Menschenhandel kommt in unterschiedlichen Formen und Organisationsgraden vor. Entsprechend schwierig ist der Kampf gegen diese moderne Form der Sklaverei. Organisationen wie Missio engagieren sich für die Betroffenen und versuchen, auf die Strukturen dahinter einzuwirken.

Der Begriff Menschenhandel weckt historische Assoziationen: von der Sklaverei der Antike bis zum Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und den britischen Kolonien und später den Vereinigten Staaten. Die Definition der Vereinten Nationen ist umfassender, der heutigen Lage angepasst: Sie versteht darunter die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder auch Aufnahme von Personen durch Gewalt oder andere Formen der Nötigung. Ziel ist es, die betroffenen Personen in eine Situation zu bringen, in der sie fortwährend ausgebeutet werden können. Darunter sind insbesondere Prostitution sowie andere Formen sexueller Ausbeutung zu verstehen, ebenso Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder gar die Entnahme von Organen. Monsignore Wolfgang Huber, der Präsident der katholischen Hilfsorganisation Missio München, fasst den Begriff bewusst weit: „Man kann immer dann von Menschenhandel sprechen, wenn der Mensch als Ware behandelt und nicht mehr in seiner Personenwürde wahrgenommen wird.“ Die Zahl der Betroffenen des „Human Trafficking“ lässt sich kaum bestimmen. Das liegt zum einen an einer hohen Dunkelziffer, zum anderen daran, dass die Übergänge fließend sind. Menschenhandel beginne oft im Kleinen „und nicht unbedingt im ausbeuterischen Sinne“, sagt Christian Selbherr, Redakteur des Missio-Magazins.

Frauen besonders betroffen

„Beispielsweise wenn sich eine junge Mutter, die sich keine Kinderbetreuung leisten kann, unter fragwürdigen Bedingungen darauf einlässt, den entfernt lebenden Verwandten unter die Arme zu greifen.“ Auf der anderen Seite der Skala stehen eindeutig kriminelle Formen bis hin zur Zwangsprostitution. Klar ist, dass Frauen und Mädchen unter den aufgedeckten Fällen besonders betroffen sind. Der Bericht über Menschenhandel der UN aus dem Jahr 2020 zeigt: Von zehn Opfern sind fünf Frauen und zwei Mädchen. Ein Drittel der Betroffenen sind Kinder, ein Fünftel Männer. Wirtschaftliche Not, dysfunktionale Familien und der eigene Partner sind Faktoren, die besonders oft zu Ausbeutung führen. In ärmeren Ländern ist die Hälfte der Betroffenen 18 Jahre oder jünger. In reicheren Ländern machen Kinder und Jugendliche 14 Prozent der Opfer aus. Nicht nur das Phänomen kennt Schattierungen, auch die Betroffenen werden häufig schrittweise zu Opfern. „Häufig gehen junge Männer freiwillig ins Ausland – und werden mit falschen Angaben angelockt“, sagt Huber, der vor kurzem aus Nepal zurückgekehrt ist. „Das ist gerade in Ländern wie den Philippinen, Nepal oder Indien ein großes Problem. Motivierte Jugendliche und junge Männer zwischen 14 und 22 Jahren wollen Geld für ihre Familie verdienen, weil sie zu Hause keine Perspektive haben, geraten dann aber an Organisationen, die sie als Ware verkaufen, den Lohn nicht zahlen oder Bedingungen bieten, die nicht dem entsprechen, was vereinbart war – und auch der menschlichen Würde nicht.“ Selbst dann kommt es nicht unbedingt dazu, dass die jungen Menschen sich wehren. „Viele sind bereit, Bedingungen zu akzeptieren, die unseren Vorstellungen überhaupt nicht entsprechen.“ Selbst der Entschluss zum Ausstieg bringt nicht unbedingt Besserung. Häufig würden Telefon und Pass den Männern abgenommen, der Lohn gekürzt, könnten sie nicht einmal das verdiente Geld nach Hause schicken, weil sie sich bei Schleppern verschuldet hätten und diese erst einmal ausbezahlen müssten. „Es gibt da hochorganisierte Verbindungen“, sagt Huber.

Missio-Präsident Monsignore Wolfgang Huber im Gespräch mit der neuen Generaloberin der von Mutter Teresa gegründeten Kongregation „Missionarinnen der Nächstenliebe“, Schwester Mary Joseph, in Kalkutta, Indien.

Missio-Präsident Monsignore Wolfgang Huber im Gespräch mit der neuen Generaloberin der von Mutter Teresa gegründeten Kongregation „Missionarinnen der Nächstenliebe“, Schwester Mary Joseph, in Kalkutta, Indien. Foto: Missio/Friedrich Stark

Das Kafala-System, in dem Arbeiter auf Großbaustellen im Nahen Osten zum Einsatz kommen, und der Bezug zur Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar ist derzeit wohl das prominenteste Beispiel der breit organisierten Form des Menschenhandels. Die Bekanntheit entspricht den Daten: Organisierter Menschenhandel macht 75 Prozent der aufgedeckten Fälle aus. Ähnliche Mechanismen wie bei der „Muskelware“ wirken bei Prostitution und Sexarbeit von Mädchen, Frauen und – deutlich seltener – jungen Männern. Dabei stehe zunächst noch nicht einmal Zwangsprostitution im Vordergrund, so Huber. Vielmehr würden auch hier die Opfer unter falschen Versprechungen in die Prostitution gelockt. „Sie erhalten zum Beispiel Angebote zu Ausbildungen im Haushalt, bei denen plötzlich sexuelle Gefälligkeiten eine Rolle spielen.“ Der Suche nach einem Ausweg steht auch die Scham entgegen. Wie Arbeiter, die das dringend benötigte Geld nicht nach Hause schicken könnten, würden die jungen Frauen mitunter den Kontakt zur Familie vermeiden – wenn sie überhaupt die Möglichkeit zur Kommunikation haben. Der umgekehrte Fall, dass Familien „von denen, die weggegangen sind, nichts mehr wissen wollen“, komme ebenfalls vor.

Menschenhandel bekämpfen, aber wie?

„Das Wichtigste ist allerdings die Prävention“, sagt Huber. Eine einfache Antwort auf den modernen Menschenhandel gebe es nicht, Missio München versuche, möglichst früh anzusetzen, „indem wir möglichst Bildung vor Ort schaffen“. Im Idealfall sollen die jungen Menschen Ausbildungen vor Ort finden, später auch Arbeitsstellen. „Wir fragen uns stets, was vor Ort geschehen kann, damit Menschen die Möglichkeit haben, ihr Leben zu gestalten“, sagt Huber über die Graswurzelarbeit. Zugleich wird die Arbeitsmigration bleiben, da ist Huber realistisch. „Das ist der zweite Aspekt der Prävention: Wir müssen helfen, eine vernünftige Arbeitsmigration zu ermöglichen, wenn es im Land zu wenig Arbeit gibt.“ Hierbei brauche es vernetztes Denken, aber auch kulturelles Feingefühl, um die Balance zwischen den Hilfszielen und den Notwendigkeiten vor Ort zu finden. Denn mitunter gebe es in den Herkunftsländern auf dem Papier längst die entsprechenden Gesetze, sie würden jedoch nicht konsequent verwirklicht. Und nicht nur die Organisationen hinter dem Menschenhandel würden sich oft nicht als kriminell, sondern eher als Dienstleister für einen Markt der „Muskelware“ sehen, der ohnehin existiere, so Huber – bisweilen spielten auch politische Interessen den organisierten Formen des Menschenhandels in die Hände. Möglichen Maßnahmen gegen den Missbrauch steht die wirtschaftliche Abhängigkeit entgegen. „Wenn 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus dem Ausland kommen, sind die Bedingungen aus Sicht der Politik mitunter egal“, so Huber. Dann gelte es dafür zu sensibilisieren, dass die am attraktivsten wirkenden Angebote für die Arbeiter eben nicht immer die besten seien.

„Man muss es deutlich sagen: Wir sind Nutznießer dieses Phänomens“

Monsignore Wolfgang Huber, Missio München

In dieser Gemengelage könnten Nichtregierungsorganisationen eine vermittelnde Rolle zwischen der Politik und anderen Akteuren vor Ort einnehmen – häufig der Polizei, die zwischen wirtschaftlichen Interessen und gesetzlichen Bestimmungen steht. Dabei wolle man die Würde des Einzelnen in den Blick rücken. „Es ist unser Job, dafür einzustehen. Andernfalls entsteht gesellschaftliche Akzeptanz von durchaus kriminellen Handlungen wie Missbrauch – ganz egal ob Machtmissbrauch, sexueller Missbrauch oder Ausbeutung.“ Das gelte auch für jene Länder, die selbst nicht betroffen sind. „Man muss es deutlich sagen: Wir sind Nutznießer dieses Phänomens“, sagt Huber, verweist etwa auf den Arbeiterstrich in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs. „Dort versuchen Menschen aus Bulgarien und Rumänien, Arbeit zu finden. Dafür nehmen sie für uns inakzeptable Bedingungen in Kauf.“ Erst im Zuge der Fluchtbewegungen aufgrund des Ukrainekriegs warnten Behörden davor, dass junge Frauen Opfer von Zwangsprostitution werden könnten. „Ich würde mir vor allen Dingen wünschen, dass man in den wohlhabenderen Staaten noch einmal genauer hinschaut, unter welchen Bedingungen Menschen bei uns leben und arbeiten.“ Menschenhandel gedeihe eben gerade dort, wo man nicht genau hinschaue. Auch der Einsatz für eine geregelte Arbeitsmigration würde den jungen Menschen helfen. „Da ist die Politik gefragt.“

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