Ihre Ausbildung oder ihr Studium absolvieren junge Schweizer Designer häufig im Ausland. Die Ikea-Stiftung Schweiz greift ihnen dabei finanziell unter die Arme. Gesuche bewertet sie nach ihrem kreativen Potenzial – ökonomische Kriterien hätten in der Kunst nichts zu suchen.

Auf der Liste der bekanntesten Schweden steht Ikea-Gründer Ingvar Kamprad unweigerlich unter den Top 5. 1943 gründete er die Möbelhauskette in seinem Heimatland, 1963 eröffnete die erste Filiale in Norwegen, dann expandierte das Unternehmen europaweit. Mittlerweile haben Menschen auf der ganzen Welt ein Billy-Regal oder einen Poäng-Sessel in ihrer Wohnung stehen.

Privat lebte Ingvar Kamprad mit seiner Familie lange in der Schweiz. Hier gründete er 1973 die Ikea-Stiftung Schweiz. Sie unterstützt angehende Schweizer Designer, Künstler und Architekten dabei, eine Ausbildung oder ein Studium im Ausland zu absolvieren. Konkret übernimmt die Stiftung Studiengebühren und Materialkosten für Projektarbeiten in den drei Bereichen Architektur, Design und Kunsthandwerk.

Die Projekte, die mit einer Stiftungsförderung umgesetzt werden, sind vielseitig. Unter den Referenzen finden sich eine aus Thermoplast-Stäben geformte Brille, eine Seenotrettungsdrohne, ein Tiny Home, eine Beinprothese aus recycelten Kunststoffabfällen, Lampen und vieles mehr. Einige der Erfinder dieser Arbeiten gewannen mit ihnen Preise, andere starteten eine steile Designer-Karriere.

Aus der Szene für die Szene

Trotz dieses Erfolgs betreibt die Stiftung keine Öffentlichkeitsarbeit. „Ingvar hat die Stiftung nicht gegründet, um Ausstellungen zu zelebrieren, sondern um junge Designer zu fördern und ihnen finanziell unter die Arme zu greifen“, erklärt Stiftungsratspräsident Christophe Marchand, der Kamprad noch persönlich kannte. „Das Geld der Stiftung soll schnell dorthin fließen, wo es wirken kann.“

„Ingvar hat festgelegt, dass der Stiftungsrat immer aus Brancheninsidern besteht.“

Christophe Marchand, Stiftungsratspräsident

Auch Christophe Marchand hat während seiner Ausbildung zum Möbeldesigner eine Förderung der Ikea-Stiftung Schweiz empfangen. Einige Jahre später kontaktierte ihn ein ehemaliger Professor, ob er seine Stelle im Stiftungsrat übernehmen wolle. „Ingvar hat festgelegt, dass das Gremium immer aus Brancheninsidern besteht“, erklärt Marchand. „Daher werden die Posten immer aus dem Netzwerk der bisherigen Ratsmitglieder besetzt, öffentliche Ausschreibungen gibt es keine.“

Auch aktuell sind die sechs Stiftungsratsmitglieder hauptberuflich weiterhin in ihren jeweiligen Disziplinen aktiv: Leonhard Fünfschilling ist Architekt, Ariana Pradal Rinderknecht Ausstellungskuratorin und Journalistin, Christoph Stäheli Raumplaner in Zürich, Christophe Marchand Designer. Hinzu kommen zwei Vertreter des Ikea-Konzerns: Jessica Anderen, CEO von Ikea AG (Switzerland), und David Affentranger, Kommunikationsmanager einer Ikea-Tochterfirma mit Sitz in den Niederlanden. Gemeinsam verstehen sie sich als Kompetenzzentrum.

„Kunst funktioniert nicht nach Businessplan“

„Wir möchten das kreative Potential hinter den Gesuchen erkennen und fördern, das kann niemand, der nicht selbst künstlerisch tätig ist“, ist Marchand überzeugt. Dass es bei der Auswahl der Gesuche nicht um betriebswirtschaftliche Erwägungen gehe, sei Stärke und Glück des Stiftungszwecks: „Kunst funktioniert nicht nach Businessplan.“

Jedes Jahr gehen etwa 80 Dossiers bei der Ikea-Stiftung Schweiz ein. Geschäftsführer Raphael Rossel, hauptberuflich Designer und Kommunikationsdienstleister, sichtet sie und sortiert einzelne aus, die dem Stiftungszweck nicht entsprechen. Alle übrigen leitet er an die anderen Stiftungsratsmitglieder weiter. In drei Sitzungen pro Jahr entscheiden sie gemeinsam über die Gesuche. Dabei hat immer dasjenige Stiftungsratsmitglied eine vordergründige Beratungsfunktion, dessen Disziplin das jeweilige Dossier entstammt.

„Wir treffen Entscheidungen sehr pragmatisch und schnell“, zeigt Marchand sich zufrieden, Patt-Situationen habe es bei der Abstimmung noch nie gegeben. Etwa 20 Gesuche heißt das Gremium in jeder Sitzung gut. Rossel übernimmt im Anschluss die Kommunikation mit den Gesuchenden, begründet, weshalb sie den Zuschlag erhalten haben oder nicht.

Stiftung sucht Talente an Hochschulen

Das Anwerben potentieller Förderempfänger geschieht unbürokratisch an der Basis. „Da wir Stiftungsräte alle unsere eigenen Berufe verfolgen und an Hochschulen lehren, sind wir in der Szene sehr aktiv und lernen ständig neue Leute kennen“, berichtet Marchand. Ausstellungen von Diplomarbeiten an Designschulen besuchen er und seine Stiftungsratskollegen regelmäßig aus eigenem Interesse.

Dort sprechen sie mit den jungen Leuten über deren Ideen und Pläne. „Und wenn mir eine Diplomandin erzählt, dass sie in Großbritannien einen Master machen möchte, gebe ich ihr den Tipp, ein Fördergesuch bei uns einzureichen.“ Diese Praxisnähe funktioniert für die Stiftung besser als laute Öffentlichkeitsarbeit.

Die Vermutung liegt nahe, dass Ingvar Kamprad seine Schweizer Stiftung auch gegründet hat, um Kontakt zu vielversprechendem Designnachwuchs aufzubauen, der nach abgeschlossener Ausbildung die Entwicklungsabteilung von Ikea voranbringen kann. Inwiefern das Kamprads Hintergedanke war, vermag Marchand nicht zu bewerten. Die Designabteilung von Ikea sitze in Schweden und habe keine Berührungspunkte mit der Stiftungsarbeit in der Schweiz. Nur für die Finanzierung sind sie verbunden: Jährlich stellt der Möbelkonzern der Stiftung eine Summe von 600.000 Schweizer Franken für ihre Arbeit zur Verfügung.

Digitalisierung fordert die „altgedienten Designer“

So unbeeindruckt die Ikea-Stiftung Schweiz dadurch von Entwicklungen am Kapitalmarkt ist, so sehr beschäftigt sie aktuell der Technologiewandel. Neue Werksmethoden, KI-generiertes Design, Entwurfsvorstellung mit Virtual Reality – die digitale Welt hält auch für die geförderten Disziplinen der Ikea-Stiftung Schweiz viele neue Möglichkeiten bereit. „Wir möchten weiterhin bewerten können, wie relevant ein bei uns eingereichtes Projektdossier tatsächlich ist. Das können wir altgedienten Designer aber kaum noch“, bedauert der 56-jährige Marchand.

Analog zum digitalen Wandel schießen neue Studiengänge aus dem Boden oder bestehende ändern sich. Dem eigenen Anspruch gerecht zu werden, die besten Studiengänge im Ausland ihrer jeweiligen Disziplinen zu kennen und bewerten zu können, verlangt eine immer zeitintensivere Recherche von den Stiftungsratsmitgliedern und dem Geschäftsführer.

Verjüngung im Stiftungsrat ohne Werteverlust

Die naheliegendste Antwort auf den Wandel ist eine Verjüngung des Stiftungsrates – Marchand und seine Mitstreiter haben sie bereits angestoßen. Ein Posten im laut Satzung eigentlich siebenköpfigen Gremium ist schon länger unbesetzt, ein Stiftungsratsmitglied erwägt, demnächst auszuscheiden. Eine Altersgrenze ist für Stiftungsräte nicht festgelegt. Bei den Neubesetzungen möchten sie eine weitere Disziplin ins Gremium holen: Textildesign. „In der Schweiz hat dieses Handwerk eine große Tradition, und die Entwicklung neuartiger Textilien wird maßgeblich von hiesigen Designern getrieben“, erklärt Marchand. In ihren Netzwerken forschen sie bereits nach einer geeigneten Fachperson.

„Mir ist es wichtiger, die richtigen Personen zu finden, als den Zeitpunkt zu erzwingen.“

Christophe Marchand, Stiftungsratspräsident

Bei diesem Generationenumbruch den Spirit zu erhalten, der dem Stifter Ingvar Kamprad wichtig war, hält Marchand für eine Herausforderung. „Früher kannten alle Stiftungsratsmitglieder die Familie Kamprad persönlich, Ingvar hat sich regelmäßig bei uns erkundigt, wie die Fördervergabe läuft, und seine Frau Margaretha war lange selbst im Stiftungsrat.“ Weil die pragmatische Art und Weise, mit der sie handelten und auftraten, untypisch für die Designszene ist, sei es eine Herausforderung, diesen Geist zu bewahren.

Für den Nachfolgeprozess lassen sich Marchand und seine Kollegen daher Zeit. Ebenso wie Marchands Professor ihn damals initiativ für das Gremium anwarb, sind die aktuellen Stiftungsräte bereits im Gespräch mit jungen Leuten aus ihrem Netzwerk, darunter sowohl ehemalige Förderempfänger als auch erfolgreiche Nachwuchstalente. Wer die freien Posten letztlich füllt, wollen die Stiftungsräte wieder gemeinsam entscheiden. „Mir ist es wichtiger, die richtigen Personen zu finden, als den Zeitpunkt zu erzwingen“, sagt Marchand. Kreative Förderempfänger, unprätentiöse Fördervergabe – so soll es auch die nächste Generation halten bei der Ikea-Stiftung Schweiz.

Info


Auch in Deutschland gibt es eine Ikea-Stiftung, die 1981 von den deutschen Ikea-Gesellschaften gegründet wurde. Sie fördert Initiativen zu den Themen Wohnen und Wohnkultur, Verbraucheraufklärung sowie Projekte für Kinder und Jugendliche. Das Grundstockvermögen umfasst 20 Millionen Euro. Eine organisatorische Verbindung zur Ikea-Stiftung Schweiz existiert nicht.

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