In den Assetpreisen wurde sie bereits länger diskutiert, nun ist die Inflation auch in Form des Verbraucherpreisindex gestiegen. 5,3 Prozent gab das Statistische Bundesamt für Deutschland im Dezember an. An Faktoren für die Geldentwertung mangelt es nicht, zugleich ist die Gemengelage komplex. „Wir müssen strukturelle und transitorische Faktoren unterscheiden“, sagt Reinhard Pfingsten, Chief Investment Officer der Bethmann Bank. Vorübergehende Faktoren seien etwa die wieder angehobene Mehrwertsteuer, der Basiseffekt gegenüber 2020 und die Lieferkettenproblematik, ebenso die Situation am Energiemarkt, zumal mit den jüngsten Kapriolen. „Diese Effekte drücken die Inflation künftig eher nach unten“, so Pfingsten.
Struktureller Natur und damit auch perspektivisch inflationssteigernd hingegen seien Entwicklungen wie die Entflechtung der USA und Chinas sowie eine neue chinesische Wirtschaftspolitik, die stärker auf Service statt Produktion setzt. „China hat als günstiger Produzent jahrelang Deflation exportiert. Das verändert sich.“ Auch der demographische Wandel in den Industrieländern wirke inflationär, ebenso Maßnahmen gegen den Klimawandel und die Tendenz zu lokaleren Lieferketten. Die Reaktionen auf die Situation können ebenfalls kausal wirken, so Pfingsten: Sollten die Lohnabschlüsse auf Inflationsniveau steigen, käme eine Lohn-Preis- Spirale in Gang – auch wenn Konsumenten versuchen sollten, Anschaffungen möglichst früh zu tätigen, trüge dies zur weiteren Geldentwertung bei.
In diesem Umfeld rücken die Notenbanken erneut in den Blick. Während die Federal Reserve in den USA im März mit ersten Zinsschritten beginnen könne, habe die Wirtschaft in Deutschland und Europa noch nicht wieder Fuß gefasst, erklärt Pfingsten. „Für die EZB kommt öffentlicher Druck, die Zinsen anzuheben, daher viel zu früh.“ Die europäische Notenbank hat eigentlich andere Pläne. Zwar laufe das EZB-Notfall-Ankaufprogramm im März aus, so Andreas Fiedler, Director Institutional Clients bei EB-SIM. Doch „der sehr langsame Ausstieg auf dem Pandemie-Ankaufprogramm wird durch ein weiteres Programm noch länger in die Zukunft gestreckt – europäische Anleger in realen Werten und Aktien sollte das jedenfalls beruhigen“.
Damit verfolgen beide Wirtschaftsräume aktuell einen entgegengesetzten Kurs. Die „Fed hat eine 180-Grad-Wende vollzogen“, betont Christoph Hott, Leiter Vermögensverwaltung Deutschland bei BNP Paribas Wealth Management. Bis zu vier Zinsanhebungen preise der Markt für 2022 ein. „Bis Dezember könnte der US-Leitzins bei über einem Prozent liegen. Der schnelle Wechsel von einem expansiven zu einem restriktiveren Kurs ist eine andere Welt gegenüber der Situation zuvor.“ China hat derweil die Leitzinsen leicht gesenkt, um die Wirtschaft anzukurbeln.
Kein Paradigmenwechsel für Stiftungen
„Die Notenbanken werden insgesamt eine höhere Inflation in Kauf nehmen“, sagt Till Keulen, Leiter Stiftungen Deutschland bei BNP Paribas Wealth Management. „Zugleich rechnen wir nicht mit einer dramatischen Entwicklung, die etwa zweistellige Raten bedeuten würde. Vielmehr gehen wir davon aus, dass sich die Inflation langfristig wieder einpendeln wird.“ Bethmann-CIO Pfingsten erwartet ebenfalls eine Stabilisierung auf etwas höherem Niveau: „Für die USA sehen wir einen Pfad zu 2,5 bis drei Prozent, in Europa etwas darunter, eher zwei Prozent.“ Die Vorzeichen haben sich also geändert, doch einen Paradigmenwechsel bedeutet dies für Stiftungen nicht.
„Es mag abgedroschen klingen: Aber die Investition in Aktien, das heißt in Produktivkapital, bleibt Pflicht“, betont Keulen. Ein Zurück zu Strategien früherer Tage mit bestbewerteten Anleihen steht im inflationären Umfeld demnach nicht an. Inflationsbereinigt werden auch zehnjährige US-Staatsanleihen perspektivisch negativ rentieren. Auf der Habenseite steht die globale wirtschaftliche Entwicklung. „Wir halten eine Stagflation, ein sehr geringes Wachstum bei gleichzeitig hoher Inflation, für recht unwahrscheinlich“, so Fiedler. „Wir rechnen zwar noch einige Quartale mit einer Inflation auf erhöhtem Niveau, doch das gilt im Gegenzug auch für das Wirtschaftswachstum, das sich mit dem sich abzeichnenden Pandemie-Ende verstetigen wird.“ Pfingsten rechnet in den kommenden zehn Jahren mit durchschnittlich etwa 5,5 Prozent Rendite an den internationalen Aktienmärkten, was in allen aktuell breiter diskutierten Szenarien unterm Strich eine deutlich positive Rendite bedeuten würde.
Damit bleibt es bei der Empfehlung an Stiftungen, zu prüfen, ob sie ihre Möglichkeiten im Aktienbereich schon in dem für sie passenden Maß nutzen – zugleich aber zu berücksichtigen, dass Inflationsschutz mittel- bis langfristig wirkt. „Aktien sollten als Portfoliobaustein langfristig geplant sein“, so Keulen – um die nicht geringer werdenden Schwankungen aushalten zu können. Je nach Branche können Unternehmen unterschiedlich schnell auf Kostensteigerungen reagieren. Dass sie es überhaupt können, indem sie über Preissetzungsmacht in ihrer Branche und eine starke Bilanz verfügen, sind für Hott zwei zentrale Aspekte einer gelungenen Auswahl. Schulden werden zwar im Zuge der Inflation ebenso entwertet wie nominelle Guthaben, doch die höheren Zinskosten drücken die Bewertung der Unternehmen. Generell verlieren für die Zukunft erwartete Gewinne im neuen Zinsumfeld an Wert, wie die Kurse hoch bewerteter Wachstumsunternehmen in den vergangenen Wochen gezeigt haben.
Analyse wird wichtiger
„Wir können von bipolaren Aktienmärkten sprechen“, sagt Christoph Hott. „Wenn wir uns den Eurostoxx 50 anschauen, ist aus der klassischen Normalverteilung, bei der die Aktien um ein mittleres Bewertungsniveau schwanken, ein U geworden.“ Auf der einen Seite finden sich Unternehmen, für die Anleger unter fundamentalen Gesichtspunkten hohe Preise zu bezahlen bereit sind, „auf der anderen Seite stehen extrem niedrig bewertete Aktien“. Es sei wichtig, in diesem Umfeld die passenden Werte – zwischen den Extremen – zu finden. „Im vergangenen Jahr war eine hohe Gewichtung im Aktienbereich äußert lukrativ – 2022 wird es entscheidend sein, wie sich das Aktienportfolio zusammensetzt. Die Auswahl geeigneter Titel wird wichtiger, da wir einen deutlichen Anstieg der Volatilität erwarten“, so Fiedler.
Ein Umstand, der aktivem Management zugutekommen sollte. Doch auch damit dürften sich stärkere Schwankungen nicht vermeiden lassen, will man das Stiftungskapital erhalten – unabhängig von der Assetklasse. „Volatilität ist zum Beispiel auch bei Immobilien vorhanden“, sagt Hott. „Ich sehe sie nur nicht, solange ich nicht verkaufe.“