Was bedeutet die aktuelle Krise für Stiftungen, welche Lehren lassen sich ziehen – und wie ist der Stiftungssektor aufgestellt? Diese und weitere Fragen waren Thema beim Roundtable von DIE STIFTUNG in Kooperation mit Union Investment.

Frau Dr. Bär, was hat Sie bei der Hans und Ilse Breuer-Stiftung in Sachen Kapitalanlage zuletzt am meisten beschäftigt?
Katja Bär: In der Kapitalanlage geht es für uns darum, Risiken immer wieder zu überprüfen und zu hinterfragen. Da wir den Langfristigkeitscharakter einer Stiftung ernst nehmen, waren und sind wir nicht panisch. Wir haben geschaut, was Corona für uns bedeutet. Einen Großteil unseres Vermögens haben wir in Verwaltungsmandaten, in die wir nicht eingreifen – aber natürlich haben wir sehr früh Verwalter angefragt, wie sie mit den aktuellen Themen umgehen. Wir haben aus verschiedenen Gründen entschieden, manche Mittel in ein selbst verwaltetes Portfolio zu nehmen. Das hängt weniger mit Corona zusammen als damit, dass wir erkannt haben, dass ein globaler Vermögensverwalter die Auswirkungen seiner Anlageentscheidungen auf unsere individuelle bilanzielle Situation nicht mehr im Blick haben kann.

Woran liegt das?
Bär: Taktische oder strategische Anpassungen der Asset-Allokation müssen für alle Mandate einer Risikoklasse gelten. Stiftungen sind dabei unterrepräsentiert. Wir bei der Hans und Ilse Breuer-Stiftung beauftragen unsere Vermögensverwalter, realisierte Verluste innerhalb des Kalenderjahres mit Gewinnen zu kompensieren. Wir möchten nicht mit einem Verwalter arbeiten, der bei einer Reduktion der Aktienquote um drei oder fünf Prozent alle Titel im Portfolio teilverkauft, ohne zu berücksichtigen, welche bilanziellen Folgen das für uns hat.

Katja Bär ist seit 2018 Vorstand der gemeinnützigen Hans und Ilse Breuer-Stiftung. Neben ihrer Vorstandstätigkeit ist die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin Gründerin und Geschäftsführerin von FOB, einem kleinen Family-Office. Foto: Katja Bär

Herr Graeger, welche Eindrücke haben Sie in den vergangenen Monaten gesammelt?
Lennart Graeger: Kunden stellen häufig die Frage nach Sicherungsstrategien. Gerade bei Stiftern, die noch selbst verwalten, gibt es eine Angst vor Kapitalverlust, ebenso wichtig ist der Aspekt Ertragsvorausschau. Ausbleibende Zinsen und Dividenden zeichnen sich ab und werden sich kommendes Jahr noch deutlich stärker bemerkbar machen. Es werden verstärkt sicherheitsorientierte Anlagen nachgefragt, was in dieser Lage ein schwieriger Begriff ist. In jedem Fall ist ein ausgesprochener Beratungsbedarf entstanden.

Wie haben sich Stiftungen Ihrer Erfahrung nach verhalten? Wie stark waren Angst und Chancenbewusstsein vertreten?
Graeger: Das Kundenverhalten ist ganz unterschiedlich. Die Kunden haben erstaunlich vernünftig reagiert. Viele waren nach den vergangenen Krisen besonnen: Sie haben das gut ausgesessen und sind investiert geblieben – sicher auch, weil es kaum Alternativen gibt.

Was haben Sie die Krise erlebt, Herr Holler?
Ralph Holler: Wir sprechen mit Banken über und auch mit dort betreuten Stiftungen im direkten Austausch. Dort hat sich ebenfalls das Bild manifestiert, dass Kunden investiert geblieben sind. Einige Stiftungen sind in Sparpläne gegangen, haben so angefangen, sich neuen Assetklassen zu nähern. Insgesamt beobachten wir bei Union Investment einen starken Anstieg der Sparpläne. Für Stiftungen haben wir eine passgenaue Lösung im Angebot, den UniInstitutional Stiftungsfonds Nachhaltig.

Wie sehr bereiten Ihnen Ausschüttungen und Erträge Sorgen, Frau Bär?
Bär: Sorgen hat man im rückläufigen Zinsumfeld natürlich. Unser Ertrag war von 2016 bis 2019 erfreulich gut, da wir in unserer Stiftung auch Kursgewinne für die Zweckerfüllung verwenden dürfen. Dieses Jahr ist der Zinsertrag deutlich geringer ausgefallen, und auch auf der Aktienseite sind die Dividendenerträge hinter den Erwartungen geblieben. Wir haben insgesamt sicher 40 Prozent weniger realisierte Erträge als budgetiert. Dass uns das nicht so stark trifft, liegt daran, dass wir Spendenbeträge einwerben konnten. Aber es bleibt ein schwieriges Jahr. Dazu muss man sagen, dass wir eine Stiftung mit traditionell hoher Aktienquote sind. Wir haben Balance-Mandate vergeben mit einer Aktienquote von meist 40 bis 60 Prozent. Zudem schauen wir weniger auf die Performance als vielmehr, welche Erträge auf dem Konto ankommen.

„Ich habe überhaupt kein Problem mit einem atmenden Markt, solange die einzelnen Anlagen weiter Substanz haben.“ Katja Bär

40 bis 60 Prozent Aktienquote sind ungewöhnlich. Ist die Krise ein Impuls für Stiftungen, hier aktiver zu werden?
Graeger: Auf jeden Fall. Es ist mittlerweile angekommen, dass es keine Einlagenzinsen mehr gibt und auch die Erträge bei Anleihen minimal sind – oft handelt es sich bei den Erträgen um Kursgewinne, die je nach Satzung nicht unbedingt ausgeschüttet werden dürfen, sondern in die Umschichtungsrücklage fließen oder thesauriert werden müssen. Die Stiftungsaufsichten haben sich der Aktienanlage mittlerweile etwas geöffnet, allerdings braucht es eine breite Diversifizierung. Kleinere Stiftungen sind häufig deutschlandlastig aufgestellt. Darüber hinaus besteht noch das Spannungsfeld zwischen höheren Ausschüttungen und Wachstumstiteln, die ganz andere Chancen bieten als der klassische Dividendenwert. Gerade in diesem Jahr zeigt es sich, dass jene Stiftungen Schwierigkeiten hatten, die auf Klassiker gesetzt haben, etwa auf Ölwerte oder deutsche Autohersteller.

In der Coronakrise konnten sich Wachstumstitel schnell wieder fangen. Ist bei Stiftungen eine Sektorrotation erkennbar?
Graeger: Noch nicht. Ich denke, wenn die Zahlen aus 2020 allen Stiftungen bewusst werden, wird man noch mal überlegen müssen, wie man vorgeht. Gerade bei kleineren Stiftungen besteht sicherlich großer Anpassungsbedarf in den Anlagerichtlinien.

Wie gehen Stiftungen damit um, wie definieren sie Risiko?
Holler: Die meisten Stiftungen definieren Risiko weiterhin über den Aktienanteil. Das ist so Usus. Risiken haben wir allerdings auch im Rentenbereich. Wenn eine Aktie vorübergehend im Kurs sinkt, ist das Kapital gerade für einen langfristig ausgerichteten Investor wie eine Stiftung noch da, nicht aber, wenn ein Schuldner bei einer Anleihe ausfällt. Stiftungen brauchen einen passenden Risikobegriff. Wir sehen generell weiterhin noch Defizite bei Anlegern, sich einer Aktienquote zu nähern und auch zu entscheiden, wie hoch sie sein darf. Je größer Stiftungen sind, desto kapitalmarktaffiner sind sie. Kleinere Stiftungen brauchen viel Unterstützung. Man muss darüber sprechen, was die Ziele sind, wie man sich an das Anlagevehikel Aktie herantraut, welche Anlagerichtlinien es gibt und ob sie noch zukunftsfähig sind.

Was wäre denn der Risikobegriff der Breuer-Stiftung?
Bär: Der Totalausfall. Da bin ich ganz bei Herrn Holler. Ich habe überhaupt kein Problem mit einem atmenden Markt, solange die einzelnen Anlagen weiter Substanz haben. Daher beunruhigen uns auch zeitweilige Kursrückgänge von Einzelaktien von über 20 Prozent wie zuletzt bei der SAP nicht allzu sehr. Die Rentenseite ist in den letzten Jahren vielmehr zu einem Risiko geworden. Der Buchverlust einer Aktie infolge eines sinkenden Aktienkurses ist dabei weniger schlimm als der Totalverlust eines Rentenpapiers. Für uns gilt daher grundsätzlich, auf der Renten- und auf der Aktienseite so breit wie möglich diversifiziert anzulegen, Klumpenrisiken zu vermeiden. Wir verfolgen daher im Aktienbereich auch einen globalen Ansatz. Wirkliche Risiken ergeben sich viel mehr aus dem Tagesgeschäft als aus der Vermögensanlage. Sollte die Stiftung einmal keine Sozialversicherung abführen oder die Umsatzsteuerpflicht nicht erkennen, stehe ich als Vorstand schneller in der Haftung als bei Ausfällen eines einzelnen Wertpapiers wie zum Beispiel Wirecard in einem breit diversifizierten Portfolio.

Lennart Graeger ist Abteilungsleiter Vermögensnachfolgeplanung/Stiftungsberatung bei der Wiesbadener Volksbank. Er berät viele auch kleinere Stiftungen auf der Anlageseite und begleitet neue Stifter auf ihrem Weg zur Gründung. Foto: Wiesbadener Volksbank

Anlagerichtlinien sind schon angesprochen worden. Wie ist hier die Lage Ihrer Erfahrung nach, Herr Graeger?
Graeger: Gerade kleinere Stiftungen haben kaum Anlagerichtlinien, und wenn doch, stammen sie häufig aus der Anfangszeit der Stiftungen, wurden nicht mehr überarbeitet – und sind heute eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Wenn wir an die 1990er Jahre zurückdenken, hat damals die Aufsicht die Anlage in Renten mit AAA-Rating vorgegeben, bei einer Aktienquote von 25 oder 30 Prozent. Entscheidend ist für die Anlage in Renten, dass die Richtlinien auf die jeweilige Stiftung zugeschnitten sind. Stiftungen, die mit recht geringem Kapital zu Lebzeiten gegründet und später erst von Todes wegen höher dotiert werden, benötigen andere Richtlinien als etwa Stiftungen aus Unternehmen heraus oder Stiftungen, deren Vermögen rein aus Immobilien besteht. Und auch die Risikoneigung des Vorstands sollte berücksichtigt werden. Er muss mit dem Anlagekonzept gut schlafen können.

Holler: Wir merken teilweise, dass Anlagerichtlinien nicht konsistent formuliert sind. Man muss sich wirklich Gedanken machen, um sie klar zu formulieren. Wer etwa Schwellenländer ausschließt, kann damit auch in viele eigentlich geeignete Fonds nicht mehr investieren, wo diese enthalten sind. Da muss die Beratung früh ansetzen und erklären, was los ist an den Kapitalmärkten, und entsprechend Potentiale aufzeigen.

Bär: Für mich ist das wie bei der IT: Das größte Risiko ist die Person, die das Gerät bedient. Übersetzt heißt das, der Vorstand muss sich Wissen aneignen, damit er das, was im Portfolio passiert, begreift. Auch die Anlagerichtlinien sollte man nicht einmalig formulieren und dann für immer beiseitelegen; sie sollten vielmehr regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden – wir machen das mindestens jährlich. Auch müssen die Anlagerichtlinien der Verwaltungsmandate mit den stiftungsinternen Anlagerichtlinien zusammenpassen.

Graeger: Wir beobachten bei Gremien mitunter auch Überforderungen. Stifter sind meist Enthusiasten, denen der Stiftungsschwerpunkt sehr am Herzen liegt. Es fehlt oft an Kenntnissen zur Wertanlage oder zu wirtschaftlichen Zusammenhängen.

Bär: Diese Beobachtung teile ich. Viele Vorstände kommen aus der Projektarbeit und sind keine Finanzexperten. Ihnen kann ich nur raten, in nichts anzulegen, was sie nicht verstehen, sich immer mehrere Meinungen einzuholen und die Anlage zu diversifizieren – über die Assetklassen, über die Regionen, über die Währungen. Von einer Flucht in höhere Risiken rate ich ab.

Wie eng sind die Vorgaben bei Ihnen, Frau Bär? Welche Änderungen gab es zuletzt?
Bär: Wir haben grundsätzlich einen großen Spielraum, sehen unsere Anlagerichtlinien als Leitplanken. Wir hatten lange Zeit etwa Private Equity ausgeschlossen, da unser liquides Vermögen für den Aufbau eines strategischen Private-Equity-Portfolios zu gering ist. Dennoch haben wir Private-Equity-Investments zukünftig in Form einer Fondslösung zugelassen. Auch für Wandelanleihen haben wir uns stärker geöffnet. Ich mache das nicht allein: Wir haben einen Strategieausschuss ins Leben gerufen, dem ein weiterer Finanzexperte angehört.

„Wer eine Bestandsimmobilie hat, verkauft aktuell eher nicht, solange sie Mieteinnahmen generiert.“ Lennart Graeger

Frau Bär hat mit Private Equity die alternativen Anlagen angesprochen. Wie ist Ihre Perspektive darauf, Herr Holler?
Holler: Alternative Anlagen spielen als Beimischung eine besondere Rolle. Zum Beispiel Infrastrukturanlagen. Denn die Auswirkungen der Corona-Pandemie erscheinen wie ein Beschleuniger für Digitalisierung oder Highspeed-Data. Das sind alles Themen, die korrelieren und die zu Infrastruktur gehören. Aus dem Austausch mit unseren Kunden wissen wir, dass dieser von hohem Interesse ist. Nun entwickeln wir gerade eine Lösung, die wir nächstes Jahr auf den Markt bringen. Infrastruktur wird aus unserer Sicht ein Trend werden – wir haben ja alle in diesen Zeiten gesehen, wie sehr wir sie brauchen. Themen wie Private Equity spielen wir natürlich auch, aber eher im Bereich der großen institutionellen Anleger wie Banken oder Versicherungen.

Graeger: Alternative Anlagen haben wir ebenfalls auf dem Tisch. Gerade Private Equity lohnt sich allerdings erst bei einer gewissen Größenordnung und auch Ausdauer – erfahrungsgemäß ab einem Stiftungsvermögen in einem deutlich siebenstelligen Rahmen. Und: Man investiert einen Betrag, der in der ersten Phase keinen Ertrag bringt – sagen wir einmal drei oder fünf Jahre. Das muss man in die Portfoliostrategie einbinden.

Wie sieht es im Immobilienbereich aus?
Graeger:
Wer eine Bestandsimmobilie hat, verkauft aktuell eher nicht, solange sie Mieteinnahmen generiert. Einzelimmobilien sind für Stiftungen ein gewisses Risiko, etwa was die Bilanzierung angeht. Sie müssen Rücklagen für Instandhaltung oder Mietausfälle bilden, erhalten aber eine konstante Rendite und Aussicht auf Wertsteigerung. Wie die Lage insgesamt am Markt ist, wissen wir aber wahrscheinlich erst nächstes Jahr, weil pandemiebedingt weitere konjunkturelle Belastungen zu erwarten sind, die Gewerbeimmobilien betreffen werden. Da ist durchaus eine gewisse Beunruhigung zu beobachten.

Bär: Immobilien haben den großen Vorteil, dass es keinen täglichen Marktpreis gibt. Wenn ich mich an das Thema herantraue, brauche ich aber eine bestimmte Größenordnung, weil ich auch hier diversifizieren sollte. Viele Stiftungen haben eine Immobilie, und zwar ein Objekt, in dem die Stiftung ihren Sitz hat oder ihren Zweck erfüllt – wie wir unser Demenzzentrum StattHaus in Offenbach. Das hat aber nichts mit einer strategischen Kapitalanlage zu tun, auch wenn wir teilweise Mieterträge erwirtschaften.

Gibt es noch weitere Assetklassen, mit denen Sie sich beschäftigen? Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für Sie?
Bär: Wir schauen uns grundsätzlich alle Assetklassen und neue Entwicklungen an. Ich habe mich 2019 unter anderem mit Kryptowährungen beschäftigt. Wir laufen aber keinen Moden hinterher, sondern agieren im Sinne einer opportunitären Anlage. Was wir nicht machen, ist Impact Investing. Das heißt nicht, dass diese Produkte nicht auch relevant sind, aber sie sind für unsere strategische Vermögensanlage bislang der falsche Schritt. Beim Thema Nachhaltigkeit haben wir uns in diesem Jahr die Frage gestellt, wie wir das Thema innerhalb der Stiftung umsetzen können. Im Ergebnis fliegen meine Mitarbeiterinnen zum Beispiel nicht mehr innerhalb Deutschlands. Auch haben wir geprüft, ob wir unseren eigenen Wasserkreislauf in unserem Garten im StattHaus aufbauen können. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Einzelne etwas zur Nachhaltigkeit beitragen kann, dafür braucht es nicht immer die großen Maßnahmen.

Also Nachhaltigkeit ja, aber nicht als zentraler Aspekt in der Kapitalanlage?
Bär: Sie kommen heute als Anleger gar nicht mehr um dieses Thema herum. Selbst wenn ich mich als Stiftung mit Nachhaltigkeit nicht befasse, haben das Herr Holler und Herr Graeger jeden Tag auf dem Tisch und müssen es ab März 2021 durch die EU-Transparenzverordnung dokumentieren. Würde ich den Auftrag geben, Nachhaltigkeit zu ignorieren, müssten beide das Mandat ablehnen.

Wie weit sind Stiftungen Ihrer Erfahrung nach aktuell in puncto Nachhaltigkeit, Herr Graeger?
Graeger: Viele Stiftungen haben häufig tatsächlich noch gar nicht reagiert. Wie Frau Bär gesagt hat, wird das Thema aber jetzt präsenter. Wir stellen fest, dass es Informationslücken gibt, Begriffe durcheinandergebracht werden – von ESG bis Impact Investing. Stifter wollen schon Nachhaltigkeit abbilden, aber natürlich sind sie verunsichert hinsichtlich der Renditechancen oder haben Schwierigkeiten, sich von einem lange gehaltenen nicht nachhaltigen Wert zu trennen, wenn damit gute Erfahrungen verbunden sind. In der Coronakrise wurden andere Themen priorisiert als Nachhaltigkeit. Hier ist auf jeden Fall Beratungsbedarf gegeben.

Ralph Holler ist im Bereich Institutionelle Kunden bei Union Investment für die Betreuung von Genossenschaftsbanken und deren Firmenkunden zuständig. Gleichzeitig unterstützt er Genossenschaftsbanken im Geschäft insbesondere auch mit Stiftungen. Foto: Union Investment

Holler: Das ist aus meiner Perspektive hoch spannend. Nicht zuletzt wegen unserer genossenschaftlichen DNA hat das Thema Nachhaltigkeit in unserem Haus einen hohen Stellenwert. Union Investment möchte die nachhaltige Transformation der Wirtschaft aktiv begleiten. Und das tun wir schon seit vielen Jahren. Wir wissen inzwischen, dass Nachhaltigkeit eben keine Rendite kosten muss. Wobei wir auch erleben, dass Nachhaltigkeit stark davon abhängt, wie man sie definiert. Wo alle Akteure zusammenfinden, das sind die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Ihnen kann jeder zustimmen. Weiterhin gewinnen wir durch das Nachhaltigkeitskonzept einen anderen und tieferen Blick auf Risiken abseits der eigentlichen Kapitalmarktrisiken. Diese zusätzliche Risikobetrachtung ist für mich einer der stärksten Faktoren bei nachhaltiger Geldanlage.

Bär: Früher haben Stiftungen vereinzelt Unternehmen in der Anlage ausgeschlossen, zum Beispiel Tabakhersteller oder Rüstungsunternehmen. Prominentestes Beispiel ist die Stiftung EVZ, die 2015 namhafte Emittenten wie Apple, Wal-Mart Stores oder Royal Dutch Shell öffentlichkeitswirksam desinvestiert hat, weil sie gegen die definierten Ausschlusskriterien verstoßen oder auf Anfragen nicht geantwortet hatten. Nach vorne hin muss keine Stiftung mehr Ausschlusskriterien definieren, wenn man an den effizienten Markt glaubt und an den Erfolg der Transparenzverordnung. Dann wird per se in allen Produkten künftig Nachhaltigkeit stecken. Das halte ich auch für absolut richtig.

Holler: Kein verantwortungsbewusster Anleger wird solche Themen nicht sehen. Firmen stehen im Fokus der Öffentlichkeit: Sie können und dürfen sich ein schlechtes Image nicht leisten.

Bär: Das trifft auch auf Stiftungen zu, etwa wenn es um Spenden geht. Wenn wir etwas tun, was in der Öffentlichkeit nicht gut ankommt, werden uns potenzielle Spender kein Geld geben. Wir erleben im Fundraising eine Veränderung. Insbesondere jüngere Spender hinterfragen stärker die konkrete Verwendung der Mittel – was ich sehr begrüße.

Wie schauen Sie auf das kommende Jahr?
Holler: Durch den Impfstoff dürfte es eine Normalisierung geben. Das sehen wir auch an aktuellen Entwicklungen am Kapitalmarkt. Für mich bleibt aber etwas haften, weil mit dem Lockdown etwas passiert ist, was es zuvor nicht gegeben hatte: Volkswirtschaften weltweit in den Stand-by-Modus zu schicken. Daher gehe ich davon aus, dass es Anleger weiterhin beschäftigen wird, welche Werte profitiert haben und welche nicht. Vielleicht verändert sich der Blick auf Branchen und deren Risikoeinschätzung, etwa auf den Tourismus. Die Liquidität bleibt, denke ich, die Märkte werden weiter geflutet werden. Zinsen erwarten wir in den nächsten fünf Jahren nicht – vielleicht in zehn oder 15 Jahren.

„Zinsen erwarten wir in den nächsten fünf Jahren nicht – vielleicht in zehn oder 15 Jahren.“ Ralph Holler

Graeger: Wir werden neben Corona zunächst von politischen Themen bestimmt sein. Der Brexit steht bevor, die Amtsübergabe in den USA, hierzulande sind 2021 Wahlen. All das wird uns beschäftigen, auch wenn es die Geldanlage nur am Rand betrifft und politische Märkte kurze Beine haben. Es vermittelt einen Eindruck davon, wie viele Themen uns erwarten. 2021 kommt viel Arbeit auf uns zu, und Portfolien werden sich häufiger anpassen müssen als in anderen Jahren.

Bär: Themen gibt es tatsächlich viele. Lassen Sie mich den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts erwähnen. Der Entwurf ist aus meiner persönlichen Sicht kontraproduktiv und handwerklich mangelhaft. Für uns als Stiftung im Gesundheitsbereich würde der Impfstoff bedeuten, dass wir unsere Tagesgäste endlich wieder uneingeschränkt betreuen dürfen. Das ist für die Menschen mit Demenz extrem wichtig, die unter der coronabedingten Isolation leiden. Anlageseitig diskutieren wir, was die zukunftsträchtigen Branchen sind. Corona ist dabei ein Beschleuniger in alle Richtungen. Ich bin gespannt, welche Unternehmen sich wie verändern.

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