Die Leonidas Network Stiftung fördert eigentlich den Programmierer-Nachwuchs für freie Software. Doch momentan steht sie mit ihrem Projekt „Unschulbar“ in der Öffentlichkeit. Unter dem Motto „Du bist nicht deine Schulnoten“ ruft Unschulbar Schüler dazu auf, ihre Zeugnisse zu rauchen.
Von Christine Bertschi
„Entschuldigung, haben Sie vielleicht mal Feuer?“, fragt ein Jugendlicher und zieht eine überdimensionale Zigarette aus seiner Umhängetasche. „Aha, viel Spaß, was ist das denn, ein Zeugnis!? Dann hau mal rein“, kommentiert der Passant, der das Feuerzeug zückt.
Wenn es nach George Papa, Initiator des Projekts „Unschulbar“, ginge, würden wir auf Deutschlands Straßen öfters mit solchen Szenen konfrontiert. Doch noch ist dies erst im Internet der Fall: „Du musst 18 Jahre oder älter sein, um deine Schulzeugnisse rauchen zu dürfen! Rauchen kann tödlich sein!“ steht unter dem YouTube-Video. Anfang Februar wurde es hochgeladen, seither knapp 1.400-mal angeklickt. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass Unschulbar im März und April eine Deutschland-Tournee plante, wofür sie in 16 Städten Protestveranstaltungen mit je 1.000 Teilnehmern anmeldete.
“Noten schaden mehr als sie helfen”
George Papa, studierter Architekt und Projektmanager, hat selbst vier Kinder. Auch ihnen würde er erlauben, die Schule abzubrechen und die Zeugnisse zu vernichten: „Aber erst wenn sie wissen, was sie wollen. Dann sollen sie sich auf das konzentrieren, was dafür wichtig ist.“
Papas Engagement gegen Schulnoten rührt denn auch nicht aus seiner eigenen Schulzeit – er war ein Einserschüler –, sondern aus einer Sorge seines Sohnes. Der Achtjährige sagte im vergangenen Oktober zu ihm: „Papa, ich bin dumm.” – „Warum?“ – „Weil ich schlechte Noten habe und Nachhilfe brauche.”
Noten schaden mehr als sie helfen, da ist sich Papa sicher: „Alle Kinder haben Begabungen. Es liegt an uns, ihre Neugier und ihren Drang zum Forschen und Entdecken zu fördern. Und nicht dieses Feuer durch Notendruck und ein veraltetes System zu ersticken.“ Würden die Noten abgeschafft, so Papa, hätten die Lehrer kein Druckmittel mehr. Dann müssten sie die Schüler begeistern: „Begeisterung ist die Grundlage für das Lernen: Wenn ich mich für etwas begeistere, kann ich mich stundenlang damit beschäftigen“, erklärt er.
Die Idee, dass Zeugnisse fortan geraucht werden sollen, entstand spontan. Zum Team von Unschulbar gehören neben George Papa ein BWLer, zwei Journalisten, ein Schulabbrecher, ein Lehrer und Hobby-Schriftsteller sowie mittlerweile mehr als 300 Unterstützer. Letztere sind Unternehmer, Angestellte, Journalisten – Lehrer und Schüler hingegen sind in der Unterzahl.
LeonidasNet ist erst später als Organisation dazugestoßen. „Seit eine Stiftung dahinter steht, kommt unser Vorhaben in der Öffentlichkeit besser an und wird ernster genommen“, berichtet der Initiator von Unschulbar. Die Leonidas Network Stiftung fördert eigentlich den Programmierer-Nachwuchs für Open Source Software, Papa arbeitet dort als Projektleiter.
„Wir sind uns bewusst, dass sich das System nicht so einfach ändern lässt. Unser Ziel ist, eine öffentliche Diskussion anzuregen“, konstatiert Papa. Das Zeugnisrauchen sei eine symbolische Aktion, die lustig ankommen soll. Freunde vom Rauchen sind Papa und seine Mitstreiter zwar nicht, „aber mir wäre am liebsten, wenn alle Zeugnisse von heute auf morgen abgeschafft würden“.
Besorgnis von Seiten der Politik
Weniger lustig fand die Idee zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister Mathias Brodkorb. Er wandte sich besorgt an die Eltern und bat sie, vor der Zeugnisausgabe durch die Schulen vorsorglich mit den eigenen Kindern über die geplante Aktion zu sprechen: „Um diesen Unsinn zu verhindern“, so der SPD-Politiker.
Das Thema ging Anfang dieses Jahres durch die Medien, von vielen wurde Papa als Wirrkopf bezeichnet. Doch beirren lässt er sich dadurch nicht. „Die Wenigsten mögen es, wenn man ihnen die Wahrheit präsentiert. Doch das Schulsystem steckt in der Krise, die Politiker wissen das genau. Lehrer, Eltern und Schüler sind frustriert“, erklärt er.
Von der Politik vermisst er Diskussionsbereitschaft und Interesse für sein Projekt: „Nur ein einziger Abgeordneter hat angerufen und wollte mal hinter die Kulissen blicken. Das würde ich eigentlich vom jedem erwarten.“ Papa möchte herausgefordert werden und streiten – „doch Politiker machen nur, was die Stimmung in der Bevölkerung gerade sagt“. An Wissen, Beispielen und Erfahrung, um seine alternativen Bildungsmethoden begründen zu können, würde es ihm nicht fehlen.
Bildungsminister Brodkorb hingegen spricht von „Verachtung und Geringschätzung“, wenn er das Projekt Unschulbar beschreibt: „Sie beschimpfen auf ihrer Internetseite Lehrerinnen, Lehrer und Eltern gleichermaßen“, ließ er verlauten.