Wie oft Vorstand Stefanie Eckert mit „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ die Defa einordnen musste, ist nicht dokumentiert. Der in Co-Produktion mit der CSSR gedrehte Weihnachtsklassiker dürfte in der Bundesrepublik des Jahres 2021 der kleinste gemeinsame Nenner in Sachen allgemeiner Erinnerung an die Defa sein. Die Deutsche Film AG war ein „volkseigenes“ Unternehmen der DDR, in dem zwischen 1946 und 1992 mehrere Tausend Filme entstanden. Die Defa-Stiftung, errichtet von der Bundesrepublik, widmet sich seit 1998 diesem Korpus. „Unsere Hauptaufgabe ist es, Defa-Filme zu bewahren und zur Verfügung zu stellen“, sagt Eckert. „Wir wollen auch dazu ermutigen, sich mit dem Defa-Filmstoff auseinanderzusetzen.“
Das cineastische Erbe der DDR wirft Fragen auf in einer Gesellschaft, die 30 Jahre nach dem Mauerfall mehrheitlich nur geringen Bezug zum kulturellen Schaffen jenseits der früheren deutsch-deutschen Grenze hat. Darin liegt ein Teil des Auftrags der Stiftung. Eckert wirbt für einen genauen Blick auf die Werke. „Es gibt nicht den Defa-Film. Es gibt Komödien, Dramen, die für sich stehen, und es gibt Klassenkampfpropaganda. Die DDR-Funktionäre wollten natürlich politischen Einfluss nehmen, aber viele Filmemacher haben sich davon nicht leiten lassen, sondern eigene Kunstwerke geschaffen.“
Spiegel der Zeit
Ob explizit politisch oder nicht: Defa-Filme sind für Eckert ein Spiegel ihrer Zeit, zeigen die jeweilige Gegenwart – Geschichte vor der Linse. Selbst wenn die Drehbücher nicht unbedingt authentisch ausfielen, hätten Kostümbildner und Kameraleute versucht, ein möglichst lebensnahes Bild wiederzugeben. „Alles, was Sie in einem Film sehen, ist eine bewusste Entscheidung, angefangen bei der Kleidung: Schauspieler tragen ja nicht die eigenen Sachen – sie werden angezogen. Und da hat zum Beispiel eine Lederjacke eine Bedeutung. Eine Jeans bedeutet in einem Film aus der DDR sehr viel mehr als in einem Film aus der Bundesrepublik.“
Damit könnten Defa-Filme ein Mittel sein, sich Geschichte und Gesellschaft der DDR anzunähern. „Zum Beispiel in Kinderfilmen. Natürlich tauchen dort auch Jungpioniere auf. Daran kann man erklären, was das für eine Art von Organisation war, welche Aufgabe sie in diesem System hatte“, so Eckert. Entsprechend geht die Stiftung an Schulen und Universitäten, um mit Schülern und Studierenden zu diskutieren. Auch Festivals nutzen Eckert und Kollegen – jenseits von Corona – zum Austausch. Die Stiftung fördert zudem die Veröffentlichung von Artikeln und Büchern zu ihrem Arbeitsgebiet – etwa zum Thema „Inszenierte Realität: Defa-Spielfilme als Quelle zeitgeschichtlicher Deutung“. Die Stiftungswebsite bietet einen Fundus an Informationen zu Defa und Film in der DDR.
Digitalisierung über Jahrzehnte

Stiftungsvorstand Stefanie Eckert mit ihrem Vorgänger Ralf Schenk Foto: Reinhardt & Sommer
Damit die Vermittlung funktioniert, müssen die Filme überhaupt zugänglich sein. „Ein wesentlicher, aufwendiger Teil unserer Arbeit ist die Bewahrung des Materials“, sagt Eckert. Bewahrung bedeutet nicht erst 2021 Digitalisierung. In der elektronischen Verewigung der analogen Streifen in Einsen und Nullen steckt bei aller Technik viel Detailarbeit. „Wir haben eine eigene Abteilung, die sich damit beschäftigt, wie die analogen Bilder auf der Leinwand ausgesehen haben, und setzen die digitale Bearbeitung entsprechend um.“ Das bedeutet für jeden Film, der digitalisiert wird, großen Aufwand – zum Teil finden sogar im Kino Testläufe statt, um die Farbkorrektur zu prüfen. Nach Möglichkeit kommen auch die Künstler von einst zu Wort. „Es macht viel Spaß, gerade wenn Filmemacher sich beteiligen. Wir ziehen zum Beispiel Kameraleute hinzu – wenn sie noch leben und Lust dazu haben. Die Zeitzeugen werden jedoch immer weniger.“
Die Stiftung versucht, im Jahr rund 50 Filme zu digitalisieren, Lang- und Kurzfilme. „Wir haben eine Prioritätenliste, die sich ständig erweitert und verändert. Abhängig von der Nachfrage etwa durch Filmwissenschaftler und Kuratoren. „Das ist eine Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte“, sagt Eckert über das Defa-Oeuvre von 750 Spielfilmen, 2.000 Dokumentationen, 2.000 Wochenschauen und 950 Trickfilmen. „Wir versuchen, in allen Filmarten eine Balance zu halten. Inzwischen haben wir rund 250 Spielfilme, 150 Dokfilme und 150 Trickfilme digitalisiert.“ Die Stiftung greift bei der Verbreitung auch auf Dienstleister zurück. Auf einem von ihrem Vertrieb Icestorm betriebenen Youtube-Kanal etwa lassen sich die Filme kostenlos, aber mit Werbeunterbrechungen anschauen. Den Kinoverleih betreut die Defa-Stiftung gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Kinemathek hingegen selbst. „Dieser trägt sich kommerziell einfach nicht“, sagt Eckert. Vor der technischen Bearbeitung muss die Defa-Stiftung juristische Fragen klären, insbesondere ob die Rechte, wie üblich, tatsächlich umfassend an die Defa und damit an die heutige Stiftung übergegangen sind. „Wenn nicht, müssen wir zum Beispiel Literatur- und Musikrechte nacherwerben – wenn das finanziell möglich ist. Es gibt auch Fälle, in denen horrende Summen nötig wären und es einfach nicht geht. Dann wird der Film gesperrt.“ Ebenfalls zum juristischen Bereich gehört die Frage des Merchandising. „Damals dachte niemand an eine Decke mit Motiven aus ‚Drei Haselnüsse für Aschenbrödel‘“, sagt Eckert.
Fehlendes Mäzenatentum
Solche Merchandising-Artikel können bei der Finanzierung helfen. Der Grundstock der Defa-Stiftung besteht aus den Filmrechten sowie acht Millionen Euro, die kurz nach Stiftungsgründung durch einen Immobilienverkauf erzielt wurden. „Das Geld ist angelegt, wir erhalten auch immer noch eine Dividende – wenn auch weniger als vor der Finanzmarktkrise 2008. Mit drei Prozent sind wir gut dabei. Die Erträge machen aber nur noch rund 15 bis 20 Prozent unseres Budgets aus.“ Wichtiger seien die Einnahmen aus der Verwertung der Filme über DVD, TV und Internet, die die Hälfte ausmachen – die sogenannte Klammerteilverwertung bringe Tantiemen, wenn in einer Produktion Archivmaterial verwendet wird, dessen Rechte bei der Defa-Stiftung liegen. „Die dritte Säule ist die Förderung zur Digitalisierung durch den Bund, die zweckgebunden ist.“
Spenden spielen laut Eckert eine eher vernachlässigbare Rolle. „Das ist ein schwieriger Markt. Film wird weniger als eine Kunst angesehen, für die man spendet, sondern immer noch als kommerzielles Gut.“ Die Spendenbereitschaft sei nicht so hoch wie in anderen Bereichen, obwohl der Film eine der teuersten Künste sei. Auch gebe es in Deutschland kein entwickeltes Mäzenatentum für Filmkunst wie in anderen Ländern.
Fluch und Segen des Streamings
Die Voraussetzungen, Menschen mit Inhalten zu erreichen, sind heute technisch besser denn je. Doch der Segen der Streaming-Welt kann auch ein Fluch sein. „Streaming ist einfach verfügbar, aber man wird schwerer gefunden“, sagt Eckert über die Vielfalt, in der Algorithmen und etablierte Prägungen den Ton angeben. So seien die Chancen, im linearen Medium Fernsehen oder mit einer sichtbar im Laden stehenden DVD wahrgenommen zu werden, mitunter deutlich besser. „Filme wie unsere werden selten auf der Startseite präsentiert. Dadurch ist es schwierig, neue Zielgruppen zu erreichen.“ Die treuesten Zuschauer seien Menschen mit DDR-Biographie zwischen 50 und jenseits der 70 Jahre. „Junge Menschen zu erreichen, ist deutlich schwieriger“, sagt Eckert. „Sie kennen die Defa nicht. Doch das ist kein Ostphänomen. Es gibt unserer Erfahrung nach auch kein großes Bewusstsein für westdeutsches Filmerbe.“ Film spiele eben als Kunstform in der Schule keine Rolle.
Dieses Bewusstsein zu schaffen, steht, so Eckert, im Zentrum der Arbeit an Schulen und Universitäten. Nach Corona geht es wieder hinaus ins Land und andere Länder. Dass die Stiftung ihren aktuellen Sitz im Redaktionsgebäude des Neuen Deutschlands, in der DDR ein SED-Parteiorgan, hat, gehört zu den ironisch anmutenden Anekdoten, hat aber inhaltlich keine Bedeutung. „Wir sind vor drei Jahren hier eingezogen, nachdem in unserem alten Gebäude eine Staffelmiete etabliert wurde, die wir uns vielleicht noch zwei, drei Jahre hätten leisten können“, sagt Eckert. „Das war ein Glücksfall. Bezüge zur Partei Die Linke haben wir nicht.“