Wie diese Förderung aussieht, sollen wir am Nachmittag erfahren. Auf dem Weg zum Förderzentrum Centre socio-éducatif pour enfant handicapé durchqueren wir zur Mittagszeit Agadir. Nicht nur an den in knalligen Farben gekleideten Passanten und ihren kurzen Hosen ist zu erkennen, dass wir in einer Touristenregion angekommen sind. Auch die Häuserfassaden in gepflegtem Weiß oder Pastelltönen verraten, dass die Stadt in guter Erinnerung bleiben möchte. Zwei Männer, die trotz unvorteilhaftem Body Mass Index in freiem Oberkörper die Straße hinuntergehen, lassen außerdem erkennen, dass es sich hier um einen Badeort handelt. Die Hoteldichte ist so hoch, dass sich sogar die WLANs überlappen.
Etwas anders sieht der Stadtrand aus. Nur wenige Kilometer außerhalb des Hotelviertels ist die Zahl der verschleierten Frauen deutlich angestiegen. Statt Läden, die mit leuchtenden Werbeschildern auf sich aufmerksam machen, gibt es Obst- und Gemüsehändler mit Eselskarren. Generell sind am diesem frühen Nachmittag nur wenige Menschen auf den Straßen unterwegs. Hier hat das Förderzentrum seinen Sitz.

Erzieherin Khadija Ahmani übt mit den Kindern, das Kreuz auf einem Stück Papier zu finden. Von den Lernfortschritten ist auch ihr Chef Abidate Abdelouahept angetan. Foto: Gregor Jungheim
Direktor Abidate Abdelouahept, der selbst ein zu kurzes rechtes Bein hat, und auf Krücken geht, führt uns durch seine Einrichtung. 120 Kinder und Jugendliche ab vier Jahren mit unterschiedlichen Behinderungsgraden werden hier betreut, lernen und spielen Raum an Raum. In einem kümmert sich eine Mitarbeiterin um Kinder mit starken Behinderungen, die an einer Poliokrankheit leiden und ihre Besucher aus Rollstühlen mit speziellen Kindersitzen staunend ansehen. Aus der Musikanlage erklingt ein französisches Kinderlied. Ein paar Räume weiter geht eine Betreuerin immer wieder eine scheinbar einfache Übung durch. Sie hält einem Jungen ein Stück Papier mit drei aufgeklebten grauen Quadraten hin. Er muss nun zeigen, welches davon mit einem Kreuz markiert ist. Das Kind liegt jedes Mal richtig und bekommt großes Lob von der Betreuerin. Die Übung mag simpel anmuten, doch betont Thomas Schiffelmann von Handicap International: „Die Kinder müssen erst einmal erlernen, einfachste Dinge ohne die Hilfe der Eltern zu schaffen.“ Kinder, die dies gemeistert haben, trainieren anhand von Geschicklichkeitsspielen ihre motorischen Fähigkeiten. Überraschend ruhig ist es in einem weiteren Raum, wo die Betreuten Bilder ausmalen. Hier ist eine Integrationsklasse untergebracht, also Kinder, die eine Schule besuchen können. Am jenem Nachmittag wiederholen und üben sie den Unterrichtsstoff.

Gemeinsam heben Direktor Abidate Abdelouahept und Bewegungstherapeutin Raja Berouiar ein Kind in einen extra für ihn angefertigten Rollstuhl-Kindersitz. Foto: Gregor Jungheim
Auch eine kleine Werkstatt ist in dem Förderzentrum untergebracht. Eine Bewegungstherapeutin und ihr Assistent fertigen dort gerade einen speziellen Kindersitz für einen Rollstuhl an. Der Nutznießer, ein Junge von acht oder neun Jahren liegt still auf der Liege daneben. Er ist ganz neu in der Einrichtung. Direktor Abdelouahept packt mit an, als seine beiden Mitarbeiter das Kind in den Rollstuhl heben und anschnallen.
Auch wenn niemand den Wert ihrer Arbeit infrage stellt und auch hier die Warteliste lang ist, steht es finanziell nicht gut um die Einrichtung, die ein Gesamtbudget von 300.000 EUR im Jahr benötigt und seit anderthalb Jahren defizitär arbeitet. Gelder aus einem staatlichen Förderfonds sind bereits zugesichert, jedoch ist ungewiss, ob dieser tatsächlich aufgesetzt wird und wann die Mittel ausgezahlt werden. Und es gibt noch ein Problem: Nach dem 16. Geburtstag müssen die Schützlinge die Einrichtung verlassen und es ist stets unsicher, was aus ihnen wird. „Bekommen sie keine weitere Förderung, kommt es häufig vor, dass die Jugendlichen die antrainierten Fähigkeiten wieder verlieren“, beklagt der Schuldirektor.
Fortsetzung folgt…