Im Gespräch mit Jörg Arnold (Caritas Schweiz) über die Schlagkraft eines grossen Verbandes und seinen Einsatz für Menschen in Not und Armut

DIE STIFTUNG: Vor welchem Hintergrund wurde Caritas ursprünglich ins Leben gerufen?
Jörg Arnold: Die Geschichte von Caritas Schweiz reicht zurück ins Jahr 1901. Eine Vielzahl von katholischen Vereinen, die ohne zentrale Planung auf spontane Weise auf die grosse soziale Not des 19. Jahrhunderts reagiert hatten, schlossen sich damals zu einer grösseren und schlagkräftigeren Organisation, zum Schweizerischen Caritasverband, zusammen. Mit Erholungsaufenthalten für Kinder aus kriegsgeschädigten Ländern begann 1919 die Auslandsarbeit. Bis heute blieb die Arbeit für Arme und sozial Benachteiligte in der Schweiz jedoch eine zentrale Aufgabe der Caritas.

DIE STIFTUNG: Was ist momentan das dringlichste Anliegen von Caritas Schweiz?
Arnold: Wir haben verschiedene dringliche Anliegen. In unserer Auslandsarbeit beschäftigen uns zum Beispiel die Kürzungen der staatlichen Budgets in der Entwicklungszusammenarbeit. Wir sind der Meinung, dass eine wirkungsvolle Entwicklungszusammenarbeit nicht nur wichtig, sondern auch möglich ist. Das zeigen ja auch die Erfolge, die in den vergangenen Jahrzehnten erzielt worden sind: Noch nie in der Menschheitsgeschichte gingen so viele Kinder zur Schule wie heute und trotz bedrohlichem Klimawandel geht der Hunger zurück. Weil wir nicht nur davon überzeugt sind, sondern aus eigener Erfahrung wissen, dass unsere Arbeit für die Ärmsten wirkt, suchen wir vermehrt die Zusammenarbeit mit Stiftungen, die Gutes tun wollen und wie wir für Menschen in Armut und Not kämpfen.
Auch in der Inlandsarbeit beschäftigt uns ein immer raueres soziales Klima. Unter dem Spardiktat von Kantonen und Gemeinden findet in der Schweiz ein Sozialabbau statt. Die Sozialhilfe wird teils massiv gekürzt, Prämienverbilligungen für Krankenkassen werden reduziert, Familienergänzungen gestrichen. Das in der Bundesverfassung garantierte Recht auf Existenzsicherung wird untergraben und darunter leiden eine Million Menschen, die in der Schweiz unter oder am Existenzminimum leben, ganz konkret, jeden Tag. Dagegen wehrt sich die Caritas: Es darf nicht sein, dass auf dem Buckel und an der Zukunft der Ärmsten gespart wird.
In der Katastrophenhilfe schliesslich beschäftigt uns die Situation der syrischen Flüchtlinge und Kriegsvertriebenen in Jordanien, im Libanon und in Syrien selber. Es besteht ein riesiger Bedarf in der Not- und bald auch in der Wiederaufbauhilfe – aber es wird nicht einfach sein, die dafür notwendigen Mittel zu beschaffen.

Arnold

In Nepal baut Caritas Schweiz nach dem verheerenden Erdbeben mehr als dreissig Schulen wieder auf.

DIE STIFTUNG: Inwiefern sind Sie mit der deutschen Organisation verbunden? Oder auch mit anderen der nationalen Caritasverbände oder dem Dachverband?
Arnold: Wir arbeiten in der Entwicklungszusammenarbeit und in der Katastrophenhilfe auf verschiedenen Ebenen mit dem Deutschen Caritasverband zusammen. Wichtige weitere Partnerschaften innerhalb des internationalen Caritas-Netzwerkes verbinden uns zum Beispiel mit Caritas Norwegen, Caritas Luxemburg oder auch der englischen CAFOD, der Catholic Agency For Overseas Development. Und selbstverständlich sind wir in vielen wichtigen Arbeitsgruppen von Caritas internationalis, dem Dachverband der 165 nationalen Caritas-Organisationen, vertreten. Diese länderübergreifende Zusammenarbeit ist der Grund, warum die Caritas in der Katastrophenhilfe weltweit solch eine bedeutende Rolle spielt.

DIE STIFTUNG: Neben alldem sind Sie im Netzwerk „Caritas Europa“ zusammengeschlossen. Können Sie uns erklären, was genau darunter zu verstehen ist?
Arnold: Caritas Europa ist der kontinentale Zusammenschluss der europäischen Caritas-Organisationen. Hugo Fasel, der Direktor von Caritas Schweiz, ist im Vorstand vertreten. Aufgabe von Caritas Europa ist neben der organisatorischen Entwicklung und Stärkung ihrer Mitglieder auch die Koordination der humanitären Hilfe in Europa und die politische Einflussnahme in der europäischen Sozialpolitik. Caritas Europa ist wohl eine führende Stimme, wenn es um Armut und Migration in Europa geht.

DIE STIFTUNG: Wie finanziert Caritas Schweiz sich?
Arnold: Es ist für Caritas Schweiz zentral, über einen ausgewogenen und stabilen Finanzierungsmix zu verfügen. Risiken sollen kalkulierbar bleiben und es sollen keine einseitigen Abhängigkeiten entstehen, welche die Stabilität unserer Projekte gefährden könnten. Aus diesem Grund versuchen wir uns in der Mittelbeschaffung möglichst breit aufzustellen. Die Auslandsarbeit wird von der Schweizerischen Eidgenossenschaft ebenso finanziert wie von der Europäischen Union oder der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Bedeutend ist auch die Partnerschaft mit der Glückskette, einer Stiftung, die Spenden sammelt und in humanitäre und soziale Projekte fließen lässt. Häufig auch in Caritas-Projekte.
Das institutionelle Fundraising über solche Partnerschaften mit nationalen und internationalen Stiftungen, mit der öffentlichen Hand und zunehmend auch mit privaten Unternehmen ist für uns sehr wichtig, genauso aber auch das Fundraising bei privaten Spendern. Und nicht zu vergessen: Auch die Kirche ist für uns ein relevanter Partner.

DIE STIFTUNG: Wie genau generieren Sie Spenden?
Arnold: Wir pflegen ein breites Portfolio von Fundraisinginstrumenten – vom Direct Mailing über digitale Kanäle bis zum bereits erwähnten institutionellen Fundraising. Wir sind dabei bestrebt, den Aufwand für die Spendenwerbung so schmal wie möglich zu halten. Nur rund 5 Prozent unserer gesamten Aufwände verwenden wir dafür – und damit dürfen wir uns auch im Benchmark blicken lassen. Dass wir bei unserer Arbeit auf treue und überzeugte Spenderinnen und Spender zählen dürfen, ist dabei ein grosses Privileg.

DIE STIFTUNG: Welche speziellen Tipps möchten Sie anderen Hilfsorganisationen noch mit auf den Weg geben?
Arnold: Haben Sie Mut, Profil zu entwickeln und mit Ihren Botschaften einfach und klar zu sagen, was sie machen und wofür sie einstehen. Haben Sie auch den Mut zu sagen, was Sie nicht machen. Seien Sie in Ihrer Kommunikation transparent und offen. Das macht Sie zwar angreifbar, ist aber die Basis von Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Und vergessen Sie nie, wofür und für wen Sie arbeiten.

Das Interview führte Martina Benz.

www.caritas.ch

Jörg Arnold

 

 

 


Jörg Arnold
ist Leiter der Abteilung Fundraising und Marketing bei Caritas Schweiz.

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