Bindung durch Bildung

Lösungen für Nachwuchssorgen in der Philanthropie werden händeringend gesucht. Die Fragen betreffen unterschiedliche Ebenen: Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten, wird in dem Maße schwieriger, wie der demographische Wandel zu greifen beginnt. Die Knappheit wiederum verschärft die Konkurrenz mit der Wirtschaft, in der gemeinnützige Organisationen gehaltsseitig nur schwer bestehen können. Was also tun?Eine Antwort können Fort- und Weiterbildungen sein, die Talente an den Sektor binden und die Mitarbeiter qualifizieren. Weiterbildung ist in allen Berufszweigen wichtig, doch im Dritten Sektor fällt ihr aus der Sicht von Ansgar Wimmer eine besondere Rolle zu. Grund ist die besondere Struktur und die fehlenden Hierarchiestufen: „Es gibt keine langen Karrierewege: Fachkräfte kommen als motivierte Programmbereichsleiter bei Bosch, Bertelsmann und Co. an und fragen sich nach fünf Jahren ‚Was nun?‘“, sagt der Vorstand der Alfred-Toepfer-Stiftung. Die Hierarchien in Stiftungen seien schließlich häufig flach. „Nach der operativen Ebene kommt meist direkt der Vorstand oder ein Posten in anderen Leitungsgremien.“Wimmer rät Stiftungsmitarbeitern daher dazu, aus der Not eine Tugend zu machen – gewissermaßen Agilität statt Aufstieg. Das kann in der Möglichkeit für Mitarbeiter bestehen, für eine gewisse Zeit aus dem Sektor herauszurotieren – und für Stiftungen, sich entsprechend offen für alternative Modelle zu zeigen. Er selbst sei von der Bertelsmann-Stiftung in die Leitung einer Stadtverwaltung gegangen und später wieder in das Stiftungswesen zurückgekehrt. Was aus mancher Konzernlogik erst einmal verwunderlich klingt, ist seiner Ansicht nach ein Ansatz, der beiden Seiten nützt. „Für den Stiftungssektor ist es wichtig und gesund, dass Leute gehen und später wieder zurückkommen“, sagt Wimmer. Der Sektor solle diese Durchlässigkeit fördern.Konkurrenz, keine AbwanderungDoch was, wenn die Wirtschaft zu sehr lockt? Es gebe zwar eine Konkurrenz zwischen dem Stiftungswesen und der freien Wirtschaft – aber eben keine massenhafte Abwanderung, so Wimmer. „Unternehmen bieten zwar Jobs mit einem Purpose an, aber es gibt auch viele Fachkräfte, die weiterhin in themengetriebenen Bereichen in Stiftungen arbeiten möchten.“ Vielmehr sieht er dieses sektorübergreifende Vorgehen der Stiftung als informelles Weiterbildungsangebot für die eigenen Mitarbeiter – und damit Motivation, im Sektor zu bleiben.Zumal das Konzept in beide Richtungen wirken kann: Fachkräfte, die im Dritten Sektor gearbeitet haben, könnten in anderen Bereichen wie dem Öffentlichen Dienst und der Wirtschaft ihr gemeinwohlorientiertes Denken einbringen. „Unternehmen profitieren, wenn Mitarbeiter mit einem Stiftungsmindset angestellt werden. Sie bringen ein Verständnis für die Arbeit im gemeinnützigen Bereich mit und können nicht nur in CSR-Abteilungen, ESG-Beratungen und der Unternehmenskommunikation wertvolle Beiträge leisten, sondern haben auch ein offenes Visier, was gesellschaftliche Entwicklungen betrifft.Das hilft in jeder Führungsrolle“, glaubt auch Peter Kreutter, Managing Director Foundations an der WHU – Otto Beisheim School of Management und einer der Mitinitiatoren der Initiative „30 unter 30“ des Bundesverbands Deutscher Stiftungen. Es entstehe ein Austausch von Perspektiven und eine Stärkung des gemeinwohlorientierten Denkens – Stiftungen und NGOs erfüllen damit einen Zweck, ohne immer unmittelbar selbst zu profitieren. Was aus einer For-Profit-Logik heraus vielleicht nicht möglich wäre, kann im Zusammenspiel mit gemeinnützigen Organisationen funktionieren.Kleinen Stiftungen fehlt es an FlexibilitätWimmer hat solche Beispiele in der Vergangenheit selbst erlebt: Ein Staatsrat in Hamburg rekrutierte bewusst Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung, um mit einer anderen Perspektive an Probleme in Hamburger Brennpunktschulen heranzugehen. „Das hat in den betreffenden Schulen einen Innovationsschub ausgelöst. Umgekehrt profitieren Stiftungen davon, wenn alte Schulleiter wieder in der Stiftung tätig sind.“ Allerdings kommt eine solche Kultur der Durchlässigkeit nicht von allein. „Stiftungen sollten die Mitarbeiter in ihren Zielen unterstützen, sei es durch Weiterbildungen, Hospitanzen oder andere Formate.“ Um derartige Arbeitsweisen im Dritten Sektor zu fördern, ist es für Wimmer jedoch wichtig, einander Gehör zu schenken und nach Wegen zu suchen, unkonventionelles oder vernetztes Arbeiten zu ermöglichen.Auch bei den Weiterbildungsangeboten ist Flexibilität von Bedeutung. Gerade kleinere Stiftungen hätten dafür oft nicht die finanziellen Mittel. „Da braucht es Zertifikatslehrgänge“, sagt Wimmer. Es sei wichtig, dass die Mitarbeiter die fachlichen Kompetenzen der Stiftungsarbeit erwerben und diese mit ihrer eigenen Leidenschaft für den Sektor verbinden. Der Erwerb eines solchen Zertifikats allein bringe allerdings noch keinen beruflichen Erfolg. „Vielmehr geht es darum, das erlangte Wissen mit einem intrinsischen Interesse zu verbinden und sich in einem Bereich des Sektors und einer Stiftung wie etwa Öffentlichkeitsarbeit, Projektmanagement oder Fundraising zu engagieren“, so Wimmer.Zertifikatslehrgänge spielen auch für Peter Kreutter eine wichtige Rolle im Sektor. „Es ist völlig legitim, dass Menschen eine Weiterbildung nutzen, um sich auch für andere Arbeitgeber attraktiv zu machen – die können dann auch außerhalb des Sektors sein.“ Doch die positiven Bindungskräfte durch eine Weiterbildung sieht er als stärker an als den Reiz beruflicher Veränderung: „Grundsätzlich fällt der Sprung aus dem Sektor nach einer erfolgreich absolvierten Fort- oder Weiterbildung schwerer, weil das gemeinsame Lernen ein Transmissionsriemen für Vernetzung im Sektor ist. Die emotionale Bindung an den Sektor ist eine hohe Austrittsbarriere. Der Austausch mit Peers gibt gerade jüngeren Mitarbeitenden zudem wichtige Möglichkeiten zur Selbstreflektion und hilft Kompetenz und Selbstsicherheit aufzubauen“, sagt Kreutter. Das stärke die Resilienz der Mitarbeitenden und zahle auch auf die organisatorische Resilienz der Stiftungen ein.Systematik gefragtZugleich gelte allerdings auch der Umkehrschluss. „Müssen sich Mitarbeiter das über das Tagesgeschäft hinausgehende Wissen über den Sektor sowie die Kontakte innerhalb des Sektors ausschließlich ‚on the job‘ aneignen, stellen sich schneller negative Erlebnisse ein – Überforderung, Frustration. Die Wahrscheinlichkeit für einen Wechsel nimmt zu. Mitarbeiter bilden in solchen Fällen dann eben kein emotionales Eigentum am Sektor“, so Kreutter.Noch ist eine systematische Personalentwicklung nicht unbedingt der Standard im Sektor. Ein Grund dafür, warum Stiftungen zu wenige Ressourcen für die Personalentwicklung in Form von Lehrgängen, Austausch- und Vernetzungsformaten oder Personalgesprächen aufbringen, ist aus Sicht von Peter Kreutter die mangelnde Overhead-Finanzierung. „Sie hasten von einem Projekt zum nächsten. Oft fehlen dann neben der Förderung der per Satzung festgelegten Stiftungszwecke die finanziellen Mittel für andere strategisch wichtige Bereiche.“ Das arte bisweilen in eine regelrechte „Projektitis“ aus, so Kreutter, bei der bereits die Projekte ohne ausreichende finanzielle Mittel durchgeführt werden. Kreutter spricht vom „Overhead Starvation Cycle“, bei dem Organisationen mit knappen Ressourcen arbeiten und keine langfristige Entwicklung grundlegender Infrastruktur ermöglicht wird.Die gute Nachricht ist, dass die ersten Schritte über Initiativen wie „30 unter 30“ für Vernetzung, Förderung des Nachwuchses und Entwicklung von Stiftungspersonal existieren. Vielleicht müssen Stiftungen und Bundesverband nur noch mehr lernen, auf derartige Programme anhand positiver Fallbeispiele und Werdegänge aufmerksam zu machen. „Leute lernen insbesondere über Vorbilder“, sagt Kreutter, „aber man muss sich eben kümmern.“Neben der Qualifizierung durch Lehrgänge seien zumindest die Schaffung von Vernetzungsangeboten wie Stammtischen oder eine Aufnahme der Personalentwicklung in die Stiftungsgrundsätze recht kostengünstig. Stiftungen sollten also kein „Professionalisierungsbashing“ betreiben, sondern lieber zur Tat schreiten, sagt Kreutter. Auch was die Geberseite angeht, ist er optimistisch: „Wenn man offen die Geschichte der Auswirkungen von zu knappen Projektbudgets erzählt, findet man eher Leute, die langfristiger fördern und finanzieren.“ Mittelsuchende Organisationen brauchten den Mut, Bedürfnisse klar zu benennen. Dann verstünden Förderer, wie wichtig eine angemessene Finanzierung ist.

Bindung durch Bildung

Weitere Artikel

Eine Ideensammlung für neue Geldquellen

„Stiftungsarbeit hat den Auftrag, auch mal ins Risiko zu gehen“

Aktuelle Ausgabe

Die missverstandene Rechtsform? [Ausgabe 05|2025]

Weitere Inhalte

Trauer um Klaus Scharioth

Eine Ideensammlung für neue Geldquellen

Umfrage zum 16. Deutschen Stiftungsbarometer gestartet

News

Magazin

Events

Studien

Ihr Nutzerkonto

Über uns

Partner

Mediadaten

FAQ

Kontakt

Bindung durch Bildung

Weitere Inhalte

Ihr Feedback an DIE STIFTUNG