Afrika ist der Kontinent, auf dem Europäer heute ihre Fehler „bewundern“ können, die sie vor einhundert oder zweihundert Jahren gemacht haben. Auch im Senegal sind die Spuren der Kolonialherrschaft bis heute sichtbar, aber das Land versucht einen sichtbaren Entwicklungsschritt hinzubekommen. Die Chancen dafür stehen gut. Umso mehr, wenn die Europäer dabei so sachgerecht helfen, wie es auf einer vom Internationalen katholischen Missionswerk missio initiierten Projektreise zu beobachten war.

Von Tobias M. Karow

Tag 1, 17.2.: Aufbruch in eine andere Welt

Bei minus 5 Grad Celsius startet die elfköpfige Reisegruppe in München und fliegt über Brüssel nach Dakar. Dort erwartet uns ein dichtes Menschengedränge sowie Mor, der Führer unserer Gruppe. Koffer und Taschen werden durch eines der hinteren Fenster unseres Kleinbusses eingeladen. Auf der Einfallstraße gen Innenstadt dann ein für europäische Augen ungewohntes Bild: Straßenhändler säumen die Autobahn und bieten ihre Waren bis kurz nach Mitternacht an. Im Hotel angekommen, kommen wir aus dem Staunen kaum heraus. Nahezu europäisches Flair, etwas steril vielleicht, guter Service, Meernähe sowie ein gepflegter Poolbereich. Aber Senegal war und ist das nicht, das zeigt sich bereits am nächsten Tag.

Tag 2, 18.2.: Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen

Schon eine Fahrt durch die senegalesische Hauptstadt offenbart ein Bild, wie es sinnbildlich für Afrika steht. Es sind für Europäer bedrückende Bilder von Dreck, Müll, halbfertigen oder zerfallenen Fassaden. Gleichwohl sind die zumeist jungen Menschen fröhlich, offensichtlich optimistisch für die Zukunft gestimmt, wenn sie beispielsweise aus dem Kofferraum ihres Autos an einer Straßenecke ofenfrische Baguettes verkaufen.

Optimismus wurde auch beim Besuch des ersten Projekts sichtbar. An der Seitenstraße einer großen, vierspurigen Straße liegt hinter einer sandfarbenen und mit violetten Blumen geschmückten Mauer das Haus der guten Hirtinnen. Hier lernen zehn Frauen kochen, häkeln, bügeln, rechnen, eben alltägliche Dinge. Auch ihre Kinder werden hier versorgt. Darüber hinaus erbringen die Schwestern Basisarbeit anderer Art, indem sie beispielsweise zehn Gebote zum richtigen Wählen propagieren.

Für das zweite Projekt des Tages, eine Art Wohnheim beispielsweise für junge Studentinnen, müssen wir ins „härteste“ Viertel Dakars aufbrechen. Die Straßen hier sind Sandpisten, die Fenster der Häuser sind vorwiegend vernagelt. Auf der Straße liegen vereinzelt völlig verarmte Gestalten – das Ende der Hoffnung ist hier greifbar.

Das Wohnheim öffnet sich hinter einem hohen rotbraunen Tor, besteht aus wenigen sandfarbenen Gebäuden, von denen eines durch einen Wasserschaden völlig zerstört ist. In der Mitte liegt ein Innenhof, er soll der trostlosen Umgebung etwas Grün einhauchen. Die Mädchen stammen aus dem Senegal, Burkina Faso und Mali, studieren oder machen eine Ausbildung und könnten durchaus eine Chance haben, einen einträglichen Job zu ergattern.

Unser Führer Mor meint: „Studiere isse schön, aber ohne Arbeit isse niche wert.“ Viele würden im Senegal studieren, jedoch nicht bedenken, dass es beispielsweise im Gesundheitswesen oder der Landwirtschaft gut bezahlte Arbeitsplätze gebe.

Im Projekt Nummer drei sollen 100 Jugendliche über ein Programm zur Wertevermittlung als Multiplikatoren für Jüngere dienen. Ihnen werden Werte eines modernen Staatengebildes vermittelt, die sie dann wiederum in andere Organisationen und Regionen des Landes weitertragen. Evaluiert wird über nachgelagerte Treffen vor Ort sowie Wiederholungen der Vermittlungskurse. Demokratie lässt sich sicher nicht ad hoc lernen, aber wenn die Schulen derlei Werte nicht zu vermitteln in der Lage sind, müssen dies andere Programme leisten.

Tag 3, 19.2.: Wenn Gesichter Geschichten erzählen

Nun geht es am dritten Tag gen Südosten, in Richtung Thies. In den Nachrichten werden Bilder von Protesten im Rahmen der Wahlen gezeigt, und Thies soll ein Zentrum dieser Unruhen sein.

Wir besuchen eine weitere Einrichtung für Frauen, genauer jene, die einen Ausstieg aus der Prostitution suchen. Sie sind zwischen 23 und 53 Jahren alt, verdienen pro Nacht rund 10 EUR. Nur zu häufig kommt es allerdings vor, dass die Zuhälter ihnen wenig oder gar nichts von ihrem Lohn lassen. Vielen von ihnen wird nicht selten auch mit Gewalt der Lohn für ihre Dienste vorenthalten. Die Gesichter der Frauen erzählen diese Geschichten eindrücklich, manche hat dazu noch Brandwunden am Körper, viele haben Alkohol- und Drogenprobleme.

Ein paar Fähigkeiten werden ihnen hier mit auf den Weg gegeben, aber mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein sind die Anstrengungen aktuell noch nicht. Zu groß ist die Zahl derer, die in einer ähnlichen Situation vor sich hin vegetieren.

Überhaupt vegetieren: Der Senegalese lebt im Müll, so jedenfalls kommt es einem Europäer vor. Die Müllabfuhr, die einstmals aufgebaut wurde, fährt nicht mehr, weil der Staat die Fahrer nicht mehr bezahlt. Wohin das Geld stattdessen fließt? In die Taschen der Politiker, so heißt es.

Tag 4, 20.2.: Auf den Spuren der Wolofs

Von Thies geht es mit 100 Stundenkilometern und einer Portion Angst ob des Zustands des Kleinbusses nach Süden, in Richtung Toubakouta. In Gegenden wie diesen zeigt sich eines der typischsten Bilder Afrikas: seine unendliche Weite. Rechts und links der Straße erstrecken sich endlose Wiesen, auf denen zahlreiche Akazien – aus denen im Übrigen ein Mittel gegen Bluthochdruck gewonnen wird – vor sich hindämmern und die Regenzeit herbeisehnen.

Vorbei an den fast schon versteppten Wiesen mit ihren Akazienbäumen und zahlreichen, unvermittelt die Straßen kreuzenden Zebuherden sowie auf wenig bis kaum ausgebauten Sandpisten halten wir plötzlich am Straßenrand. Nur wenige Meter müssen wir zu Fuß gehen, um das Wolof-Dorf zu erreichen. Dort leben Angehörige einer ethnischen Gruppe, die im Senegal 40% der Bevölkerung ausmacht.

Hier ist der Mensch noch eins mit der Natur, hier leben die Menschen in völligen Einklang mit dem, was ihnen Flora und Fauna zu bieten imstande sind. Wir sehen kleine Ziegen, frisch geborene junge Küken, einige wenige Erwachsene und eine Horde neugieriger Kinder, für die weiße Haut und rote Haare etwas Faszinierendes an sich haben.

Durchschnittlich verdient ein Senegalese 40.000 CFA, also rund 65 EUR – die Bewohner des Wolof-Dorfes müssen mit einem Bruchteil dessen auskommen, wirken aber dennoch mehr als zufrieden. Zumal sie nicht wirklich arm sind, denn ihr Reichtum sind die Tiere, die sie bei Bedarf eben auf einem der zahlreichen Viehmärkte veräußern.

Abends dann der totale Kontrast: Nur wenige Kilometer weiter, wieder vorbei an etlichen verfallenen Hütten und Läden, erstreckt sich eine terrassenartig angelegte Hotellandschaft. Inmitten des Mangrovenwaldes so eine Anlage zu realisieren, verlangt schon ein gewisses Maß an Verdrängungskunst. Denn wie viele Kinder ließen sich mit den hier investierten Mitteln ernähren

Tag 5, 21.2.: Ruhetag

Tag 6, 22.2.: Ein Tag der Extreme

Weitere zwei Stunden Fahrt in Richtung Küste, auf verschlungenen Schlaglochpisten. Unser Ziel ist M’Bour, laut Reiseinformation der Stadt der Nepper und Schlepper. Das Projekt liegt abermals inmitten eines Problemviertels, wo die Schwestern zum heiligen Hirten mit ihrer Arbeit ein Leuchtturmprojekt realisieren. Die Schwestern sind vor allem Streetworker.

Eine kleine Sketch-Vorführung der Kinder, merklich herausgeputzte Frauen, eine Fotosession mit den Insassen der Einrichtung, all das zeigt, wie stolz man hier auf die Hilfe aus dem Ausland ist. Weil sie etwas bewegt, und zwar in die richtige Richtung.

Wie weit der Weg dabei immer noch ist, zeigte dann der Besuch in den Wohnquartieren der Frauen und ihrer Familien. Schon die Fahrt in die Quartiere gerät zum Abenteuer. Die Straßen sind voll von Menschen, an Kreuzungen liegt ein Duft von geschmortem Fleisch in der Luft, zusätzlich erfüllt von Stimmengewirr und leichtem Staub. An jeder Ecke werden Waren feilgeboten. Schallt es aus einem dunklen Winkel, hängen Händler irgendwelche Obststauden durch das geöffnete Busfenster.

Einmal links, zweimal rechts, nur langsam schlängelt sich der Bus durch die von Menschen, Tieren, Autos, Müll und Unrat gesäumten Straßen. Kaum vorstellbar, dass es sich hier leben lässt. Den Gegenbeweis bekommen wir aber prompt präsentiert: Neun Quadratmeter, es ist dunkel, keine Farbe an den Wänden. Dazu stickige Luft, ein kleines Fenster, von einem Blechdeckel abgedeckt. In der Ecke sauber aufgehängte Rucksäcke für die Kinder, eine kleine Feuerstelle, eine Art Sitzbereich. Im anderen Raum stehen zwei Betten, alles ist finster.

Hier lebt eine für gewöhnlich neunköpfige Familie, die Frau ist Mutter und Prostituierte zugleich, der Mann verdingt sich als Gelegenheitsarbeiter. Mitleid jedoch wollen Senegalesen nicht, dafür sind sie zu stolz.

Tag 7, 23.2.: Auf dem Markt

„Ey, guck ma, deutse Mann“, so in etwa werden wir an diesem Tag x-mal angesprochen, während der Besichtigung eines kleinen Handwerkermarktes unweit von Dakar. In Handarbeit werden hier Trommeln, Figuren, Skulpturen und zweiteilige Stühle aus Holz gefertigt. Handwerklich haben Senegalesen viel zu bieten: Es ist beeindruckend zu sehen, wie filigran sie mit großen Werkzeugen ein Stück Teakholz bearbeiten können. Ihr Geschick könnte ein hohes Gut sein in einem im Aufbau begriffenen Land.

Tag 8, 24.2.: Blick zurück nach vorn

Am letzten Tag der Senegalreise steht noch ein touristischer Höhepunkt auf dem Programm, aber einer mit enormer Symbolkraft. Mit der Fähre setzen wir auf die unmittelbar vor den Toren Dakars liegende Insel Gorre über, bekannt als ehemalige Sklavendeportationsstation.

Vom Hafen sind es dreihundert Meter Fußweg, dann durch ein kleines Tor in einen Innenhof mit den Maßen zwölf mal zehn Meter. Um diesen Hof herum platziert sind die ehemaligen Zellen, in denen die Sklaven bis zu ihrem Abtransport vegetieren mussten. Vegetieren ist das richtige Wort, denn an den Füßen festgekettet, kauernd, mit Bohnen und Salz gemästet in dunklen, feuchten, windigen und nur mit Schießscharten-ähnlichen Fensterschlitzen ausgestatteten Verließen bis zu drei Monate auf den Transport warten zu müssen, ist schlicht unmenschlich. Kein Wunder, dass von den rund 15 Mio. Sklaven, die Afrika verließen, mehr als drei Viertel starben.

Die Tür ohne Wiederkehr, jener letzte Ausgang, über den das Sklavenschiff zu besteigen war, hat bis heute etwas Bedrohliches an sich. Die Sklavenhändler überwachten das Treiben vom ersten Stock aus – und beim Anblick dessen fröstelt es einen angesichts der Kälte und Brutalität, mit der die Europäer und ihre afrikanischen Kollaborateure viele Menschen behandelten.

Unser senegalesischer Führer weist mit Bestimmtheit darauf hin, dass dieses Gebäude für alle Zeiten erhalten werden müsste, um die Nachwelt über die humane Katastrophe zu informieren. Gleichzeitig müsse es ein Symbol für ganz Afrika sein, sich dem Joch anderer Herren entledigt und damit das afrikanische Selbstvertrauen gestärkt zu haben.

Dass dem so ist, lässt sich an vielen Ecken beobachten. Beispielsweise am grazilen und stolzen Gang senegalesischer Frauen, dem greifbaren Optimismus in den Straßen Dakars und den Plänen, die das Land trotz vieler Unwägbarkeiten, auch im Zuge der Präsidentschaftswahlen, schmiedet.

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