Workhacks sind „eine minimalinvasive Regeln oder Methoden“ um die Zusammenarbeit in Teams zu verbessern – das ist Teil Ihrer Definition des Konzepts. Wie sind die Begriffe „agil“ und „minimalinvasiv“ zu verstehen?
Lydia Schültken: Das Kernprinzip eines agilen Veränderungsprozesses ist es, etwas zu planen, es dann umzusetzen, anzupassen und regelmäßig zu schauen, ob es funktioniert. Minimalinvasiv bedeutet eine klar abgegrenzte Veränderung, die innerhalb von einer Stunde implementierbar sein muss. Diese kann dennoch eine erhebliche Hebelwirkung entfalten.
Können Sie solch eine Veränderung an einem Beispiel veranschaulichen?
Schültken: Zum Beispiel die Einführung eines Krötentags, an dem Mitarbeiter zwei Stunden die Woche oder alle zwei Wochen vier Stunden die Dinge tun, die auf der To-do-Liste nach hinten rutschen. Da sie weiterhin auf der Liste stehen, scheinen sie wichtig zu sein, aber eben nicht dringend – und vor allem meistens etwas umfangreicher, wie die Erarbeitung eines neuen Konzeptes beispielsweise. Meiner Erfahrung nach handelt es sich gerade bei diesen Aufgaben um etwas, das Unternehmen voranbringen kann. Am Krötentag kommt die gesamte Abteilung zusammen, macht ihre Kröten publik, hängt sie an die Wand – und nach zwei bis vier Stunden kommt man wieder zusammen und erzählt vom erarbeiteten Fortschritt. Manche Abteilungen führen dazu noch den sogenannten Krötentausch ein: Hierbei können unliebsame Kröten mit anderen Mitarbeitern getauscht werden, die diese Art von Aufgabe lieber erledigen.
Sie und Ihre Team gehen also zu Unternehmen und unterstützen sie dabei, solche Veränderungen einzuführen. Wie muss man sich das vorstellen?
Schültken: Möchte ein Team bei einem Veränderungsprozess unterstützt werden, so kommen wir viermal in Abständen von zwei Monaten vor Ort und erarbeiten dort jedes Mal eine angestrebte Veränderung. In der Zwischenzeit begleiten wir das Team telefonisch bis zum nächsten Termin und schauen, was funktioniert und was noch verändert werden muss. Fast immer sind Anpassungen notwendig, das ist ganz normal. Der Fehler, den viele Teams machen, ist es, Veränderungsprozesse abzubrechen, sobald etwas nicht klappt. Das wollen wir vermeiden.

Lydia Schültken ist seit 15 Jahren Organisationsentwicklerin. 2018 gründete sie das Unternehmen #workhacks. Foto: Privat
Neue Methoden gibt es derzeit in Hülle und Fülle. Ist das, was Sie machen, denn überhaupt neuartig und vor allem: Ist es wirklich notwendig?
Schültken: Der Vorwurf, dass das nicht alles neu ist, ist berechtigt. Viele Dinge sind zwar tatsächlich bekannt, werden allerdings nicht angewendet. Deshalb ist „nicht neu“ für mich keine ernstzunehmende Kritik. Erschreckend ist, wie wenig im Alltag davon angewandt wird. Zum Thema Notwendigkeit: Viel zu viele Leute sind bei der Arbeit unglücklich – das wissen, lesen und hören wir dauernd. Doch ich glaube, das muss nicht sein. Es wird viel an Prozessen und Sachthemen gearbeitet, aber zu selten daran, wie wir zusammenarbeiten. Zudem leben wir in einer Welt, die sich dauernd verändert. Da hat es in meinen Augen keinen Sinn mehr, dauernd mit dem „Was“ zu hantieren. Stattdessen sollte es mehr um das „Wie“ gehen. Das hat auch viel mit Gruppendynamik zu tun und die soll meist die Führungskraft so nebenbei steuern. Das halte ich für Unsinn. Das muss das Team selbst tun und dafür sollte es befähigt werden.
Sie behaupten, Ihr Ansatz sei nachhaltig. Was bedeutet das?
Schültken: Statt der Kultur einer Organisation, versuchen wir, Gewohnheiten zu verändern. Unsere Workhacks greifen Aktivitäten auf, die sich wiederholen – täglich, wöchentlich oder monatlich. Verändert man Gewohnheiten, so verändert man das Verhalten von Menschen. Dauerhaft. Und das wiederum führt zu neuen Erfahrungen, was eine Haltungsänderung nach sich ziehen kann. Wir arbeiten bewusst vier Mal mit einem Team: Dreimal wählt ein Team eine neue Veränderung aus und im vierten und letzten Termin entwickeln wir dann ein System, wodurch das Team sich selbst monatlich zusammensetzt, um weitere Veränderungen anzustreben und sich konstant weiterzuentwickeln.
Wie kamen Sie auf Ihr Konzept?
Schültken: Ich arbeite schon lange im Bereich von Change-Prozessen und wollte nicht mehr nur „das kommt drauf an“ als Antwort parat haben, wenn der Kunde mich etwas fragt. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wir verlieren uns doch sowieso schon in den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen. Was fehlte, waren klare, einfache Anleitungen oder Tipps, um die Arbeitsorganisation zu verändern. Inspiriert wurde ich letztendlich von sogenannten Lifehacks: praktische Hilfen für den Alltag, die nur wenig Zeit in Anspruch nehmen.
Wie kommt es, dass Sie Ihr Konzept auf der Online-Stiftungswoche für Stiftungen und Vereine vorgestellt haben?
Schültken: Ich glaube, wir laufen im Moment Gefahr, dass unsere Gesellschaft auseinanderbricht. Es gibt zu viele Gegensätze. Arm und Reich, gebildet und wenig gebildet, voller Chancen und mit wenig Chancen. Ich halte das für eine große Gefahr für unseren sozialen Frieden. Deshalb brauchen wir eigentlich eine andere Politik. Da kann ich leider nicht viel helfen. Aber wir brauchen auch funktionierende Vereine, Stiftungen und gemeinnützige Organisationen. Auf dem Stiftungstag hab ich einen Workshop gemacht und bin auf sehr große Resonanz gestoßen – der Bedarf scheint in diesem Sektor riesig zu sein. Viele können sich den Preis von 10.000 Euro, den ein Unternehmen bezahlt, aber nicht leisten. Aus diesem Grund erarbeiten wir gerade gemeinsam mit der Stiftungsakademie ein Konzept extra für Stiftungen.
Wie sieht das aus, und was ist der Unterschied zum bestehenden Konzept?
Schültken: Es handelt sich um einen Online-Kurs, der ab 950 Euro zur Verfügung stehen soll. Vier persönliche Online-Coachings, in jedem wird ein vordefinierter Workhack implementiert. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt auf zwölf. Damit wollen wir Anfang 2020 an den Start gehen. Welche Workhacks sich speziell für Stiftungen eignen, erarbeiten wir gerade noch gemeinsam mit der Stiftungsakademie.
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Die Online-Stiftungswoche, durchgeführt vom Haus des Stiftens und der Deutschen Stiftungsakademie, bot vom 23. bis 27. September unter www.stiftungswoche.online täglich kostenlose Webinare zum Thema „Zusammen geht was!“ für Stiftungen und Vereine an. Das Webinar zum Thema Workhacks fand am 24. September statt.
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Beispiele für Workhack-Ansätze
Time Boxing
Bei diesem Workhack wird in Meetings, Arbeitsgesprächen oder bei bestimmten Aufgaben ein Zeitlimit festgelegt, das dabei hilft, den Fokus zu behalten. Anwendbar in kleinen und großen Teams. Auch auf einzelne Wortbeiträge kann die Methode angewandt werden. Also innerhalb von Agendapunkten auf die Redezeiten.
Write or nothing (Schreiben oder nichts/nix tun)
Bei konzeptionellen Aufgaben und Schreibaufgaben ist die Anfangshürde oft hoch. Bei diesem Workhack darf man eine Stunde lang nicht weg vom Schreibtisch. Man muss in dieser Zeit nicht schreiben, darf aber auch nichts anderes tun. Und bevor man nur gelangweilt dasitzt, schreibt man vielleicht doch ein paar erste Worte und kommt so in den Fluss. Psychologisch geht es darum, die anfängliche Hürde – die Angst vor dem weißen Blatt – zu überkommen.