Bürgerstiftungen mobilisieren eine Milliarde Euro

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Im kommenden Jahr feiert die Bürgerstiftung in Deutschland ihr 30-jähriges Bestehen. 1996 entstand in Gütersloh die erste ihrer Art in Deutschland. Drei Jahrzehnte später ist die Form des Stiftens etabliert, so der aktuelle Report Bürgerstiftungen 2025.

„Bürgerstiftungen wachsen kontinuierlich sehr gut. Sie werden langsam, aber sicher mit zu den größeren Stiftungen gehören“, sagt Bernadette Hellmann, stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung Aktive Bürgerschaft, die sich als Support-Organisation der deutschen Bürgerstiftungen beschreibt. Alle zwei Jahre erhebt sie Daten zur Stiftungsform. „Wir erhalten Antwort von drei Vierteln der Bürgerstiftungen“, sagt Hellmann. Der Wert bezieht sich auf die insgesamt 435 Stiftungen, die die Kriterien erfüllen. Hinter ihnen stehen 400.000 Engagierte. „Es gibt noch deutlich mehr, die sich Bürgerstiftung nennen.“

Kontinuierliches Wachstum

Erstmals haben deutsche Bürgerstiftungen insgesamt eine Milliarde Euro mobilisiert, so Hellmann. „Das setzt sich zusammen aus einem Stiftungskapital von rund 684 Millionen Euro sowie 264 Millionen Euro Spenden und über 50 Millionen Euro Fördermitteln seit 1996.“ Das Wachstum in dem Sektor, den die Stiftung Aktive Bürgerschaft gerne als Mitmachstiftung bezeichnet, entwickle sich kontinuierlich gut.

Ein Drittel der Stiftungen treibt das Vermögenswachstum besonders stark an. Zustiftungen gehen vor allem an solche Bürgerstiftungen, die Stiftungsfonds anbieten – so fließt neues zweckgebundenes Kapital zu. „Es wird tatsächlich mehr gestiftet als gespendet“, sagt Hellmann. Die anderen zwei Drittel setzten zum Teil andere Schwerpunkte, etwa auf operative Tätigkeiten, das Einwerben von Spenden oder ein hohes Maß an Ehrenamt. Nicht alle verfolgten das Thema Wachstum besonders intensiv: „Da sehen wir unsere Aufgabe darin, mit Weiterbildung und Fachaustausch zu unterstützen. Der erste Stiftungsfonds ist oft der schwerste.“

Besonders dynamisch hinsichtlich des Wachstums war der jüngste Berichtszeitraum: In den vergangenen zwei Jahren wuchs das Stiftungskapital um 130 Millionen Euro, es wurden 46,4 Millionen Euro an Spenden gesammelt und 64,6 Millionen Euro in Projekte investiert. Die höchste Fördersumme überhaupt wurde 2024 mit 33 Millionen Euro erreicht.

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Seit 1996 flossen 338 Millionen Euro direkt in das lokale Gemeinwohl. Im Durchschnitt verfügt eine Bürgerstiftung über ein Stiftungskapital von 1,6 Millionen Euro – die Spannweite reicht von kleinen Stiftungen mit 15.000 Euro bis zu Großstiftungen mit 66,6 Millionen Euro Kapital. Durchschnittlich werden jährlich 52.000 Euro Spenden eingeworben, wobei die Bandbreite von 150 Euro bis zu 2,7 Millionen Euro reicht. Fördermittel in Höhe von durchschnittlich 76.000 Euro pro Jahr fließen lokal in Projekte, minimal 50 Euro, maximal bis zu vier Millionen Euro.

Bürgerstiftungen leben von der Beteiligung zahlreicher Engagierter: Im Schnitt engagieren sich 52 Menschen ehrenamtlich pro Stiftung, in Einzelfällen bis zu 420. Auch die Anzahl der Stifter ist beeindruckend: Durchschnittlich sind es 100, in einzelnen Stiftungen bis zu 900 Personen. Mehr als 1.000 Menschen haben ihre eigene Stiftung als Stiftungsfonds oder Treuhandstiftung unter dem Dach einer Bürgerstiftung gegründet. In den vergangenen zwei Jahren kamen 110 neue Stiftungsfonds hinzu.

Genossenschaftsbanken stechen heraus

Zu den wichtigsten Förderern zählen die Genossenschaftsbanken: 377 der 435 Bürgerstiftungen erhalten Unterstützung durch mindestens eine Volksbank oder Raiffeisenbank, sei es durch finanzielle Zuwendungen, ehrenamtliches Engagement oder die Bereitstellung von Infrastruktur. Damit sind Genossenschaftsbanken die größte Stiftergruppe und vielfach auch Gründungsstifter oder Förderer von Bürgerstiftungen.

Bürgerstiftungen sind eine partizipative Form des Stiftens. „Sie haben sich als attraktive Plattform für Stifterinnen und Stifter etabliert. Das liegt wesentlich auch am Prinzip: Jeder kann dabei sein, sich mit Zeit oder Geld engagieren“, betont Hellmann. Dieser Ansatz finde viel Rückhalt vor Ort. „Gerade in Zeiten, in denen sich viele fragen, wer noch stiftet, zeigen die Zahlen, dass Bürgerstiftungen angekommen sind“, so die stellvertretende Geschäftsführerin weiter.

Die professionelle Arbeit der ehrenamtlichen Gremien sei ein Erfolgsfaktor. 80 Prozent der Stiftungen schätzen ihre Aufstellung als gut ein – ein Wert, der auch in den Vorjahren stabil blieb. „Kompetenzen, Netzwerke und Kooperationen mit Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik sind hoch entwickelt“, sagt Hellmann. Unverändert bleibe aber die Herausforderung der Gremiennachfolge sowie die Gewinnung und Bindung von Ehrenamtlichen.

Tim Goldau ist Redakteur bei DIE STIFTUNG. Nach einer kaufmännischen Ausbildung und dem Studium der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Literatur, Kultur, Medien an den Universitäten Marburg und Siegen arbeitete er in der Redaktion eines Außenhandelsverlags.