1.600 Teilnehmer, mehr als 60 Vorträge und Diskussionen, 24 Aussteller und zumindest ein Konsens – die Aufgabe, gesellschaftliche Probleme anzugehen, wird mehr und mehr vom Staat auf den Dritten Sektor übertragen. Dies ist das Fazit des vom Bundesverband Deutscher Stiftungen organisierten Deutschen StiftungsTages, der vom 5. bis 7. Mai in Frankfurt am Main stattfand. Wie gewohnt konnte der Veranstalter dabei auch auf prominente Unterstützung zählen. So wählte der 3.400 Mitglieder umfassende Verband auf seiner Jahrestagung den Stifter und Ex-Tennisprofi Michael Stich zum neuen Beiratsmitglied.
Von Gregor Jungheim

Der Staat hat als allzeit bereiter und allzuständiger gesellschaftlicher Problemlöser ausgedient. Künftig wird es mehr und mehr Aufgabe des Dritten Sektors sein, soziale Schwierigkeiten anzugehen und für gesellschaftliche Stabilität zu sorgen. Hierüber bestand breiter Konsens auf dem 66. Deutschen Stiftungstag.

So warnte der ehemalige niedersächsische Justizminister Prof. Dr. Christian Pfeiffer schon in einem der ersten Vorträge eindringlich davor, Vater Staat weiter mit einer „der-Papa-wird’s-schon-richten“-Mentalität zu begegnen. Längst sei der Sozial- und Wohlfahrtsstaat an seine Leistungsgrenze gelangt, bemerkte auch Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth bei der Eröffnungsveranstaltung in der Paulskirche. Außerdem gebe es „Bedürfnisse der Bürgergesellschaft, die nicht durch Gesetzgebungsverfahren befriedigt werden können“. „Freiwilliges Engagement ist einem Staat vorzuziehen, der sich überall einmischt“, konstatierte auch die hessische Kultusministerin Dorothea Henzler beim Festempfang zum Abschluss des StiftungsTages in der Alten Oper. Stiftungen seien dabei „keine Notlösung, sondern oft die bessere Alternative“.

Loblied auf die Gastgeberin
Das vom Bundesverband Deutscher Stiftungen ausgerichtete und mit rund 1.600 Besuchern größte Stiftungstreffen Europas stand in diesem Jahr unter dem Motto „Stiftungen in der Stadt – Impulsgeber für das Gemeinwesen vor Ort“. Dass Frankfurt für dieses Thema der geradezu ideale Veranstaltungsort sei, wiederholten nicht nur die Organisatoren, sondern auch die Vertreter der Kommune fortwährend. Immer wieder wurde die hessische Metropole in den mehr als 60 Vorträgen und Diskussionen als Paradebeispiel für eine funktionierende Stadtgesellschaft, Bürgersinn und eine äußerst vielfältige Stiftungslandschaft herangezogen. Dass Frankfurt den Titel der Stadt mit der höchsten Stiftungsdichte kürzlich an Würzburg eingebüßt hatte, störte dabei wenig. Ebenso bemühte sich die Kommune, ein guter Gastgeber zu sein, und öffnete für die Tagungsteilnehmer nicht nur das Congress Center der Messe Frankfurt, sondern auch Paulskirche, Römer, Kaiserdom und Alte Oper.

Ziel: 4.000 Mitglieder im Jahr 2015
Der Bundesverband Deutscher Stiftungen gab sich durchweg optimistisch: So sei im Jahr 2009 mit 914 neuen Stiftungen immer noch die dritthöchste Zahl an Neugründungen in der Geschichte der BRD zu verzeichnen, betonte der Vorstandsvorsitzende Dr. Wilhelm Krull. Dank einer konservativen Anlagestrategie hätten Stiftungen auch während der Finanzkrise nur moderate Verluste zu verzeichnen gehabt, die mitunter bereits im Jahr 2009 wieder aufgeholt wurden.

Insgesamt gebe es unter den Neugründungen einen Trend zu kleineren Stiftungen, so Krull. Da die allermeisten DAX-Unternehmen bereits eine Stiftung errichtet hätten, seien Großprojekte wie die milliardenschwere Joachim Herz Stiftung äußerst selten geworden. Sehr populär sei dagegen die Gründung oder Beteiligung an Bürgerstiftungen, ergänzte Prof. Dr. Hans Fleisch. „Wir werden in zehn Jahren eine Flächendeckung erreicht haben“, sagte der Generalsekretär des Bundesverbandes. Zudem seien inzwischen an 2/3 aller Stiftungsgründungen Frauen beteiligt. Auch nehme die Zahl der Treuhandstiftungen schneller zu als die der rechtlich selbstständigen.

Nach seiner Einschätzung gehörten auf dem Kongress zirka 70% der Stiftungsrepräsentanten zu kleineren Stiftungen (Grundstockvermögen bis etwa 2 Mio. EUR). Vertreter von Treuhandstiftungen seien dagegen nur vereinzelt anzutreffen.

Im Wettbewerb der Stiftungsstandorte sah Krull die BRD gegenwärtig gut positioniert. Spürbar seien lediglich noch die Nachwirkungen der 1970er-Jahre, als viele Deutsche in der Schweiz eine Stiftung errichteten. Dies wurde auf dem 1. Zürcher Stiftungsrechtstag im April dieses Jahres durchaus anders gesehen (vgl. DIE STIFTUNG 03/2010, S. 8).

Künftiges Ziel des Bundesverbands sei die Arbeit für bessere stifterische Rahmenbedingungen, sowohl national als auch auf Europa-Ebene, sagte Krull abschließend.

Bis 2015 strebe der Bundesverband die Erhöhung der Mitgliederzahl von 3.400 auf 4.000 an.

Michael Stich in den Beirat gewählt
Der Interessenvertretung deutscher Stiftungen fehlte es nicht an prominenter Unterstützung: So wurde auf der Mitgliederversammlung am 6. Mai der ehemalige Tennisprofi und Stifter Michael Stich in den Beirat gewählt. „Mein Ziel ist es, den Menschen zu vermitteln, dass soziales Engagement wichtig ist, aber auch, dass Stiftungen untereinander noch viel enger zusammenarbeiten können“, sagte der Träger des Deutschen Stifterpreises von 1997 im Vorfeld.

Damit fasste er sehr gut den Eindruck zusammen, den der Deutsche StiftungsTag gerade bei den Vertretern vieler kleinerer Stiftungen hinterließ. Während der gesamten Veranstaltung betonten zahlreiche Redner die immense Bedeutung des Stiftungswesens für die Zivilgesellschaft. Oberbürgermeisterin Roth sprach von Stiftungen als Erprobungsräume für gesellschaftliche Veränderungen, deren Erfolge später auf breiterer Ebene übernommen werden könnten. Während des ökumenischen Gottesdienstes am 7. Mai bezeichnete der hessisch-nassauische Kirchenpräsident Dr. Volker Jung Stiftungen gar als „einen Weg, das weiterzugeben, was Menschen empfangen haben, und damit Gott zu ehren“. Manch einen Stiftungsreferenten tröstete dies sicher über die für Akademikerberufe eher moderate Vergütung hinweg.

Netzwerkveranstaltungen schufen neue Verbindungen
Hoch gelobt wurden auch die Netzwerkveranstaltungen. Im „World Café“, einem weiteren, speziell für Frauen organisierten Kooperationstreffen und der Abendveranstaltung „Dialog der Stiftungen“ fanden manche Stifter, Geschäftsführer und Referenten zusammen, die sich sonst nie kennen gelernt hätten. Andere nutzten die Gelegenheit, einmal einen prominenten Stiftungsvertreter zu treffen. Schließlich waren neben Michael Stich auch die bekannte TV-Schauspielerin Jutta Speidel sowie die Verleger Dr. Florian Langenscheidt und Dr. Brigitte Mohn (Bertelsmann) zu Gast.

Daneben warben auch zahlreiche Banken, Kapitalanlagegesellschaften und Vermögensverwalter um das Interesse der Stiftungen. Die Anbieter zeigten sich dabei durchaus spendabel und luden an den ersten zwei Tagen zu zahlreichen sogenannten Lunchmeetings ein. Teils beeindruckten die Referenten dabei mit fundierten volkswirtschaftlichen Analysen oder der kurzweiligen Vorstellung alternativer Investitionsformen. Überwiegend widmeten sich die Vortragenden jedoch eher elementaren Themen der Geldanlage. Neustiftern boten sich auf diese Weise etliche Fortbildungsmöglichkeiten, fortgeschrittene Anleger erfuhren dagegen wenig Neues. Zudem nutzten etliche Vermögensprofis die Gelegenheit zu einem Kollegenbesuch. So standen die Referenten regelmäßig nicht nur vor Stiftungsvertretern, sondern auch vor zahlreichen ihrer Mitbewerber.

Alles in allem dürfte es jedoch kaum einen Stifter, Stiftungsvertreter oder auch Vermögensprofi gegeben haben, der nach drei Tagen ohne neue Eindrücke die Heimreise antrat. Zu vielfältig waren das Programm, die Gäste und die Kotaktmöglichkeiten. Der nächste Deutsche StiftungsTag findet vom 11. bis 13. Mai 2011 in Stuttgart statt.

Deutscher Stifte

rpreis für Jens Mittelsten Scheid
Der Deutsche Stifterpreis geht in diesem Jahr an einen Alt-68er. So jedenfalls beschrieb der bekannte Journalist Prof. Dr. Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) den Preisträger Jens Mittelsten Scheid in seiner Laudatio. „Er war bei allem dabei, was die 68er so ausprobierten – Kinderladen, Wohngemeinschaft, gemeinsame Kasse“, erzählte Prantl bei der Preisverleihung in der Frankfurter Alten Oper am 7. Mai. Da Mittelsten Scheid erkannt habe, dass sich mit Reichtum viel Gutes bewirken lasse, sei der mehrfache Stifter sogar bis heute ein 68er geblieben. Er sei „kein Gesellschaftslöwe, sondern ein Gesellschaftsarbeiter“, befand der Journalist.

Der Preisträger ist seit 1982 in und um München philanthropisch aktiv. Zu seinen Verdiensten gehören u.a. das Haus für Eigenarbeit, in dem handwerkliche Laien unter Anleitung eigene Projekte verwirklichen können, sogenannte interkulturelle Gärten, in denen Deutsche und Migranten gemeinsam Blumen, Kräuter und Gemüse anbauen, sowie die Förderung eines Museums. Dr. Wilhelm Krull, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, nannte Mittelsten Scheid in seiner Festrede einen „klassischen Changemaker“.

Der Stifter selbst warnte in seiner Dankesrede davor, Wirtschaftswachstum als Allheilmittel bei gesellschaftlichen Schwierigkeiten zu sehen. „Es gibt auch außerhalb des ökonomischen Denkens Stellschrauben, die viel verändern können“, so Mittelsten Scheid. Als Beispiele nannte er Sinnhaftigkeit, Verantwortung und Kreativität.

Für die Preisverleihung hatte sich zudem Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel angekündigt. Diese musste ihre Teilnahme jedoch kurzfristig aufgrund der abschließenden Beratung über die Griechenlandhilfe im Deutschen Bundestag absagen. In einem Grußwort stellte sie den 1.200 Zuhörern die baldige Entwicklung einer nationalen Engagementstrategie in Aussicht

StiftungsReport 2010/11 erschienen

Pünktlich zum Deutschen StiftungsTag stellte der Bundesverband Deutscher Stiftungen auch den StiftungsReport 2010/11 vor. Er trägt den Titel „Stadt trifft Stiftung: Gemeinsam gestalten vor Ort“. Das Jahrbuch setzt sich mit dem Wirken von Stiftungen bei der Um- oder Neugestaltung ihrer Kommunen und einzelner Stadtteile auseinander. Zudem geht der Band auch auf den demographischen Wandel ein und beschreibt Modelle für mehr Energieeffizienz sowie zur Reduzierung von CO2-Emissionen. Ein weiteres Kapitel stellt die ausführlichen Ergebnisse der Umfrage zu Stiftungen in bzw. nach der Finanzkrise vor. Das Schlusskapitel enthält umfassendes Zahlenmaterial zum Status quo des deutschen Stiftungswesens.

Bundesverband Deutscher Stiftungen
in Kooperation mit BMW Stiftung Herbert Quandt

StiftungsReport 2010/11 „Stadt trifft Stiftung: Gemeinsam gestalten vor Ort“
StiftungsVerlag, Berlin 2010, 128 Seiten
ISBN: 978-3-941368-07-1
12,90 EUR (9,90 EUR für Verbandsmitglieder)

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