foto: Frank Mischo/Kindernothilfe

Der englische Begriff Advocacy heißt übersetzt so viel wie Fürsprache. Meist geht es um Fürspra­che für Menschen, die sich hierzulande nicht selbst vertreten können, es kann aber auch um Fürspra­che für die Umwelt oder Tiere gehen. Mischo hat in seiner Laufbahn mitbekommen, wie Advocacy sich als Handlungsfeld für Nichtregierungsorganisatio­nen (NGOs) in Deutschland überhaupt erst entwi­ckelt hat. „Vorher haben sich viele gemeinnützige Organisationen in Einzelprojekten karitativ enga­giert. Diese haben in den 90er Jahren bei den Welt­konferenzen – wie zum Beispiel der Weltfrauenkon­ferenz – gemerkt, dass sie eine viel größere Macht haben, wenn sie sich zusammentun, politische Zie­le formulieren und diese an Entscheidungsträger herantragen.“

Eine Vielzahl an Advocacy-Instrumenten

Advocacy wird oft gleichgesetzt mit Lobbying, die Begriffe sind aber nicht synonym. Beim Lobbying versuchen Interessenvertreter durch persönliche Verbindungen in die Politik Gesetzesvorhaben im Sinne ihrer Klientel zu beeinflussen. Dafür treffen sich die Interessenvertreter informell mit politi­schen Vertretern. Darüber hinaus nehmen Lobbyisten an formellen Beteiligungsprozessen von Mi­nisterien teil, werden zu Konsultationsrunden ein­geladen und versuchen dort, ihre Themen zu plat­zieren. Sie können Fachkongresse veranstalten, an Gesprächsrunden, Kamingesprächen oder parla­mentarischen Frühstücken teilnehmen. Im Zentrum geht es aber immer um die Frage: „Wo ist der Mensch, der das beeinflusst, was ich gerne gestal­ten möchte?“

Advocacy-Spezialist Michael Herbst ist Leiter der politischen Arbeit bei der Christoffel- Blindenmission.

Michael Herbst ist Leiter der politischen Arbeit bei der Christoffel-Blindenmission. Foto: CBM

Um ein politisches Vorhaben in Gang zu setzen, kann Advocacy-Arbeit aber auch einen Umweg über die Öffentlichkeit nehmen. Indem die Ad­vocacy-Manager ihre Themen im öffentlichen Dis­kurs platzieren, können sie Druck auf die Politik ausüben. Die Werkzeuge sind vielfältig. „Advocacy ist ein viel breiterer Begriff als Lobbying“, sagt Mi­scho. „Man braucht ein Instrumentarium, um Politi­ker zu überzeugen. Instrumente sind Studien, Pres­searbeit oder parlamentarische Anhörungen. Ad­vocacy trägt somit zu erfolgreicher Lobbyarbeit bei.“

Michael Herbst leitet bei der Christoffel-Blin­denmission (CBM) ein Advocacy-Team von insge­samt neun Mitarbeitern, das sich politisch für die Rechte von Menschen mit Behinderung in Entwick­lungsländern einsetzt: „Häufig nutzen wir das Parla­ment als Instrument der Kontrolle der Regierung. Damit das Parlament kontrollieren kann, muss es entsprechend informiert sein.“

Ob Regierung oder Oppositionspartei: Ohne ei­nen Ansprechpartner, der ein offenes Ohr für die Belange der NGO hat, geht es nicht. „Man ist immer auf einen politischen Champion angewiesen – also auf jemanden, der sich des Themas annimmt“, sagt Herbst. „Wenn man Glück hat, ist es sogar der di­rekt zuständige Politiker oder Beamte. Wenn man nicht ganz so viel Glück hat, findet man jemand an­deren, der nicht zuständig ist, sich aber berufen fühlt, die Dinge anzugehen. Auch Verbündete in den Referaten, im Hause, sind gut, aber der politische Wille wird von oben vorgegeben.“ Auf der Suche nach Verbündeten ist eine gewisse Kenntnis des Berliner Politbetriebs und des Zusammenspiels zwischen Politik und Verwaltung unerlässlich.

Eine Million rote Hände

Auch Kampagnen sind ein beliebtes Mittel der Ad­vocacy-Arbeit: „Campaigning ist ein Plan für die Kommunikation“, erklärt Herbst. „Entscheidend ist immer die Frage: Was kriegt die Kampagne für eine Tonalität? Soll sie sachlich oder witzig sein oder be­inhaltet sie einen Vorwurf? Es braucht einen klaren Adressaten und eine klare Handlungsaufforde­rung.“

Mit einer Kampagne hat die CBM beispielsweise darauf hingewirkt, dass die Agenda für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen die Rechte von Menschen mit Behinderung berücksichtigt. Auch der oben genannte Fall, in dem es um die Schaffung der Stelle einer UN-Sonderbeauftragten für Kinder in bewaffneten Konflikten ging, ist ein Beispiel für Campaigning. „Wir haben gegenüber dem deut­schen Auswärtigen Amt und gegenüber den vielen Regierungsvertretungen in den Vereinten Nationen eine Kampagne gestartet“, sagt Mischo. „Wir ma­chen richtig Druck, wenn nicht viel passiert. In die­sem Fall haben verschiedene Organisationen ge­meinsam eine Million rote Handabdrücke gesam­melt“ – ein symbolischer Protest gegen das Blut an den Händen und den Missbrauch von Kindern als Soldaten. Heute hat die UN-Sonderbeauftragte sechs Mitarbeiter.

Unabhängige Daten

Zu den Aufgaben der UN-Sonderbeauftragten ge­hört auch, Daten zu erheben. „Vorher haben wir die Daten zu Kindersoldaten selbst gesammelt, jetzt er­hebt die UN-Sonderbeauftragte diese Zahlen syste­matisch“, sagt Mischo. „Unicef scannt in jedem Land die genaue Zahl von schwersten Kinderrechtsverletzungen, von ermordeten, von verstüm­melten Kindern.“

Daten von offizieller Stelle sind zentral für die Arbeit im Advocacy-Bereich. Nur wenige Quellen sind anerkannt, verlässliche Daten zu erheben. „Wir müssen unabhängige Zahlen haben, die akzeptiert werden. Denn es sind auch teilweise bewusst ver­breitete falsche Zahlen im Umlauf, etwa von Regie­rungen oder Medien“, sagt Mischo.

Betroffene berichten

Vor Ausbruch der Corona-Pandemie bedienten sich CBM und Kindernothilfe auch des Advocacy-Instru­ments, direkte Gespräche mit Betroffenen zu orga­nisieren – inzwischen finden solche Gespräche on­line statt. „Klassisch sind parlamentarische Früh­stücke, zu denen man eine Person mitbringt“, sagt Mischo. Zum Thema Kinder in Gefängnissen führte die Kindernothilfe zum Beispiel ein Gespräch mit dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages. Anlass war der Plan der philippinischen Regierung, das Strafmündigkeitsalter auf neun Jahre zu sen­ken. „Der eingeladene Jugendliche konnte von Ge­fängniserfahrung berichten: mit Gewalt, Vergewalti­gung, Traumata“, sagt Mischo. Es liegt nahe, dass die Gespräche mit Betroffenen einen tieferen Ein­druck hinterlassen als die Beschäftigung mit Zahlen und Fakten. Einen Termin für diese Art von Ge­spräch mit Politikern zu erhalten, ist aber alles an­dere als einfach. Mischo gibt zu bedenken: „Parla­mentarier werden so zugemüllt mit Forderungen, dass sie sich erstmal ein Bild davon machen müs­sen, was ernsthafte Forderungen sind und was nicht. Bei den 14-Stunden-Arbeitstagen von Abge­ordneten und ihren Mitarbeitern ist eine Menge Ar­beit dabei, unsachliche Forderungen rauszufiltern.“

Damit NGOs nicht gleich in diesem Filter hän­genbleiben, müssen sie entweder über ein enormes Gewicht in der Diskussion verfügen oder sich be­reits Vertrauen erarbeitet haben. Für Mischo ist der sogenannte Ecosoc-Status eine wichtige Hilfe: ein UN-Label, das NGOs einen Beraterstatus und somit Zugang zu Institutionen der Vereinten Nationen ge­währt. „Dort wird geprüft, ob eine Organisation wirklich in mehreren Ländern tätig ist, ob sie kor­rekte Daten sammelt oder Fakenews verbreitet, ob sie ‚UN-würdig‘ ist“, sagt Mischo. Auch die Kinder­nothilfe müsse alle paar Jahre nachweisen, dass sie im UN-System tätig ist.

Dass eine Organisation politische Vorhaben im Alleingang lostreten kann, halten beide Ad­vocacy-Experten für nahezu ausgeschlossen. Des­halb kann sich ein Zusammenschluss in Verbänden lohnen: Mischo ist in zahlreichen Bündnissen orga­nisiert, ist etwa Sprecher des deutschen und welt­weiten Bündnisses Kindersoldaten. Herbst sitzt un­ter anderem im Vorstand des Verbands Entwick­lungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nicht­regierungsorganisationen (Venro). „In Netzwerken verbreitert man sein eigenes Wissen“, sagt Herbst. „Und sie sind wirkmächtiger – allerdings auf Kosten der eigenen Sichtbarkeit.“

Aktuelle Beiträge

Bunte Vielfalt: Mit Immobilien lässt sich Nachhaltigkeit auf unterschiedliche Art und Weise umsetzen.
Sponsored Post
Mehr als nur Grün: Sozialer Impact von Immobilieninvestments Immobilien wirken in vielfältiger Weise auf Leben und Wohlbefinden von Menschen ein. Investoren können die soziale Nachhaltigkeit in Gebäuden und… weiterlesen