Ein fremdbestimmtes Leben, Arbeit für ein Taschengeld und ein Umfeld, aus dem es kein Entkommen gibt – so gestaltet sich der Alltag der Inhaftierten in der JVA Straubing (Niederbayern). Entsprechend sorgfältig müssen die Mitarbeiter im Vollzug die Insassen auf ein Leben in Freiheit vorbereiten, in dem ganz andere Regeln gelten. Ein Seminar der beiden FDP-nahen Organisationen Friedrich-Naumann- und Thomas-Dehler-Stiftung gab Einblick in eine Welt, die nicht nur weitgehend unbekannt, sondern auch in der Politik ein unpopuläres Thema ist.
Von Gregor Jungheim
Markus Dendorfer staunte nicht schlecht über die selbstgebastelte Waffe, die er unter dem Bett eines Häftlings fand: Der Insasse hatte den vorderen Teil einer Küchengabel mit Verbandszeug umwickelt und das hintere Ende an der linken und rechten Seite geschärft. Dieser Stichling war nach Einschätzung des stellvertretenden Leiters der Sicherheitsabteilung der JVA Straubing bestens für den Nahkampf geeignet. Er lag gut in der Hand und würde im Falle einer heftigen Auseinandersetzung nicht rutschig werden, da die Mullbinde das Blut auffangen konnte. Ein anonymer Hinweis hatte Dendorfer auf die versteckte Waffe gebracht.
Als der Sicherheitsbeauftragte den Gefangenen zur Rede stellte, wurde offenbar, warum der Albaner so großes Interesse am Selbstschutz hatte: Ihm stand der Besuch eines mächtigen Clan-Bosses ins Haus und es war absehbar, dass der Landsmann Gehorsam einfordern würde. Sich vertrauensvoll an die Aufsicht zu wenden, wäre für den Inhaftierten jedoch nicht in Frage gekommen, da dies einen großen Ehrverlust bedeutet hätte. Für einen Albaner, der sich dem Gewohnheitsrecht des Kanun verpflichtet fühlt, eine undenkbare Konsequenz.
Doch durch den Waffenfund wendete sich nun alles zum Guten: Der Albaner unterlag damit veränderten Sicherheitsbestimmungen und durfte vorerst keinen Besuch empfangen. Sein Besucher wurde in eine andere JVA verlegt, ohne dass ihn jemand über den Vorfall informierte.
Später stellte sich durch einen Handschriftenvergleich heraus, dass der Strafgefangene den anonymen Hinweis selbst verfasst hatte, um für sich einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen der Gefahr und den Vorgaben des Kanun zu finden. Ein Beispiel das zeigt, wie viel interkulturelle Kompetenz die Arbeit im Strafvollzug inzwischen erfordert, um derartige Konflikte souverän lösen zu können.
Das Seminar „Hinter Gittern“, zu dem die FDP-nahe Friedrich-Naumann- und die liberale Thomas-Dehler-Stiftung Anfang August nach Straubing eingeladen hatte, beeindruckte die rund 35 Teilnehmer mit zahlreichen Einblicken in eine für gesetzestreue Bürger weitgehend unbekannte Welt.
So können sich viele Menschen nicht vorstellen, dass selbst die in der JVA Straubing inhaftierten Verbrecher einen Querschnitt durch die Gesellschaft darstellen. So finden sich unter den wegen Mord, Totschlag, schweren Raubes, umfangreichen Drogendelikten oder Vergewaltigung Verurteilten auch Techniker, Meister und Akademiker, ja sogar einmal ein Doppel-Doktor.
Einen Einsatz entsprechend ihren Fähigkeiten können die Insassen durchaus erwarten, denn in der JVA Straubing gibt es zahlreiche Arbeitsmöglichkeiten, die von Handwerkstätigkeiten in den Werkstätten oder technischem Zeichnen über Kochen, Backen, Buchbinden, Schneidern und Grünpflege bis hin zu buchhalterischen Aufgaben reichen. Auf eine adäquate Entlohnung dürfen die Strafgefangenen dagegen nicht hoffen. Selbst auf der höchsten der fünf Entlohnungsstufen verdienen sie nicht einmal 2 EUR, ihr durchschnittliches Monatseinkommen beträgt 275 EUR.
„Es gibt schon lange den Plan, eine tariforientierte Entlohnung einzuführen, was den Gefangenen auch ermöglichen würde, den Umgang mit Geld zu erlernen“, berichtete Seminarleiter Hildebrecht Braun. „Auf diese Weise wäre es auch möglich, an die Opfer der Straftaten Schadensersatz zu leisten.“ Doch leider sei Strafvollzugspolitik in jedem Wahlkampf ein so unpopuläres Thema, dass sich hierfür in absehbarer Zeit keine Mehrheit finden werde, so der Rechtsanwalt und ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete. „Es gilt: Wegsperren für immer und es soll nichts kosten. Wer sich hier als Politiker engagiert, muss sich ständig rechtfertigen.“