Thomas Erdle ist ein Freund klarer Worte. Das Deutschlandstipendium? Vernachlässige soziale Kriterien. Die Stipendien der Studienstiftung des deutschen Volkes? „Reine Elitenförderung.“ Die aktuelle Stiftungslandschaft? „Man hat den Menschen suggeriert, dass man auch mit kleinem Kapital Stiftungen gründen kann – nur hat man die Wirksamkeit außer Acht gelassen.“ Seit 23 Jahren leitet Erdle als Geschäftsführer den Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds. Was also ist gute Bildungsförderung aus seiner Sicht? Und was macht der Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds anders als andere Einrichtungen, die Stipendien vergeben?

Thomas Erdle ist seit 23 Jahren Geschäftsführer des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds.
Der Name des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds rührt daher, dass die Stiftung zwei Fonds verwaltet: den Stiftungsfonds mit einem Volumen von rund 160 Millionen Euro und den Gymnasialfonds mit etwa 79 Millionen Euro. Die Stiftung unterstützt mit Stipendien, Mentoring und Förderprojekten junge Menschen in ihrer Ausbildung. Laut Jahresbericht gab die Stiftung 2018 rund 2,8 Millionen Euro für ihre Förderzwecke aus.
Nach eigenen Angaben ist der Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds einzigartig in seiner Verwaltungsform: Es handelt sich um eine Stiftung öffentlichen Rechts, die allerdings ausschließlich privates Vermögen verwaltet. Das ist historisch bedingt: Gegründet wurde der Fonds 1800 im Zuge der Besatzung des Rheinlands durch Frankreich unter Napoleon. „Napoleon hat die alte Universität aufgelöst, die Stiftungsvermögen, die an der alten Universität hingen, zentralisiert und einem Gremium von fünf Kölner Bürgern übergeben. Die sollten das Vermögen im Sinne des Stiftungszwecks einsetzen“, sagt Erdle. Bei den Stiftungen handelte es sich vornehmlich um Studienstiftungen Kölner Jesuiten. Die älteste der Studienstiftungen, die in den Fonds eingegangen ist, stammt aus dem Jahr 1422. Die jüngste indes ist noch kein halbes Jahr alt: Im Juni wurde die 300. Stiftung unter dem Dach des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds gegründet.
Schenkung unter Auflagen

Die Bibliothek der Stiftung birgt alte Schätze.
Wie funktioniert der Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds? „Bei uns ist eine Stiftungsgründung eine Schenkung unter Auflagen. Die Auflage ist der Stiftungszweck, der kompatibel sein muss mit unserem Gesamtzweck“, sagt Erdle. Das zugestiftete Vermögen werde prozentual dem Gesamtvermögen zugeordnet. Ebenso würden die Erträge anteilig berechnet. „Der Stifter erhält so etwas wie einen Kontoauszug“, sagt Erdle. Die Stiftungen sind folglich einer Treuhandstiftung ähnlich, es gibt aber Unterschiede. „Unsere Stiftungen haben – wie eine Treuhandstiftung – keine eigene Rechtsperson, aber anders als diese sind sie auch keine eigenen Steuersubjekte.“ Die anteiligen Erträge am Gesamtvermögen weist der Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds dann den jeweiligen Stiftungszwecken zu.
Ein Kritikpunkt, der Erdle oftmals begegne, sei, dass der Stifter nicht mehr über die Verwendung seiner Mittel entscheiden könne. „Das ist Quatsch. Wenn der Stifter das möchte, kann er sich über die Gremien an der Vergabe beteiligen, zum Beispiel als Juror in den Auswahlverfahren für Stipendien.“ Außerdem habe der Stifter ein Vorschlagsrecht. Diese würden in der Regel akzeptiert, denn: „Wenn der Verwaltungsrat einen Vorschlag des Stifters bekommt, der in Einklang mit der Satzung steht – warum sollte er diesen ablehnen?“
Die drei Förderkriterien des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds
Auf Stipendien bewerben können sich Schüler sowie Studierende aller Fachrichtungen. „Wir stellen fest, dass die Geisteswissenschaftler immer ein wenig auf der Strecke bleiben. Bei uns sind 50 Prozent der Geförderten Geisteswissenschaftler.“ Bei der Auswahl von Stipendiaten betrachte die Stiftung drei Kriterien. An erster Stelle stünden Leistungskriterien. Erdle dazu: „Der Geförderte muss nicht unbedingt an oberster Spitze dabei sein, aber man muss erkennen, dass er es zum Abschluss bringen wird und eine Vision hat, was er mit dem Fach machen will.“
Das zweite Kriterium ist der Bedarf. „Der Geförderte muss offenlegen, wofür er das Geld braucht: Ob für Druckkosten für die Promotion oder zur Unterstützung der Lebenshaltung“, so Erdle. „Oder als Zahnmediziner – da muss man sich einen Koffer anschaffen, das sind Kosten im fünfstelligen Bereich.“ Deutlich grenzt Erdle die Förderweise seiner Stiftung von derjenigen anderer Einrichtungen ab, die die finanziellen Möglichkeiten der Geförderten nicht einbeziehen. So kritisiert er etwa das Deutschlandstipendium: „Das größte Problem, das ich beim Deutschlandstipendium sehe, ist, dass es einkommensunabhängig vergeben wird.“ Dennoch beteilige sich der Kölner Stiftungs- und Gymnasialfonds auch am Deutschlandstipendium, aber nur unter Auflagen. Denn: Neben der finanziellen Bedürftigkeit zähle auch die soziale Situation des Bewerbers, etwa ob dieser noch Sorge für weitere Familienmitglieder tragen müsse oder aus schwierigen Verhältnissen stamme.

Schüler beim Auswahlverfahren des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds
Eine Frage der Haltung
Den dritten Faktor umschreibt Erdle als „Würdigkeit“. Gemeint ist die Bereitschaft des Bewerbers, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen. „Das ist das schwierigste Kriterium – dafür haben wir das Auswahlverfahren“, sagt Erdle. Das Verfahren sei so konzipiert, dass für jeden Eingeladenen Geld da sei – jeder Bewerber könne also in den Genuss eines Stipendiums kommen. Juroren sind Personen aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Diese betreuten eine Gruppe von sechs jungen Menschen über zwei Tage. In diesen Tagen soll sich abzeichnen, „ob die Geförderten verstanden haben, dass ein Stipendium einen Auftrag impliziert – den Auftrag, etwas an die Gesellschaft zurückzugeben. Das muss nicht Geld sein. Das kann politisches, gesellschaftliches oder soziales Engagement sein, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.“
Die Bewertung schulischer Leistungen und der Bedürftigkeit kann man gut bemessen, da die Finanzierungslücke gut nachweisbar ist. Die Bereitschaft, der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen, sei schwieriger zu ermessen. „Natürlich sind das irgendwo Bauchentscheidungen“, räumt Erdle ein. Aber ohne die Beantwortung der grundlegenden Frage: „Passt der oder die Bewerberin zu der Grundintention unserer Einrichtung, unserer Werteorientierung?“ könne man sich nicht für eine Förderung entscheiden, sagt Erdle. Die Studienstiftung des deutschen Volkes beispielsweise wolle die Stipendienvergabe wertneutral gestalten. „Entschuldigung, das geht nicht. Wenn Sie sich angucken, wer von der Studienstiftung gefördert wurde, werden Sie einige prominente Namen bis hin in den terroristischen Bereich finden – da könnte man fragen, wie kann das sein, die haben doch alle diese Programme durchlaufen?“
Außerdem kritisiert Erdle, dass die Studienstiftung des deutschen Volkes vornehmlich Bessergestellte fördere. „Gerade die Studienstiftung ist eine sehr elitäre Einrichtung. Ich stelle ein bisschen in Frage, ob deren Potential nicht eine Exklusivität beinhaltet, die nur bestimmten Bevölkerungsgruppen, ich nenne es mal das Bildungsbürgertum, zugänglich ist. Für mich wird eine Spaltung der Gesellschaft durch solche Institutionen noch gestärkt: Das ist reine Elitenförderung.“

Die Teilnehmer des Programms „Einsteigen – Aufsteigen!“ werden über fünf Jahre hinweg durch einen Coach betreut.
Nicht-monetäre Förderung
Erklärtes Ziel des Kölner Gymnasial und Stiftungsfonds ist es, einen Beitrag zu einem chancengerechtem Bildungswesen zu leisten. Ein soziales Element der Förderung durch die Stiftung sind Coachings, etwa im Rahmen des Projekts „Einsteigen – Aufsteigen!“. Laut Programmbeschreibung erhalten derzeit rund 200 Kinder ab der 7. Klasse eine persönliche Betreuung und Hilfe durch Pädagogen, etwa dabei, eigenständiges Arbeiten zu erlernen. Die Coaches begleiten die Schüler fünf Jahre lang. Das Coaching-Programm soll den Schülern außerdem Raum bieten, individuelle Probleme, wie mangelndes Selbstwertgefühl oder schwaches Sozialverhalten, in Angriff zu nehmen. Erdle dazu: „Die Coaches versuchen, das aufzufangen, wo Staat und Familie in irgendeiner Form versagt haben.“
Im letzten Jahr bot eine ehemalige Stipendiatin zum Beispiel im Rahmen von Einsteigen – Aufsteigen! einen Knigge-Workshop an. Dieser zielt darauf ab, den Teilnehmenden im Umgang mit Unsicherheiten zu helfen, die etwa beim Bewerbungsgespräch oder anderen Terminen in offiziellem Rahmen aufkommen können. Die Jugendlichen lernen etwa, auf ihre Körpersprache, Wortwahl, Kleidung, aber auch auf ihren Händedruck zu achten.
Staat und Stiftung
Das Stiftungsengagement sieht Erdle als Ergänzung zum staatlichen Bildungsauftrag: Aufgabe des Staates sei es, flächendeckende Bildung zu gewährleisten „und zwar auch so, dass jeder einen Abschluss erreichen kann.“ Heutzutage seien die Ansprüche an die Schulen, zum Beispiel durch die Erfordernisse von Integration und Inklusion, gestiegen. „Der Staat kann das nicht mehr alleine stemmen. Ein Lehrer, der 30 Schüler in seiner Klasse hat und Inhalte vermitteln muss: Da fällt der ein oder andere Schüler durch das Netz.“ Unterstützung von staatlicher Seite sei nicht zu erwarten, weder von der Kommune, noch durch das Land. Auch hierfür findet Erdle deutliche Worte: „Einer schiebt dem anderen den schwarzen Peter zu.“ Als erfolgreicher habe sich die direkte Kooperation mit Schulen und Universitäten erwiesen.
Für den Beitrag, den Stiftungen für das Gemeinwohl leisten, könnten sie mittels einer Art Sozialrendite entschädigt werden, findet Erdle: Das Geld, das der Staat durch Stiftungen an dem Einzelnen spart, etwa weil dieser später nicht arbeitslos oder gar straffällig wird, könnte man der Stiftung ausbezahlen. Dass dieser Vorschlag auf absehbare Zeit realisiert wird, glaubt Erdle aber nicht: „Der Staat und die Verwaltung sind oftmals der Meinung, Stiftungen sind gerade gut genug dafür, das zu leisten, was wir uns nicht mehr leisten können.“