Wer an Kaffee denkt, dem könnte eine Marke schnell in den Sinn kommen: Dallmayr. Die Geschichte des Familienunternehmens lässt sich bis ins Jahr 1700 zurückverfolgen – doch sie begann nicht mit Kaffee. Firmengründer Christian Reitter betrieb damals ein Handelsgeschäft. 1870 erhielt es seinen heutigen Namen vom damaligen Inhaber Alois Dallmayr, der es 1895 an Anton Randlkofer verkaufte. Als dieser kurze Zeit später verstarb, übernahm seine Witwe Therese Randlkofer die Geschäfte und entwickelte Dallmayr zu einem in Europa wohlbekannten Delikatessenhaus: Dallmayr wurde königlicher Hoflieferant. Ein weiblicher Firmenchef war damals, wohlgemerkt, noch eine kleine Sensation. Auf Kaffee wurde ab 1931 verstärkt gesetzt: Die Not nach der Weltwirtschaftskrise zwang das Unternehmen, sich ein neues Standbein zu suchen.
Offenheit für Neues hat Dallmayr schon mehrfach zu Wachstumssprüngen verholfen. Die Dallmayr-Kaffeeautomaten beispielsweise waren in den 60er Jahren eine bislang unbekannte Erweiterung des Kaffeegenusses. Und der Bremer Kaffeekaufmann Konrad Werner Wille – seit 1933 bei der Firma Alois Dallmayr, seit 1963 als geschäftsführender Gesellschafter – brachte äthiopischen Kaffee unter der Marke Dallmayr auf Deutschlands Frühstückstische.

Simone Werle, jüngste Tochter des Firmenchefs Wolfgang Wille, leitet bei Dallmayr den Bereich Public Relations und die Kooperation mit Menschen für Menschen. Foto: Philip Schütz/Menschen für Menschen
„Bis heute sind wir einer der größten Verarbeiter äthiopischen Kaffees“, berichtet Simone Werle, jüngste Enkelin Konrad Werner Willes. Das Unternehmen wird heute von dessen Sohn Wolfgang Wille sowie dem Nachfolger der Randlkofer-Familie, Florian Randlkofer, geführt. Werle begann sich schon als Schülerin im Familienbetrieb zu engagieren und trat 2006 nach ihrem Journalismus-Studium in die Pressestelle bei Dallmayr ein. Heute leitet sie dort den Bereich Public Relations und ist auch für die Zusammenarbeit mit der Stiftung Menschen für Menschen – Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe (MfM) zuständig.
Der gemeinsame Nenner dieser Kooperation: Äthiopien. 1976 wurde Stiftungsgründer Karlheinz Böhm – als Schauspieler auch bekannt für seine Rolle als Kaiser Franz Joseph in der Sissi- Trilogie – auf einer Reise mit der Armut in Afrika konfrontiert, woraufhin er 1981 bei der Fernsehsendung „Wetten, dass …“ wettete, dass nicht einmal jeder dritte Zuschauer eine Mark für die afrikanische Sahelzone spenden würde. Zwar gewann er die Wette, dennoch kamen dabei mehr als eine Million D-Mark zusammen. Er gründete MfM und begann, sich nach dem Prinzip Hilfe zur Selbstentwicklung in Äthiopien zu engagieren.
Heute lebt Böhm nicht mehr, die Arbeit von MfM aber geht in seinem Sinne weiter – und wird seit 2008 mit Spenden von Dallmayr unterstützt. Seitdem hat das Unternehmen eine Schule und über 50 Millionen Baumsetzlinge im ostafrikanischen Land finanziert, erbaut und gepflanzt von MfM-Mitarbeitern.
„Reine Charity – also Almosen – ist weder nachhaltig noch zielführend, wenn man Menschen wirklich die Chance auf eine eigene Entwicklung ermöglichen möchte.“ Sebastian Brandis, Vorstand von Menschen für Menschen
Für ein Engagement in Äthiopien habe die Zusammenarbeit mit MfM „auf der Hand“ gelegen, erklärt Volker Meyer-Lücke, Chefeinkäufer für Rohkaffee bei Dallmayr und seit 20 Jahren im Unternehmen. „Keine andere Organisation ist so gut im Land verankert und akzeptiert.“ Selbst als Statue in der Mitte eines Kreisverkehrs der Hauptstadt Addis Abeba ist Gründer Karlheinz Böhm präsent. Und da MfM hauptsächlich lokale Mitarbeiter beschäftigt, ist die Stiftung inzwischen eine wichtige Arbeitgeberin im Land am Horn von Afrika.
Vernichtetes Potential
2019 begann man, die Zusammenarbeit der beiden Institutionen weiterzuentwickeln und 200 Kilometer südwestlich von Addis Abeba, im MfM-Projektgebiet Dano, gemeinsam eine Kaffeekooperative aufzubauen. Finanziert wird das Projekt derzeit etwa zu zwei Drittel von Dallmayr, zu einem Drittel von der Bayerischen Staatskanzlei. Ziel ist aber, dass es sich in drei Jahren durch den Verkauf des vor Ort produzierten Kaffees selbst trägt.
Derzeit leben die Einwohner des Hochplateaus überwiegend von Ackerbau und Viehzucht. Ursprünglich aber handelte es sich um ein Kaffeeanbaugebiet – bis Abholzung und Überweidung dieses Potential vernichteten. Nur geringe Teile der Bevölkerung haben dort heute Zugang zu sauberem Trinkwasser. Magen- und Darmerkrankungen sind die Folge, medizinische Behandlungsmöglichkeiten sind stark begrenzt.

Volker Meyer-Lücke, Chefeinkäufer für Rohkaffee bei Dallmayr (links), und Sebastian Brandis, Vorstand von Menschen für Menschen Foto: Philip Schütz/Menschen für Menschen
Durch Anpflanzung und Aufforstung wollen MfM und Dallmayr die Anbaufläche für Kaffee mindestens verdreifachen. Gemäß dem MfM-Ansatz wird dort aber nicht nur Kaffeeanbau vorangetrieben, sondern die gesamte Region in den Bereichen Landwirtschaft, Wasser, Bildung, Gesundheit und Einkommen gefördert, um langfristige Perspektiven zu schaffen.
Ein formeller Vertrag legt fest, wer welche Verantwortlichkeiten trägt. „Wir sind der Implementierer, der die Bevölkerung vor Ort vom Nutzen des Projekts überzeugt und trainiert, Setzlinge züchtet und die Infrastruktur ermöglicht“, definiert MfM-Vorstand Sebastian Brandis die Rolle seiner Organisation. Dallmayr begleite die komplette Lieferkette mit Expertise, Qualitätssicherung, Exportkontakten und Vermarktung. Dafür habe das Unternehmen ein Vorkaufsrecht auf den dort produzierten Kaffee für den Export. Noch spricht Meyer-Lücke zwar von „homöopathischen Mengen“, die regional in Äthiopien vermarktet werden. Der nächste Schritt aber soll der Export nach Deutschland sein.
Die Tatsache, dass Kaffee in Äthiopien einen hohen Stellenwert genießt spielt der Kooperation dabei in die Hände. Kaffee-Zeremonien sind kulturell, der Kaffeehandel wirtschaftlich zentrale Bestandteile der Gesellschaft. „Der Teufel aber liegt im Detail“, so Meyer-Lücke. Denn Kaffee ist eine sensible Pflanze und braucht besondere Voraussetzungen, um zu gedeihen. „Je höher das Anbaugebiet gelegen, desto qualitativ hochwertiger der Kaffee“, erklärt der Experte. Außerdem sei Kaffee ertragreicher, wenn er im Schatten wachse. Aufforstung, Erosionsschutz, Schattenpflanzen, Mischbepflanzung – all das spiele beim Kaffeeanbau eine große Rolle und setze Akzeptanz in der Bevölkerung voraus, die Bewirtschaftung ihres Landes umzustellen.
Zwar harmonieren diese Anbaubedingungen mit ökologischen und sozialen Zielsetzungen. Neben dem sozialen Engagement geht es Dallmayr aber auch aus wirtschaftlicher Sicht darum, die Wiege des Arabica-Kaffees zu stärken. Denn: Äthiopien ist eines der strategisch wichtigsten Kaffee-Ursprungsländer im Hause Dallmayr. Auch deshalb investiert das Unternehmen in die Menschen vor Ort. „Um nachhaltig die Qualität des Kaffees zu sichern, müssen die Menschen entsprechend ausgebildet sein“, bestätigt Meyer-Lücke. In Schulungen geben Dallmayr-Experten hierfür mehrmals im Jahr Wissen im Bereich Anbau und Verarbeitung sowie Produktion und Vermarktung von Kaffee an MfM-Mitarbeiter weiter. „Nur guter Kaffee hat langfristig Chancen, auf dem deutschen Markt rentable Preise zu erzielen“, weiß Meyer-Lücke.
Wirklich faire Zusammenarbeit?
Aber stehen wirtschaftliche Ziele nicht im Widerspruch zur Arbeit von MfM? Keineswegs, findet Brandis: „Reine Charity – also Almosen – ist weder nachhaltig noch zielführend, wenn man Menschen wirklich die Chance auf eine eigene Entwicklung ermöglichen möchte.“ Er sieht in der Kooperative ein Beispiel für faire und nachhaltige Zusammenarbeit von deutscher Industrie mit Kaffeeanbauregionen oder anderen Lieferketten. Aber auch für die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit. „Wir brauchen Investitionen und menschenwürdige Wirtschaftskooperationen, um für gute Einkommen und eine gute wirtschaftliche Entwicklung zu sorgen.“ Rund 50 neue Arbeitsplätze sollen durch die Kaffeekooperative langfristig entstehen.

Kaffeeernte in Dano: Im Projektgebiet der Stiftung Menschen für Menschen in Äthiopien soll die Kaffeeanbau-fläche verdreifacht werden. Foto: Philip Schütz/Menschen für Menschen
Hier in Deutschland äußert sich „faire und nachhaltige Zusammenarbeit“ meist in Labeln und Siegeln auf den Produktverpackungen. Geht es also in Wahrheit vor allem darum, den Umsatz zu steigern? Mit Labeln gehe man dem Wunsch der Verbraucher nach, sich zu orientieren, so Meyer-Lücke. Und der Forderung von Supermärkten, die sowas gerne in ihren Regalen haben. Er selbst halte jedoch mehr davon, soziale und ökologische Standards unabhängig von irgendwelchen Siegeln zu entwickeln und umzusetzen.
Und doch: Auch Dallmayr scheint auf den positiven PR-Effekt nachhaltiger Bemühungen nicht gänzlich verzichten zu wollen. Auch auf Dallmayr-Produkten sind Label wie Dallmayr Via Verde, Fairtrade, Rainforest Alliance, Jane Goodall oder das Logo von MfM zu finden. „Als eine Art Abkürzung in der Kundenkommunikation können Siegel durchaus sinnvoll sein“, gibt Meyer-Lücke zu. Die gesamte Geschichte hinter einem Produkt auf einer Kaffeepackung darzustellen, sei schlichtweg unmöglich. In den sozialen Medien berichte man dann ausführlicher, was hinter jedem Kaffee stecke.
Der Kaffee aus Dano wird zwar nicht so schnell in Supermärkten, dafür aber voraussichtlich noch in diesem Jahr im Laden des Stammhauses Dallmayr in München zu finden sein. Auf einer Banderole wolle man dann so gut wie möglich die Geschichte hinter dem Kaffee erzählen, verrät Meyer-Lücke. Und wer mehr wissen möchte, kann sich dort vertrauensvoll an die Dallmayr-Mitarbeiter wenden. Denn die wahre Geschichte hinter dem Kaffee reicht doch eigentlich bis ins Jahr 1700 zurück – und passt nun wirklich auf keine Kaffeepackung.