In einem Eintrag auf ihrer Website vom 31. Dezember 2021 erklärt die Franz-Hofmann-und-Sophie-Hagemann-Stiftung, 285.000 Euro als Entschädigungszahlung an die Erben des jüdischen Vorbesitzers einer Guarneri-Geige gezahlt zu haben. Der Zahlung war ein jahrelanger Streit um die mehr als 300 Jahre alte Violine, gebaut von dem Geigenbau-Meister Giuseppe Guarneri, vorausgegangen.
1974 erwarb die Violinistin und Stifterin Sophie Hagemann die Geige und spielte sie selbst. Als die Stifterin 2010 verstarb, ging die Geige in das Vermögen der Stiftung über. Die Violine habe sich zu diesem Zeitpunkt in einem „sehr schlechten Zustand“ befunden, so die Stiftung. Der Stiftungsvorstand habe geplant, die Geige trotz des fünfstelligen finanziellen Aufwands restaurieren zu lassen und anschließend der Musikhochschule in Nürnberg zur Verfügung zu stellen. Die Stiftung ist an der Hochschule angesiedelt, dem ehrenamtlichen Vorstand der Stiftung gehörten damals satzungsgemäß Professoren sowie der Rektor an.
Vor der Restaurierung habe der Stiftungsvorstand jedoch festgestellt, dass „die Provenienz der Geige nur lückenhaft für die Jahre 1937 bis 1938 sowie ab 1974 bekannt ist“. Im Sommer 2012 habe man deswegen die „Beratende Kommission für die Rückgabe NS‐verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz“ zu Rate gezogen, um Herkunft und Geschichte der Guarneri zu erforschen. 2013 stellte die Stiftung die Geige außerdem bei der Website Lost Art ein, einer Datenbank, die Kulturgüter präsentiert, die NS-Raubgut sind oder sein könnten.
Raubgut oder regulärer Verkauf?
Die konsultierte Kommission erklärt in ihrem Empfehlungsschreiben aus dem Jahr 2016, dass es als gesichert gelten könne, dass der jüdische Musikalienhändler Felix Hildesheimer aus Speyer die Geige 1938 erworben hat. Vermutlich aufgrund von Repressalien durch das NS-Regime musste er wenig später Haus und Geschäft verkaufen. Im August 1939 beging er Suizid.
Der Disput zwischen Stiftung und den heute noch lebenden Erben ging im Wesentlichen um die Frage, ob Hildesheimer die Geige ebenfalls – wie vermutlich Haus und Geschäft – zwangsverkaufen musste oder ob dies noch unter seine reguläre Geschäftstätigkeit fiel, bevor er aus dem Geschäft gedrängt wurde. In dem Gutachten der Kommission heißt es dazu: Die Frage, „was mit der im Januar 1938 von Felix Hildesheimer erworbenen Geige bis zu seinem Suizid […] geschehen ist, lässt sich nicht beantworten“. Unstreitig sei jedoch, dass Hildesheimer der letzte bekannte Besitzer des Instrumentes war und dass er und seine Familie durch rassistische Verfolgung in den Tod beziehungsweise im Falle seiner Frau in die Emigration getrieben wurden. Unter diesen Umständen besitze „die Vermutung, dass es sich um einen durch Zwangsverkauf oder Beschlagnahmung erlittenen Vermögensverlust handelt, eine hohe Plausibilität“, folgerte die Kommission. Sie empfahl deswegen, dass die Stiftung die Geige behalten, aber eine Entschädigungszahlung an die Erben Hildesheimers in Höhe von 100.000 Euro leisten solle.
Die Stiftung willigte ein, wenngleich die Reaktion der Stiftung in einer Pressemitteilung vom 7.12.2016 etwas zähneknirschend klingt: „Obwohl trotz intensivster Nachforschungen bis heute keine Dokumente bzw. Hinweise gefunden werden konnten, die belegen, dass es sich bei der Guarneri-Geige der Franz-Hofmann-und-Sophie-Hagemann-Stiftung um Raubkunst handelt, kann der Stiftungsvorstand die der Empfehlung zugrundeliegende Argumentation der Kommission nachvollziehen. Aufgrund des Stiftungszwecks sowie der Intention, diese Guarneri-Geige zum Instrument der Versöhnung zu machen, hat der Vorstand entschieden, der Empfehlung der Kommission zu folgen.“ Die Stiftung wolle „alles daransetzen, die Summe zur Ausgleichszahlung aufzubringen“. Alleine: Zu der akzeptierten Ausgleichszahlung kam es in den folgenden fünf Jahren nicht. Im Februar 2021 erklärte die Stiftung in einer Pressemitteilung: „Bislang scheitert es am aktuellen Stiftungsgesetz, den Betrag aus dem eigenen Stiftungsvermögen zum Ausgleich zu bringen. Die Franz-Hofmann-und-Sophie-Hagemann-Stiftung hat deshalb in jahrelangem Bemühen versucht, die Ausgleichssumme über weitere Institutionen sowohl öffentlicher als auch privater Träger beizubringen. Dies gelang bislang nicht.“
Info
Hertie und die NS-Zeit: Was geschah damals?Immer wieder kommt es vor, dass Stiftungen mit der Geschichte ihre Stiftungsvermögens und auch dem Vorwurf konfrontiert werden, dass dieses Vermögen Raubgut darstellen könnte. Im letzten Jahr gab zum Beispiel die Hertie-Stiftung eine Untersuchung in Auftrag, um die Herkunft des Vermögens und die Unternehmensgeschichte des namensgebenden Konzerns in der NS-Zeit zu untersuchen. Zum Artikel
Die Erklärung der Stiftung, dass eine Entschädigungszahlung nicht aus dem Kapitalstock der Stiftung erfolgen könne, weil der Grundsatz des Vermögenserhalts gelte, ist nicht unumstritten. Zwar wird tatsächlich erst in dem im Juli 2023 in Kraft tretenden Stiftungsgesetz explizit geregelt, dass die Rückgabe von Beutegut erlaubt ist – die neue Gesetzgebung würde also den Sachverhalt erleichtern. Ob eine Entschädigungszahlung nach aktuellem Recht möglich ist, ist vom Einzelfall abhängig. Der Stiftungsvorstand berief sich später darauf, dass es Vorbehalte von Seiten der Stiftungsaufsicht gegeben habe.
Vorstand tritt geschlossen zurück
Zusätzlich gaben verschiedene Vorstandsmitglieder Anfang 2021 Interviews, die weiter Öl ins Feuer gossen. Die F.A.Z. zitierte den damaligen Vorstandsvorsitzenden mit den Worten, dass nicht gewährleistet sei, dass die Geige tatsächlich im Besitz Hildesheimers gewesen sei. Ein anderes Vorstandsmitglied äußerte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass die Geige eigentlich das Zehnfache wert sei. Die Erben Hildesheimers reagierten empört und forderten eine erneute Begutachtung der Geige.

Prof. Rainer Kotzian, Präsident der Hochschule für Musik Nürnberg. Foto: Privat
Wenig später, im März 2021, trat der Vorstand der Stiftung ohne Angabe von Gründen geschlossen zurück. „Es war schon bemerkbar, dass sich die Kollegen nicht mehr einig waren, wie man vorgehen sollte. Da hat man sich dann aus der Affäre gezogen“, sagt der neue Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Prof. Rainer Kotzian, seit Oktober 2021 Präsident, zuvor Vizepräsident der Hochschule für Musik. Da die Satzung vorsieht, dass ein Mitglied des Stiftungsvorstands aus der Hochschulleitung stammt, stand Kotzian vor der Wahl, die Stiftung fallen zu lassen oder sich selbst des Postens anzunehmen. „Eine Auflösung der Stiftung war für mich keine Option“, sagt Kotzian. Als einen weiteren Vorstand hat er das Kuratoriumsmitglied einer anderen Stiftung gewinnen können, in der er ebenfalls dem Vorstand angehört. Die Stiftungsaufsicht erlaubt, dass vorübergehend nur zwei der vier Vorstandsposten besetzt sind.
Der neue, nur zweiköpfige Vorstand habe sich – so die Kommission in einem neuen Gutachten vom Dezember 2021 – „in besonderer Weise für eine faire und gerechte Lösung in dieser Sache eingesetzt“. Unter Einbeziehung der Erben kam es zu einer Neubewertung und Festlegung der Entschädigungssumme auf 285.000 Euro durch die Kommission – insgesamt wurden drei Gutachten erstellt, eines davon gaben die Erben eigenständig in Auftrag. Die Franz-Hofmann-und-Sophie-Hagemann-Stiftung hat diesen Betrag nun gezahlt. Mit der Zahlung verliert die Stiftung über die Hälfte ihres liquiden Vermögens. „Alles war auf das hohe Grundstockvermögen angelegt“, sagt Stiftungsvorstand Kotzian. „Jetzt müssen wir unsere Anlagen neu bewerten und auch, wie riskant die Depots angelegt sind.“ Die Stiftung plant zudem ein Gedenkkonzert, das die Erinnerung an Felix Hildesheimer wachhalten und aus der Guarneri-Geige ein echtes „Instrument der Verständigung“ machen soll. Außerdem muss Kotzian den Vorstand vollständig besetzen und zieht eine Satzungsänderung in Betracht: Womöglich will er eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in die Satzung aufnehmen.