Das Niedrigzinsumfeld stellt Stiftungen vor Herausforderungen in der Kapitalanlage. Mit ausgefeilter Risikoabsicherung, diszpliniertem Investmentvorgang und handwerklich gut umgesetzten langfristigen Strategien – kurz: der Professionalisierung der Vermögensanlage – könnten Stiftungen aber adäquat reagieren. So lautet das klare Ergebnis der Zürcher Debatte, die im Kulturzentrum Helferhaus in der Kirchgasse stattfand
Von Stefan Preuß

Philippe Bonvin ist Leiter der Einheit Outcome Driven Investments (ODI) bei Vontobel Asset Management.
DIE STIFTUNG: Herr Bonvin, wie sehen Sie die aktuelle Situation an den Kapitalmärkten: Ist die Zinswende mit dem Anstieg seit Mitte April eingeleitet?
Philippe Bonvin: Wir hatten in den vergangenen Jahren mit immer tiefer fallenden Zinsen für die Bondanleger ein sehr freundliches Marktumfeld. Dies nicht zuletzt wegen der starken Interventionen der verschiedenen Zentralbanken seit 2008/2009. Durch diese Eingriffe haben wir es heute mit stark beeinflussten und tief gehaltenen Zinsen zu tun. Früher konnten Stiftungen Staatsanleihen kaufen, bis zur Fälligkeit halten und von den Erträgen die Inflation ausgleichen und ihren Verpflichtungen nachkommen. Heute müssen die Stiftungen verstärkt Risiken eingehen, um diese Ziele zu erreichen. Dies ist vertretbar, so lange eine risikokontrollierte Anlagestrategie umgesetzt wird, die die Portfoliorisiken aktiv steuert, diversifiziert und schnell und flexibel auf Marktänderungen reagiert. Die Lösung kann nicht sein, Renditeziele zum Beispiel einfach durch den Kauf einer 30-jährigen italienischen Staatsanleihe erreichen zu wollen. Denn damit würden Stiftungen stark konzentrierte Risiken eingehen. Die Situation heute ist für Stiftungen zwar schwieriger, aber sie ist beherrschbar.
DIE STIFTUNG: Das Wort flexibel ist gefallen. Herr Föllmi, gilt es heute für Stiftungen generell, dass sie flexibler sein und ihr Kapital aktiv managen müssen?
Diego Föllmi: Ich bin davon überzeugt. Wir denken nicht, dass eine grosse Zinswende bevorsteht, aber es gibt ein Aufwärtspotenzial. Das ist in absoluten Zahlen nicht so gross, aber es kann relativ gesehen gross sein, und das ist das Problem. Das Aufwärtspotenzial wird dabei weniger von den fundamentalen Gegebenheiten getrieben, sondern mehr vom Risiko her. Die Spreads zwischen Staatsanleihen und High Yields werden sich verändern, weil Investoren sich wieder vermehrt über Risiken bewusst werden. Auch bei den Aktien ist insgesamt gesehen einiges an Risiko über die Bewertung drin. Wir analysieren die Performancequalität des Aktienmarktes, aber auch der einzelnen Firmen, mit einem Total Shareholder Value Ansatz. Das heisst, dass wir den fundamentalen Beitrag von Umsatzwachstum, Margenwachstum, Dividende und den Effekt der Bilanzverdichtung (Delaveraging) zur Performance messen und die Differenz zur Marktperformance einer Erwartungsprämie entspricht. Diese Analyse zeigt, dass die Erwartungsprämien derzeit in einigen Märkten, wie z.B. Europa oder in der Schweiz, relativ hoch sind, auch im historischen Vergleich. So betrachtet sind von der Bewertung her die Risiken im Aktienmarkt in den letzten Monaten angestiegen. Vergleicht man es aber mit anderen Assetklassen wie Anleihen, relativieren sich die Risiken etwas.
DIE STIFTUNG: Das hätte vor zehn Jahren niemand für möglich gehalten: Mehr Risiko auf der Anleihenseite als am Aktienmarkt?
Bonvin: Die Volatilität wird bei den Aktienmärkten weiterhin höher sein als im Rentenmarkt. Aber trotzdem werde ich auf Sicht mit einer Nestlé besser fahren als mit einer Schweizer Staatsanleihe, die derzeit negative Zinsen abwirft. Irgendwann wird der Zins auch in der Schweiz wieder steigen, und dann wird sich eine langlaufende Staatsanleihe bewegen.