DIE STIFTUNG im Gespräch mit Winfried Walter, Vermögensverwalter und Fondsmanager des Global Equity ValueSelect, über die wirklichen Probleme der Weltwirtschaft und Aktien als letzte Vertrauen genießende Anleger-Bastionen.
DIE STIFTUNG: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage an den Kapitalmärkten ein?
Winfried Walter: Lassen Sie mich vorab drei globale Phänomene verdeutlichen, die das große, übergeordnete ökonomische Bild darstellen. Nur dann kann man die darauffolgenden Aussagen im richtigen Kontext sehen. 1) Die USA haben spätestens seit Ende des letzten Jahrhunderts ein Wachstumsproblem. Im Großen und Ganzen sind wir an einem Wohlstandsniveau angekommen, das langfristig nur noch geringe Wachstumsraten ermöglicht. Die wichtigste globale Konjunkturlokomotive des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist damit weggebrochen. Japan schon ab 1995, ab 1997/98 haben die USA als Antwort darauf, das Weltwirtschaftssystem, mit Unmengen an Geld geflutet. 2) Der Euro ist eine politische Währung. Er sollte den bis dahin schon seit 50 Jahren laufenden Prozess der europäischen Einigung endgültig besiegeln. Wie sich aktuell zeigt sind wir aber noch lange nicht soweit. Vielmehr kann der aus vielen ersten zarten Pflänzchen langsam gewachsene Gemeinschaftssinn durch dieses zwanghafte „wir müssen Europa unbedingt erhalten“ in Zukunft nachhaltig Schaden nehmen.
Weil sie den Schrecken des Krieges „noch in den Knochen hatten“ waren de Gaulle und Adenauer nach meinem Erachten weiter in ihrer Erkenntnis um ein gemeinsames Europa, als es Politiker und Technokraten aus Berlin, Brüssel oder gar Washington heute sind. Europas Bürger wollen zusammenwachsen – ob sie aber schon reif für eine gemeinsame Wirtschafts- oder gar Finanzpolitik sind, wage ich sehr zu bezweifeln. Dies ist aber unabdingbare Grundlage für eine funktionierende gemeinsame Währung. Zur Verdeutlichung: Bei unserem studentischen Zusammenleben haben wir alles geteilt. Wir hatten aber alle unser eigenes Portemonnaie. Streit war zumeist vorprogrammiert, wenn es darum ging, gemeinsame Projekte zu finanzieren.
DIE STIFTUNG: Und was ist das dritte Phänomen?
Walter: Das globale ökonomische Epizentrum ist nicht mehr mit dem Transatlantischen Handel gleichzusetzen. Die aufstrebenden Nationen sind der neue Pulsgeber der Weltwirtschaft. Sie bestimmen mehr und mehr über Sach- und Finanzressourcen. Dieses Rennen ist schön längst entschieden. Dass ein solch globaler Umbruch nicht ohne deutliche Friktionen vonstattengeht, muss einem angesichts des ungeheuren Ausmaßes doch nicht weiter verwundern. Wundern kann man sich nur über die „Mächtigen“ v.a. in den Ländern, die die relativen Verlierer dieses Prozesses sind. Sie versuchen diesen mit den falschen Mitteln aufzuhalten. Denn sie haben einen alten volkswirtschaftlichen Lehrsatz übersehen: „Die Finanzmärkte sind (nur) das Spiegelbild der Realgüterwirtschaft“. Will ich also das Antlitz der Welt mitgestalten, so muss ich nicht im Spiegel – also der Finanzwelt – sondern in der Realgüterwelt Veränderungen herbeiführen.
DIE STIFTUNG: Das riecht danach, als stünden wir am Vorabend weitreichender Veränderungen. Wie müssten diese aussehen?
Walter: Die USA bedarf eines schon längst überfälligen, gewaltigen Restrukturierungsprozesses, damit nicht nur ihre Hightech Industrie global konkurrenzfähig ist. Daneben ist nicht der Einheitsbrei aus Brüssel und die erdrückende Gängelung durch Bürokraten sondern ein Besinnen einer jeden einzelnen europäischen Region auf ihre Stärken die notwendige Antwort auf Europas Probleme. Es bleibt, wie schon gesagt, sehr fraglich, ob wir schon reif sind für eine gemeinsame Haushaltspolitik Nicht zuletzt gilt: Soll das kapitalistische System nach unserer derzeitigen Prägung funktionieren, braucht es Wachstum. Das Streben einer neu entstandenen Mittelschicht in den Emerging Countries mitüber 1 Mrd. Menschen nach ständig steigenden Wohlstand kann punktuell stottern – aufhalten werden wir es nicht. China weiß, warum es Volvo und Putzmeister gekauft hat. Volkswagen sieht seinen aktuellen Marktschwerpunkt in China. Dabei ist sein gefährlichster Konkurrent Hyundai Motors.
DIE STIFTUNG: Also geht es längst um mehr als Griechenland?
Walter: Obige Ausführungen dürften Ihnen bewusst gemacht haben, welchen Stellenwert Griechenland im globalen ökonomischen Kontext wirklich hat. Um Zeit zu gewinnen, doktern wir weiter an den Symptomen herum, übersehen aber dabei, dass wir in der Zwischenzeit die noch gesunden Mitglieder der Gemeinschaft mit in Gefahr bringen. Vergleichen wir es mit der Wundermedizin Antibiotikum: Früher gab es diese nur in äußersten Notfällen – heute ist so gut wie alles und jeder resistent dagegen. Schlimmer noch – wir müssen befürchten, dass sich in den Untiefen unserer Biosphären Keime entwickeln, die die halbe Menschheit wegraffen könnten.
Den gleichen Vorwurf muss man der japanischen Notenbank, Alan Greenspan, „Helikopter-Ben“ und Teilen der EZB machen. Wenn sie weiterhin so lax mit dem „Antibiotikum Geld“ umgehen, dann berauben sie unsere Volkswirtschaften jeglicher Form der Selbstheilung durch Strukturwandel. Denn der wichtigste Orientierungspunkt für diesen Prozess, der Preismechanismus, wird angesichts der Geldschwemme immer mehr zur Farce. Immobilien- und Rohstoffblasen wie bei Kupfer, Öl oder Agrarrohstoffen haben wir schon hinter uns. In den Verwerfungen an den Bondmärkten sind wir wohl gerade mittendrin. Es ist völlig klar, dass die hier geforderten Konsequenzen ein Ende mit starken Schmerzen für uns alle darstellen. Aber mit jedem Tag den wir noch zögern, wird der Schrecken noch umso größer. Wir werden nicht um eine Lösung herumkommen, an deren Ende es eine gemeinsame Währung nach derzeitiger Lesart nicht mehr geben wird.
DIE STIFTUNG: Was bedeutet nun all dies für die Strukturierung eines Stiftungsvermögens?
Walter: Wenn eine Stiftung jemandem Geld anvertraut, so ist es angezeigt ein paar ernste Fragen zu dem anstehenden Investmentcase zu stellen. Was sollen Herr Obama und Frau Merkel auf die Frage nach der mittel- bis langfristigen Perspektive ihres Geschäftsmodells antworten? Sind sie in 1, 3 oder 5 Jahren noch der CEO ihrer Gesellschaft? Haben sie heute selbst wirkliche Entscheidungsgewalt oder sind sie nicht nur Sprecher von Interessengemeinschaften, die kurzfristig das kleinste gemeinsame Übel suchen? Wie stellen sie sicher, dass Sie in 3, 5 oder 10 Jahren das ihnen anvertraute Geld zurückzahlen können? Stiftungen vertrauen, in dem sie Anleihen kaufen, momentan dem Staat ihr Geld an, und es könnte sein, dass sie tief enttäuscht werden könnten. Es wäre nicht das erste Mal. Dabei gibt es andere, qualitativ hochwertigere Investments. Die Alternative sind vor allem multinationale Konzerne mit hoher Preissetzungsmacht, inhabergeführte Mittelstandsunternehmen oder die neuen globalen Champions aus den aufstrebenden Ländern wie z.B. Samsung Electronics. Sie haben ein über Jahrzehnte exzellent funktionierendes Geschäftsmodell vorgelegt, das sich immer wieder den veränderten Gegebenheiten angepasst hat. Aus der letzten Krise 2008/09 sind sie zumeist gestärkt hervorgegangen. Ihre Führungsmannschaft hat klare Ziele und Visionen – Nachfolgeregelungen orientieren sich daran. Neben Aktien dieser Unternehmen könnten Stiftungen aber auch problemlos Anleihen derselben erwerben. Qualität hat noch keinem Portfolio geschadet.
DIE STIFTUNG: Stiftungen sollten also ruhigen Gewissens in Aktien, also Beteiligungen am Produktivvermögen investieren?
Walter: Da kann ich nur mit einer Gegenfrage antworten: Haben nicht Investitionen, die lange als sicherer Hafen galten, vor dem Hintergrund des gewaltigen Umbruchs ihre Sicherheit verloren?
Hat uns die lange Periode wachsenden Wohlstands schon so entfremdet, dass wir nicht mehr erkennen, dass nur die echte Wertschöpfung auch zukünftig Quell genau dieses Wohlstands ist?
Gerade Stiftungen können doch nicht übersehen, dass der Ursprung ihres nutzenstiftenden Vermögens in den allermeisten Fällen meist höchst erfolgreiche unternehmerische Tätigkeit wie bei Bosch, Volkswagen, Otto usw. ist. Wieso soll sich das ändern? Stiftungen haben einen langen Atem, den sollten sie gerade in Zeiten wie diesen zeigen und sich damit letztlich auch wieder ihrer Wurzeln besinnen.
DIE STIFTUNG: Haben Sie herzlichen Dank für Ihr Plädoyer für die Aktie.
Das Interview führte Tobias M. Karow
Winfried Walter ist Geschäftsführer der in Köln domizilierten Vermögensverwaltung Schneider, Walter & Kollegen.