Soziale Netzwerke: Schnell, bunt, umstritten

Wer in Deutschland das Internet nutzt, nutzt fast immer auch soziale Medien. 89 Prozent der mindestens 16 Jahre alten Teilnehmer einer Studie im Auftrag des IT-Branchenverbands Bitkom gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten soziale Netzwerke aufgesucht zu haben. Das, was bis vor kurzem gerne Facebook und Co. genannt wurde, ist längst zum Kommunikationswerkzeug von Unternehmen geworden. Und auch gemeinnützige Akteure nutzen die Plattformen, um zu informieren und zu mobilisieren.Bettine Kuhnert ist Online-Redakteurin bei Missio München. Foto: Fotostudio SauterDie Stiftung Polytechnische Gesellschaft aus Frankfurt am Main zum Beispiel. Sie ist auf Instagram, Linkedin, Facebook und Youtube aktiv. Die Organisation mit einem Vermögen von 467 Millionen Euro ist fördernd und operativ in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen tätig. Das vierköpfige Team der Kommunikationsabteilung postet Fotos oder Videos, gibt Einblicke in die Stiftungsarbeit. Dabei seien die Inhalte auf die Plattform angepasst – je nach Medium herrscht ein anderer Duktus. „Während für die Printprodukte einheitliche Corporate-Identity-Vorschriften herrschen, also auf welche Art und Weise die Themen der Stiftung nach außen kommuniziert werden, werden diese etwas aufgebrochen für die sozialen Medien“, sagt Social-Media-Managerin Elisabeth Brachmann. „Im Zentrum steht hier ein gewisser Unterhaltungswert und eine spezifische Ausrichtung auf den Kanal und die Zielgruppen.“Auch die Christoffel-Blindenmission (CBM) passt ihre Botschaften an das virtuelle Umfeld an – in ihrem Fall Facebook, Linkedin und Instagram. „Für uns hängt die Wahl der Plattform davon ab, ob der Schwerpunkt eines Postings mehr auf Information oder mehr auf Unterhaltung liegt“, sagt Vereinsvorstand Peter Schießl. „Inhalte auf Linkedin richten sich eher an eine fachlich interessierte Community, etwa an Großspender, die tiefer gehende Fragen zu unserer Arbeit haben. Bei Facebook oder Instagram etwa steht eher unterhaltsame und emotionale Kommunikation im Vordergrund.“Soziale Netzwerke effektiv zu nutzen, bedeutet für gemeinnützige Organisationen immer auch auszuprobieren. „Wir sind in einer ständigen Lernkurve“, sagt Lorenz Töpperwien, der für den Verein Kindernothilfe Facebook, Instagram, Linkedin und Twitter betreut. „Früher haben wir zum Beispiel viel von uns erzählt, über Events berichtet – das war allerdings nicht sehr erfolgreich. Für Menschen, die nicht daran teilnehmen, war es offenbar nicht interessant genug. Heute setzen wir sehr stark auf Du-Botschaften und Service-Inhalte.“ Die gute Nachricht: Zu zeigen, ob ein Ansatz in die richtige Richtung geht, gehört naturgemäß zu den Stärken der interaktiven Medienart. „Man kann relativ schnell herausfinden, welche Formate auf welcher Plattform funktionieren“, sagt Bettine Kuhnert, die in der Abteilung Kommunikation und Presse von Missio München mit ihren Kolleginnen Youtube, Facebook, Linkedin und Instagram bespielt.Hohes TempoOb beim Anpassen des Konzepts oder den Inhalten selbst – eine Eigenschaft ist den Plattformen gemeinsam: Sie sind schnell. „Die Drei-Sekunden-Regel funktioniert nicht mal mehr“, sagt Töpperwien. „Selbst die sind zum Teil zu lang, um eine Botschaft rüberzubringen. Storytelling in sozialen Medien ist das Gegenteil von klassischem Storytelling.“ Das könne allerdings auch Vorteile haben. „Wir arbeiten viel fokussierter.“ CBM-Vorstand Schießl sieht in der Geschwindigkeit ebenfalls Herausforderung und Chance. So seien Organisationen wie CBM etwa in Katastrophensituationen schnell in der Lage, zu Spenden aufzurufen.Malte Schumacher ist Philanthropie-Berater. Foto: Verena MeierBei aller Atemlosigkeit gilt es zudem, das Niveau zu halten. „Wir dürfen auf keinen Fall platt kommunizieren. Es muss fundiert sein, aber die Kunst besteht schon in der Aussparung. Der Versuch ist immer, ein Thema in Häppchen zu kommunizieren, ein Gesamtbild zu schaffen“, sagt Töpperwien. Dass damit eine starke Themenauswahl verbunden ist, sei nur für eine Seite ein Problem. „Man muss sich manchmal von Lieblingsthemen verabschieden, wenn sie nicht funktionieren. Für uns ist das zum Teil schwierig, für die User aber gar nicht schlimm.“ Im Gegenteil: Würde die Kindernothilfe alle ihre Arbeitsbereiche gleich darstellen, wäre das in den sozialen Medien eine Überforderung für die Nutzer, so Töpperwien.Die prägende Eigenschaft sozialer Medien ist, dass der Austausch in beide Richtungen funktioniert. Der Abschied vom Sender-Empfänger-Prinzip wurde vor gut zehn Jahren gerne unter dem Schlagwort Web 2.0 subsumiert. Heute ist er selbstverständlicher Standard und eine Chance auch für professionelle Nutzer. „Der Austausch mit der Community ist uns besonders wichtig“, sagt Rebecca Winkels, Pressesprecherin und Leiterin der Kommunikation des DRK. „Soziale Medien sind für uns keine kommunikative Einbahnstraße mit plakativen Werbeslogans.“ Christina Meyer, Head of Performance Marketing bei der schweizerischen Hilfsorganisation Helvetas, schätzt die Rückmeldung als „gute Hinweise darauf, welche Fragen die Leute beschäftigen. Das hilft, unsere eigene Sicht darauf, was wichtig ist, zu kommunizieren, zu ergänzen mit dem Außenblick. Daher ist das direkte Feedback in den sozialen Medien für uns sehr wertvoll.“Einsatz für den DiskursGemeinnützige Organisationen sehen die Plattformen nicht nur als Werkzeug für ihre Interessen. Sie können aus Sicht von Elisabeth Brachmann von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft auch ein Gegengewicht sein in einem Umfeld, das von kommerziellen Interessen dominiert ist – und auch von negativen Nachrichten. „Wir als zivilgesellschaftlicher Akteur mit vielen ‚Bildern des Gelingens‘ finden es wichtig, dort als eine Art Gegengewicht eine Präsenz zu haben“, sagt Brachmann.Christina Meyer ist Head Performance Marketing bei Helvetas. Foto: HelvetasAuch Bettine Kuhnert sieht diesen Auftrag. „Wir sind eine spendensammelnde Organisation, vermitteln aber auch durch unser Netzwerk vor Ort Wissen über unsere Projektländer in Afrika, Asien und Ozeanien. Damit können wir auch den Klischees, die existieren, etwas entgegensetzen. In unserer globalisierten Welt gehen die Sichtweisen der Menschen in anderen Ländern manchmal immer noch unter. Das ändern wir ein kleines Stück.“ Missio München vermeide schlimme Nachrichten nicht, zeige aber auch das, was gut funktioniert. „Die Welt ist voll genug mit schlechten Nachrichten. Aus dem christlichen Glauben heraus sind wir und die Menschen, die uns unterstützen, überzeugt, dass sich die Dinge zum Guten bewegen lassen.“ Auf sozialen Netzwerken ließen sich zudem auch Randaspekte zeigen, die auf der Website keinen Platz fänden.Mehr noch als durch die erwartbare Kommerzialisierung stehen soziale Netzwerke aufgrund ihrer politisch-gesellschaftlichen Wirkung in der Kritik: Tragen sie doch dazu bei, Informationsblasen und damit auch eine Polarisierung zu befördern. Das geht auch an NGOs nicht vorbei. „Hass und Hetze unter unseren Postings hat deutlich zugenommen. Das macht die Arbeit natürlich auch aus der Sicht der Mitarbeitenden belastender“, sagt Winkels vom DRK. In dem Zuge müsse man sich fragen, welche Kanäle man weiterhin noch nutzen wolle, ob es sich noch lohne. Dies sei derzeit der Fall bei X, dem früheren Twitter.Solche Überlegungen gibt es auch in Gütersloh. Für die Bertelsmann-Stiftung sei X seit Jahren ein relevanter Kanal für die Stiftungskommunikation, so Pressesprecher Jochen Lange. Doch die Stiftung nehme eine Veränderung der Debattenkultur dort wahr. „Als Alternative funktioniert beispielsweise Linkedin sehr gut für uns. Es werden konstruktive Debatten geführt und die Mitglieder müssen mit Klarnamen angemeldet sein.“ Darüber hinaus beobachte die Bertelsmann Stiftung die Entwicklung möglicher Alternativen wie Blue Sky und Threads. Auf Blue Sky fänden sich erste Projekte der Stiftung wie „Upgrade Democracy“ wieder.De-facto-Anwesenheitspflicht?Die Fokussierung auf den Kanal von Elon Musk greift für Lorenz Töpperwien von der Kindernothilfe allerdings zu kurz. „X zeigt, wie labil das alles ist, wie sehr wir uns da in Abhängigkeit begeben von schwierigen politischen Protagonisten.“ Doch am Ende sei das ein systematisches Problem, das alle Plattformen betreffe. „Organisationen, die soziale Medien nutzen, liefern sich diesen Netzwerken aus – der ganze Komplex soziale Medien ist in sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht hochbrisant“, sagt Töpperwien.Was also tun? „Ich glaube, das Risiko ist noch abschätzbar: Wir können klar sagen, dass es mehr Nutzen als Schaden bringt für die Arbeit“, sagt er. Und man brauche schlicht die Möglichkeiten dieser Medien. „Abschalten ist keine Option. Sonst wäre unsere Arbeit in wenigen Jahren nicht mehr möglich und würde uns insgesamt den Kopf kosten.“ Zwar sei der Anteil der Online-Spenden bei der Kindernothilfe noch relativ gering. Aber: „Alle NGOS sind auf dem Weg, jüngere Zielgruppen anzusprechen, um Nachwuchs zu sichern. Das geht am besten über soziale Medien.“ Würden die Organisationen damit aufhören, würden sie massiv leiden, wenn die ältere Spendergeneration nicht mehr da ist. „Das kann niemand wollen. Die Kindernothilfe fördert pro Jahr circa zwei Millionen Kinder und Jugendliche – was, wenn es solch eine Organisation nicht mehr gäbe?“Peter Schießl ist Vorstand bei CBM. Foto: Iris BotheAuch Missio hat seine Präsenz abgewogen – wie bei anderen kirchlichen Organisationen sei diskutiert worden, ob man bei Facebook oder Instagram bleiben „darf und soll“, sagt Kuhnert. Auch diese Antwort aus München trägt den Notwendigkeiten der Zeit Rechnung: „Solange die anderen mitmachen, muss man auch mitmachen. Es kommt nicht in Frage, sich selbst die Möglichkeit zu nehmen. Das ist ein Konflikt, den wir derzeit nicht auflösen können.“ Insbesondere auf Facebook, aber auch auf Instagram könne Missio München mit Partnern in Projektländern interagieren und sein Netzwerk sichtbar machen. „Damit hat die Arbeit auch eine innere Funktion ins Netzwerk hinein. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt“, sagt Kuhnert. „Würden wir unsere Accounts abschalten, würden wir diese Netzwerkmöglichkeit verlieren. Auch andere Formate, die online auffindbar sind, würden einen Multiplikator einbüßen.“Philanthropie-Berater Malte Schumacher beobachtet diesen Wandel seit einiger Zeit: „Kanäle, die anfangs als seriös galten, sind es nun vielleicht nicht mehr. Man muss genau wissen, welcher Kanal zu mir passt und wo meine Zielgruppen eigentlich unterwegs sind. Auch muss man inzwischen eben auch auf Seriosität und Reputation achten.“ Viele gemeinnützige Organisationen hätten irgendwann einmal mit einem Kanal angefangen und würden dann darin stecken bleiben, etwa bei Facebook. „Als Facebook noch ein großes Experimentierfeld war, sind viele Stiftungsvorstände etwa der Meinung gewesen, dass man da jetzt auch mitmachen muss. Denn da sind ja jetzt schließlich alle. Ohne eigentlich genau zu wissen, was man da macht und wer da konkret unterwegs ist.“Reputation und RessourcenLorenz Töpperwien betreut soziale Medien für die Kindernothilfe. Foto: Jakob StudnarDie Frage der Reputation berührt jene der Ressourcen. Sie sind laut Töpperwien der Grund, wieso etwa die Kindernothilfe ihren Kanal auf X nicht mehr aktiv bespielt. „Wir müssen Prioritäten setzen“, sagt Töpperwien, der seit 2014 in Teilzeit für die Kindernothilfe arbeitet. Während sich in Duisburg zwei Stellen um die Welt von Facebook und Co, kümmern, ist dies nicht überall möglich. Bei Helvetas etwa übernehmen diese Aufgaben verschiedene Personen nebenher, sagt Christina Meyer. „Es wäre uns natürlich lieb, wenn mehr Ressourcen zur Verfügung stehen würden und sich eine Fachperson auf Social Media konzentrieren könnte. Denn manchmal ist es herausfordernd, dies nebenbei zu managen. Insbesondere die Aufbereitung kanalspezifischer Posts erfordert viel Zeit“, sagt Meyer.Was für den Nutzer nach einer einfachen kleinen Bildstrecke oder einem kurzen Video aussieht, bedeutet viel Arbeit. Entsprechend viel Zeit fließt in die Aufbereitung für Instagram und Co. „Die Gestaltung ist hier der aufwendigste Aspekt. Wir messen zwar nicht den Arbeitsaufwand für jeden Post, aber ich würde schon zwei bis drei Stunden veranschlagen, um für Instagram und Facebook angepasste Inhalte zu gestalten“, sagt Bettine Kuhnert von Missio München.Das ist umso relevanter, als Non-Profit-Organisationen auf potente Konkurrenz stoßen. Sie stünden auf den Plattformen im Wettbewerb mit Akteuren, „die teils unheimlich viel Geld für soziale Medien ausgeben können“, sagt Elisabeth Brachmann. Da sei es schwieriger, mit weniger Mitteln ebenfalls Gehör zu finden.Ringen mit dem AlgorithmusUnd auch die Regeln der Netzwerke machen es für gemeinnütziges Engagement nicht unbedingt leichter. So will sich die Stiftung Polytechnische Gesellschaft mehr im Bereich Demokratiebildung engagieren. Doch auf Instagram etwa sei es schwierig, dafür Werbung zu machen, sagt Brachmann. Denn die Plattform stufe dies als politischen Inhalt ein – so geschehen etwa im Fall einer Werbung für eine Informationsveranstaltung vor der Landtagswahl in Hessen für junge Wähler, die zur Wahl aufrufen wollte, unabhängig von Parteipolitik. Instagram habe diese Werbung als politische Werbung identifiziert und geblockt. Auch Missio München hat die Erfahrung gemacht. Religiöse Inhalte seien bei der Instagram-Mutter Facebook schwierig, sagt Kuhnert.Jochen Lange ist Pressesprecher bei der Bertelsmann-Stiftung. Foto: Bertelsmann-Stiftung/Kai Uwe OesterhelwegDas DRK verzeichnet derzeit einen Rückgang seiner Reichweiten in den sozialen Medien, obwohl die Qualität der Postings sich gesteigert habe, so Rebecca Winkels. Als Grund dafür sieht die Pressesprecherin vor allem, dass die Social-Media-Aktivitäten des DRK kaum finanziellen Gegenwert für die Plattformen böten. „Ich spreche auch mit anderen NGOs, die alle etwas Ähnliches beobachten.“Lorenz Töpperwien von der Kindernothilfe sieht hier die Plattformen in der Pflicht. „Wir sind Teil einer Zivilgesellschaft, die ohnehin immer stärker zurückgedrängt wird. Ich würde mir wünschen, dass es von den Netzwerken mehr Entgegenkommen gibt.“ Es sei an der Zeit, dass Netzwerke gemeinnützige Organisationen mit Rabatten unterstützten. „Das würde auch den Netzwerken selbst guttun.“ Bestrebungen hierzu sehe er aber nicht. „Anders als bei Dienstleistern, die Social-Media-Tools anbieten. Da gibt es teilweise erhebliches Entgegenkommen.“Bei allen Herausforderungen sieht Elisabeth Brachmann noch viel Potential. So würden sich etwa immer mehr Influencer nur noch für Themen engagieren, von denen sie persönlich überzeugt seien. Eine Chance für Stiftungen. „Denn es gibt zwar nicht so ein großes Social-Media-Budget wie etwa bei vielen Unternehmen, dafür aber Gesichter, Geschichten und Botschaften, die gut zu bestimmten Influencern passen könnten.“

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