Dürfen Gemeinden und kommunale Unternehmen noch stiften?
Quelle: panthermedia/Tatjana Balzer
Seitdem das Oberverwaltungsgerichts Münster den Stadtwerken Rheine eine Stiftungserrichtung untersagte, entwickelt sich Unruhe im Dritten Sektor. Beginnt mit diesem Urteil vom 19. Dezember 2012 bundesweit das Ende aller Stiftungen von Kommunen und kommunalen Töchtern? Ein Blick auf Urteilsgründe, Gesetz und Verwaltungspraxis sorgt zunächst für Entwarnung: Unmittelbare Änderungen ergeben sich wohl nur für Stiftungen, die künftig überwiegend oder ausschließlich durch zu 100% im Eigentum von Gemeinden stehende Gesellschaften finanziert werden sollen. Gemeinsame Stiftungsprojekte mit Privaten werden dagegen weiter möglich sein. Viele Fragen bleiben jedoch offen.
Von Dr. Franz Schulte
Acht Jahre nach dem Versuch, die Stadtwerke Stiftung Rheine zu errichten, für die es sogar schon über das Internet abrufbare Förderanträge gab, hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster diese als gemeinwohlgefährdend angesehen. Letztlich werde gemeindliches Vermögen der Entscheidungszuständigkeit der Gemeindeorgane dauerhaft entzogen und damit unter anderem das Demokratieprinzip verletzt, heißt es in dem Urteil (Aktenzeichen 16 A 1451/10). Dies sei jedenfalls dann unzulässig, wenn die Stiftungserrichtung nicht durch eine mindestens gleich hohe finanzielle Beteiligung Privater gerechtfertigt sei.
Das Prinzip, dass einmal gestiftetes Vermögen endgültig aus der Hand gegeben wird und eine Stiftung nur sich selbst gehört, stellt für Privatpersonen kein Problem dar. Denn sie sind über die Verwendung ihres eigenen Vermögens nur sich selbst rechenschaftspflichtig. Auf nachfolgende Generationen können sie Rücksicht nehmen, müssen es aber nicht.
Anders ist dies beim Vermögen der öffentlichen Hand, egal ob es sich um Bund, Länder oder Kommunen handelt. Letztlich ist dieses das Kapital der Bürger, über das öffentliche Entscheidungsträger nicht frei verfügen dürfen.
Grundsatz: eine Gemeinde darf nichts verschenken
Die Kommunalverfassungen vieler Bundesländer enthalten deshalb ein sogenanntes „Verschleuderungsverbot“. In NRW heißt es z.B. in § 90 Abs. 3 Satz 2 der Gemeindeordnung (GO): „Vermögensgegenstände dürfen in der Regel nur zu ihrem vollen Wert veräußert werden“, d.h. eine Gemeinde darf normalerweise nichts verschenken. In eine Stiftung darf gemeindliches Vermögen nur (1) im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Gemeinde und (2) nur dann überführt werden, wenn die damit verfolgten Zwecke nicht anders zu erreichen sind (sogenannte Subsidiaritätsklausel). Nahezu wortgleiche Bestimmungen findet man in den Kommunalverfassungen vieler anderer Bundesländer, z.B. Bayern (Art 75 Abs. 4 GO), Rheinland-Pfalz (§ 84 Abs. 2 GemO), Sachsen-Anhalt (§ 115 Abs. GO), Saarland (§ 107 Abs. 4 Kommunalselbstverwaltungsgesetz), Baden-Württemberg (§ 101 Abs. 4 GO) oder Hessen (§ 120 GO).
Hierzu gibt es eine Vielzahl ungeklärter Fragen. Gilt diese Subsidiaritätsklausel vielleicht nur für Zustiftungen durch Gemeinden und nicht für Stiftungserrichtungen? Ist sie ausschließlich für von Gemeinden verwaltete (sogenannte örtliche) Stiftungen anwendbar. Ist nur unmittelbares Gemeindevermögen erfasst oder auch Vermögen im Eigentum von Beteiligungsgesellschaften, z.B. Stadtwerken? Muss eine Stiftungslösung alternativlos sein oder reicht ein wesentlicher Mehrwert? Gelten für Stiftungserrichtungen andere Grundsätze als für laufende Spenden- und Sponsoringaktivitäten? Unterschiedliche Auffassungen werden auch zum Verhältnis zwischen den Landesrechten und dem Stiftungsrecht des Bundes vertreten.
Zu vielen dieser und weiterer Streitfragen hat das OVG Münster eindeutig Stellung bezogen und damit einen Beitrag zur Rechtsklarheit geleistet. Die Gründung einer privatrechtlichen Stiftung durch eine von einer Gemeinde beherrschte Stadtwerke-GmbH unter wesentlicher oder ausschließlicher Ausstattung verstößt nach Ansicht des Gerichts gegen § 100 Abs. 3 GO NRW, ist deshalb nach § 134 BGB nichtig und gefährdet damit gemäß § 80 Absatz 2 Satz 2 BGB das Gemeinwohl. Die Stiftung darf somit nicht anerkannt werden.
Entwarnung für bestehende Stiftungen aus kommunaler Hand?
In nahezu allen Bundesländern gibt es „Stadtwerke-Stiftungen“. Die gute Nachricht vorab. Keine unter Verstoß z.B. gegen § 100 Abs. 3 GO NRW errichtete Stiftung dürfte wohl mit Wirkung für die Vergangenheit aufgelöst werden. Zwar gibt es landesrechtliche Vorschriften, nach denen Verwaltungsakte unter bestimmten Umständen auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden können. Nach der Rechtsprechung gilt dies aber nicht für Stiftungsanerkennungen. Auch mit Wirkung für die Zukunft wird eine auf Landesrecht gestützte Rücknahme einer Stiftungsanerkennung allenfalls dann ausnahmsweise für zulässig gehalten, wenn sie erschlichen wurde. Nach Bundesrecht (§ 87 BGB) ist eine behördliche Stiftungsaufhebung nur dann möglich, wenn die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden ist oder der Stiftungszweck das Gemeinwohl gefährdet. Einmal anerkannt, spielt es nach nahezu einhelliger Meinung in der stiftungsrechtlichen Literatur keine Rolle mehr, ob im Rahmen des Errichtungsverfahrens gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen wurde. Derartige Verstöße werden zwar durch die Anerkennung nicht geheilt, sie lassen aber die Existenz der Stiftung als solche unberührt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die zuständigen Landesbehörden ernsthaft versuchen werden, betroffene Stiftungen aufzuheben, ist dementsprechend gering. Dem Vernehmen nach gibt es insoweit auch tatsächlich keine konkreten Bestrebungen.
Quelle: panthermedia/Aphinan Surasit
„Mehrwert“ für die Kommune bleibt Zulässigkeitsmaßstab
Die Ziele, die Gemeinden mit der Errichtung und Vermögensausstattung von Stiftungen verfolgen sind vielfältig. Rechtlich weitestgehend unproblematisch und begrüßenswert sind Versuche, durch die Umsetzung oder (finanzielle) Förderung einer Stiftungsidee Dritten erhöhte Anreize zu bieten, sich finanziell, sachlich oder in sonstiger Weise für die örtlichen Belange – lokale Kunst- und Kultur, Umweltschutz, Jugend und Erziehung, Sport, Soziales usw. – zu betätigen und damit letztlich auch die Gemeinde von Aufgaben zu entlasten. Gesichtspunkte sind insoweit z.B.
- hohes Ansehen von Stiftungen, d.h. höhere Akzeptanz und öffentliche Unterstützung als bei direkter kommunaler Aufgabenerfüllung
- zusätzliche steuerliche Anreize für Privatpersonen (erhöhter Spendenabzug für Vermögensstockspenden) gegenüber anderen Rechtsformen
- Unterstützung von privaten gemeinnützigen Vorgaben mit örtlichem Bezug (Kooperation)
All diese Gründe sind nach wie vor geeignet, einen „Mehrwert“ der Rechtsform Stiftung gegenüber anderen möglichen Handlungsformen der Gemeinde mit zu begründen.
Auch künftig werden derartige Stiftungserrichtungen durch Kommunen möglich sein, und zwar weitestgehend nach den Regeln, die in der Rechtspraxis schon seit vielen Jahren gelten. Nach internen Anweisungen z.B. des Ministeriums für Inneres und Kommunales NRW ist Maßstab für die Anerkennung, ob durch die Rechtsform der Stiftung ein wesentlicher Mehrwert für die Kommune generiert wird. Dies wird unterstellt, wenn sich auch Privatpersonen beteiligen, und zwar mindestens in Höhe des Anteils am Stiftungsvermögen, den auch die Kommune aufbringt. Bis Redaktionsschluss gab es keine Überlegungen, an dieser Verwaltungspraxis etwas zu ändern.
Dagegen darf es keinesfalls Zielsetzung sein, durch eine Verlagerung von unmittelbarem oder mittelbarem Gemeindevermögen die Erfüllung von örtlichen Belangen, von demokratischen Legitimationen, von jährlichen Haushaushaltsentscheidungen sowie haushaltsrechtlichen Bindungen und von den jeweils aktuellen politischen Mehrheiten zu entkoppeln.
Ein Satz wie der folgende, der auf der Website der Kulturstiftung der Stadtwerke Düren derzeit noch zu lesen ist, würde zukünftig vermutlich deutlich vorsichtiger formuliert: „Solange sich unsere Stadt in der Haushaltssicherung befindet, können sich kulturelle Veranstaltungen (
) dem Sparzwang nicht entziehen. Mit Hilfe der Stiftungsgelder ergibt sich für die Zukunft des kulturellen Lebens in Düren eine Verstetigung und perspektivisch sogar die Aussicht auf eine Erhöhung des Kulturetats.“
Was wird sich durch das Urteil ändern?
Künftig werden Stiftungen durch kommunale Gesellschaften an den gleichen Maßstäben gemessen wie Stiftungen durch Gemeinden selbst, möglicherweise sogar noch etwas strenger. Allenfalls in ganz besonderen Ausnahmefällen wird es möglich sein, Stiftungen mit mehr als 50% gemeindlichem Vermögen zu errichten.
Schwierigkeiten sind auch zu erwarten, wenn z.B. ein kommunaler Energieversorger eine Stiftung zur Förderung der örtlichen Kunst und Kultur oder zur Förderung der Jugend ausstatten will. Das OVG Münster hat hierzu unter Bezugnahme auf einen ähnlichen Beschluss des Sächsischen OVG vom 18. Januar 2011 den leicht zu übersehenden Hinweis erteilt, dass eine kommunale Beteiligungsgesellschaft mit ihrem betrieblichen Vermögen keine anderen als die ihr zugewiesenen öffentlichen Aufgaben wahrzunehmen habe. Im Fall der Stadtwerke Rheine war das die Daseinsvorsorge auf den Gebieten der Energie- und Wasserversorgung.
Das Thema ist nicht neu, wird aber in Zukunft wohl mehr in den Fokus rücken. Hier werden die Behörden sich möglicherweise verstärkt auf den Standpunkt stellen, dass es zwar zu den Aufgaben einer Gemeinde gehöre, sich um die örtliche Kunst- und Kulturszene zu kümmern, die Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ aber unmittelbar die Gemeindeorgane treffen müssten.
Welche Fragen bleiben weiterhin offen?
Der vom OVG Münster entschiedene Fall betraf die zu 100% im Eigentum der Gemeinde stehende Stadtwerke Rheine GmbH. Was aber, wenn es sich um eine Gesellschaft handelt, an der auch Private, z.B. Energieversorgungsunternehmen, nennenswert beteiligt sind oder sogar die Mehrheit halten. Unklar bleibt z.B. auch, ob im Einzelfall die privaten Mittel weniger als 50% des Stiftungsvermögens betragen dürfen. In der Vergangenheit konnten derartige Stiftungen den finanziellen Mehrwert teilweise durch andere Vorteile kompensieren. Nicht entschieden ist auch, welchen Grad an Verbindlichkeit private Stiftungszusagen haben müssen. Darf beispielsweise eine Gemeinde oder eine kommunale Gesellschaft einen Geldbetrag als „Initialstiftung“ in eine Bürgerstiftung in der Hoffnung vornehmen, dadurch eine Vielzahl von Bürgern zu insgesamt mindestens gleich hohen Spenden zu veranlassen?
Auf die weitere Entwicklung darf man gespannt sein.

Dr. Franz Schulte ist als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht bei PKF FASSELT SCHLAGE in Duisburg, Spezialist für Non-Profit-Organisationen. Neben der juristischen und steuerlichen Beratung von Stiftungen, gemeinnützigen Vereinen und Verbänden ist ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt die Beratung von mittelständischen Familienunternehmen