Von den 948 Tafeln in Deutschland mit mehr als 2.000 Ausgabestellen hat knapp die Hälfte mittlerweile geschlossen. „Das ist für die 1,6 Millionen Menschen, die auf die Versorgung über die Tafeln angewiesen sind, sehr kritisch“, sagt Jochen Brühl, ehrenamtlicher Vorsitzender der Tafel Deutschland e.V. mit Sitz in Berlin. Viel mehr noch: „Tafeln sind ein Ort der Begegnung, sie geben eine Tagesstruktur. Menschen entgehen hier der Einsamkeit.“ Sowohl die Kunden als auch die Helfer setzen sich nach der Essensausgabe noch auf einen Kaffee zusammen. Hausaufgabenbetreuung, Kochkurse und Spaziergänge für Senioren werden normalerweise angeboten. Das fällt nun alles weg. „Die Tafeln sind mehr als nur eine hippe Einrichtung, die gegen Lebensmittelverschwendung kämpft.“
Das Coronavirus trifft die Tafeln ins Mark. Ungefähr 60.000 Menschen engagieren sich, 90 Prozent davon ehrenamtlich. Zwei Drittel von ihnen sind über 65 Jahre alt, meist Rentner, die sich dem gesundheitlichen Risiko nicht mehr aussetzen dürfen. Nur sechs Prozent sind unter 30 Jahre alt. Brühl nennt ein weiteres Problem: „Die Gastronomie kämpft selbst ums Überleben, und die Supermärkte können aufgrund der Hamsterkäufe nicht mehr so viele Lebensmittel wie sonst an die Tafeln spenden.“ Die Engpässe sind allgegenwärtig.

Ralf Klenk weiß: Wenn ein Kind erkrankt, ändert sich das Leben der
ganzen Familie. Auch dort setzt seine Stiftung an. Foto: Große Hilfe für kleine Helden
Ralf Klenk fehlt es dagegen nicht an Nahrungsmitteln, sondern an technischen Geräten. Der Gründer und Vorstand der Stiftung „Große Hilfe für kleine Helden“ unterstützt seit 2009 die Kinderklinik in Heilbronn und die Familien, deren Kinder dort behandelt werden. Seine Stiftung finanziert und führt etwa 20 laufende Projekte, darunter zum Beispiel die Klinikclowns, Musik-, Mal- und Reittherapie, Geschwisterbetreuung, aber auch die sozialmedizinische Familiennachsorge und den ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst.
Jetzt ist alles anders. Seit Corona dürfen die Klinikclowns nicht zu den Kindern – und die Eltern auch nicht mehr. „Das ist schlimm“, sagt Klenk. Die Stiftung hat die Klinik zwar bereits vor längerer Zeit mit Tablets ausgestattet, die den älteren Kindern die Teilnahme am Klassenunterricht oder das Kommunizieren mit Freunden ermöglichen. Sie können mit ihren Eltern skypen und sprechen. Aber für die Kleinsten funktioniert das nicht. Klenk versucht nun, so schnell wie möglich Eltern, Pfleger und Ärzte mit entsprechender Technik auszustatten, damit die Verbindung zu den Kleinsten wieder aufgenommen werden kann – wenn auch anders. „Es gibt ferngesteuerte Robotik, die für das sogenannte Baby Viewing eingesetzt werden kann. Wir wollen die Klinik mit noch mehr modernen Technologien ausrüsten und neue Geräte anschaffen.“
Dazu braucht es aber Geld. Und hier kämpfen Klenk und seine Stiftung an zwei finanziellen Fronten: gegen den Absturz der Kapitalmärkte und das Absagen aller Veranstaltungen, deren Erlöse der Stiftung zugute kommen sollten, also Events von Schulen, Firmen, Rotary oder Lions Clubs. „Diese Schere, die sich öffnet, ist für uns sehr problematisch. Mit öffentlichen Geldern rechnen wir nicht.“ Die laufenden Kosten der Stiftung für die Projekte liegen bei 500.000 Euro. „Jetzt aber müssen wir unseren Etat verdoppeln, wir benötigen in Zeiten dieser Sonderbelastung eine Million Euro. Wir fliegen gerade auf Sicht – jeden Tag müssen wir die Situation neu beurteilen“, sagt Klenk.
Digitale Schulungen für das Ehrenamt
Um Geld und Finanzierung geht es derzeit auch bei „Dein Nachbar“ e.V., einer 2014 gegründeten gemeinnützige Organisation. Sie ist ein digitalisiertes Unterstützungsnetzwerk, das mittlerweile über 300 geschulte ehrenamtliche Laienhelfer und fünf hauptamtliche Fachkräfte umfasst, die sich um etwa 220 hilfs- und pflegebedürftige Menschen kümmern und die Angehörigen, meist selbst ältere Menschen, entlasten.
Engpässe entstehen durch die Corona-Pandemie auf zwei Seiten: Einerseits sind die ehrenamtlichen Helfer, im Durchschnitt etwa 55 Jahre alt, verunsichert, weil sie die älteren Menschen nicht gefährden möchten. Andererseits steigt der Bedarf an Unterstützung enorm: Stationär werden viele Menschen nach Hause geschickt, weil die Krankenhäuser derzeit am Limit arbeiten und Tages- und Nachtpflegen geschlossen sind. Die ambulanten Dienste wiederum sind auch überfordert, weil sie unter anderem selbst krankheitsbedingt nicht arbeiten können und die 24-Stunden-Kräfte wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind. „In der aktuellen Lage brauchen wir viel mehr Laienhelfer, doch die Digitalisierung der Schulung muss finanziert werden“, sagt Gründer und Vorstand Thomas Oeben, der zur Zeit mit zwei großen Stiftungen Finanzierungsgespräche führt. Ebenso müssen die Schulungen für bereits ausgebildete Helfer virtuell stattfinden, die nun durch Corona zusätzlich spezielle Hygienemaßnahmen ergreifen müssen. „Das wird von vielen unterschätzt“, so Oeben.
Netzwerke überregional nutzen

Thomas Oeben kämpft gegen die Versorgungslücke in der Pflege. Foto: ein Nachbar e.V
Oeben kann sich gut vorstellen, sein Konzept in der aktuellen Krise überregional zu öffnen, um auch andere bei der Gewinnung von ehrenamtlichen Helfern und deren Koordination zu unterstützen – erste Kommunen haben bereits angefragt. Dem Verein kommt jetzt in der Krisenzeit zugute, dass er von Anfang an seine internen Prozesse digitalisiert hat, die Matching-Plattform bringt interessierte Helfer und Fachkräfte zusammen. „Wir müssten nur kleine technische Änderungen durchführen und wären innerhalb von drei Tagen auch woanders einsatzbereit“, erklärt er. „Der Verein kann aber die Koordination von neuen lokalen Netzwerken nicht allein tragen. Wenn wir skalieren möchten, brauchen wir etwa zusätzlich 140.000 Euro“, schätzt er.
So angespannt die Lage auch ist – an Ideen und Engagement insgesamt mangelt es im Gegensatz zu den finanziellen Mitteln nicht. Brühl erhält derzeit viele Anrufe von Menschen, die die Tafeln unterstützen wollen. Nicht immer werden alle Hilfsideen angenommen. Zum Beispiel die Idee eines Unternehmens, seine Azubis bei den Tafeln mit anpacken zu lassen. „Da darf man nicht böse sein. Die lokalen Tafeln wissen am besten, was sie brauchen. Oft ist es derzeit Geld“, erklärt Brühl. Kurzfristig müssen die geschlossenen Tafeln weiterhin Miete, Nebenkosten und Versicherungen bezahlen. Die geöffneten Tafeln brauchen Geld, um zum Beispiel Lastenfahrräder für Lieferdienste und Helme sowie Schlösser für die Fahrradfahrer zu kaufen, Markierungen für Abstandsregeln zu besorgen oder die digitalen Schulungen für neue Helfer zu bezahlen“, sagt er.
Uneingeschränkte Solidarität

Jochen Brühl, Mitgründer der Ludwigshafener Tafel und Fundraising-Experte beim Dachverband der Christlichen Jugendarbeit CVJM. Foto: Wolfgang Borrs/Tafel Deutschland e.V.
Auch Klenk fühlt sich von vielen Menschen ermutigt weiterzumachen. Er befindet sich in Dauergesprächen, auch mit dem Chefarzt, dem kaufmännischen Direktor der Heilbronner Kinderklinik und mit den Eltern, die aufgrund der Corona-Gefahr noch nicht einmal mehr in engem Kontakt mit den Psychologen und Seelsorgern stehen, weil direkte Gespräche nur telefonisch möglich sind. „Die Eltern, mit denen ich spreche, haben eine unglaubliche Geduld. Ich spüre eine enorme Solidarität zwischen den Eltern, Pflegekräften und Ärzten“, sagt er.
Vorstand und Geschäftsstelle des Dachverbandes der Tafeln unterstützen derzeit aus dem Home- Office. Gespräche sind wichtig, aber auch regelmäßige Updates im Internet. Brühl ist beeindruckt von der Kreativität der Ehrenamtlichen und auch der neu Engagierten. „Da kommen auf einmal Leute, die unsere Organisation sicherlich nachhaltig verändern werden. Das sind vor allem junge Menschen, die unsere Gruppe viel heterogener machen“, sagt Brühl. Sie fahren zum Beispiel Essen mit Fahrrädern aus und bauen mobile Tafeln. Die Tafelarbeit improvisiert – jeden Tag aufs Neue.