Mission: Gesunde Ernährung

Seit ich nicht mehr in der Politik tätig bin, investiere ich viel Zeit, Hirnschmalz und Leidenschaft in meine Stiftung“, sagt Sarah Wiener. Die TV-Köchin und Unternehmerin saß von 2019 bis 2024 als unabhängige Abgeordnete im Europaparlament. Die Grünen in Österreich verschafften ihr das Mandat. Seit 2007 ist sie auch Stifterin. Ihr Lebensweg ist voller Wendungen. Sie wurde 1962 im westfälischen Halle als Tochter des Schriftstellers, Kybernetikers und Gastronomen Oswald Wiener und der Künstlerin Lore Heuermann geboren, wuchs vor allem in Wien auf. Mit 17 Jahren verließ sie ihre letzte Schule, ein Mädcheninternat, um zunächst einige Jahre durch Europa zu trampen. Ihre ersten gastronomischen Erfahrungen sammelte sie in ihren frühen Zwanzigern in den beiden Berliner Restaurants ihres Vaters, zunächst als Kellnerin und später in der Küche. Die alleinerziehende Mutter ohne Schulabschluss lebte zeitweise von Sozialhilfe. 1990 gründete sie schließlich ihr erstes Unternehmen, „Sarah Wieners Tracking Catering“, und versorgte Filmcrews. Im Laufe der Jahre eröffnete sie mehrere Restaurants in Berlin und Bremen. Parallel betrieb sie Kampfsport, wurde 1991 und 1992 Berliner Meisterin in der Disziplin Vollkontakt-Taekwondo. Heute beschäftigt ihre Firma, die Sarah Wiener GmbH, mehr als 200 Mitarbeiter. Einem breiten Publikum bekannt wurde sie vor allem durch zahlreiche Kochsendungen, in denen sie verschiedene Länder bereiste und regionale Spezialitäten nachkochte.Folgenreiche ErnährungsgewohnheitenUm Kindern ein gesundes Ernährungsverhalten näherzubringen, gründete Sarah Wiener 2007, aus einer relativ spontanen Idee heraus, wie sie sagt, zusammen mit Freunden und dem Bio-Anbauverband Demeter die nach ihr benannte gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts mit einem Kapital von 253.500 Euro. Alleine hätte sie das Vorhaben finanziell nicht stemmen können, sagt sie. Zu den Mitgründern zählte auch der TV-Koch Alfred Biolek, den sie gerne an Bord haben wollte: „Ich dachte mir, wenn man mir nicht zuhören möchte, wird man es sicherlich bei ihm tun.“ Der Sitz der Stiftung ist in Berlin, gegründet wurde die Organisation allerdings in Erfurt. Mit der Wahl des Standorts wollte Wiener ein Zeichen setzen, wie sie sagt: „Ich habe mir die Zahlen zu Stiftungsgründungen angesehen und festgestellt, dass Thüringen das Schlusslicht war. Mit der Gründung in Erfurt wollte ich meinen Teil dazu beitragen, die neuen Bundesländer zu stärken.“ „Wir haben in den letzten 40 Jahren so unnatürlich gegessen wie in den 100.000 Jahren davor nicht.“Sarah Wiener Wiener wollte mit der Stiftung etwas Langfristiges schaffen, da sie davon überzeugt war, dass die Probleme und Herausforderungen im Zusammenhang mit Essen, Landwirtschaft und ernährungsbedingten Krankheiten eher zu- als abnehmen werden. Die Fakten scheinen ihr recht zu geben. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und bestimmte Krebsarten steigen an und stehen oft in Zusammenhang mit Ernährungsgewohnheiten. Laut einer Analyse unter anderem von Forschern der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist jeder sechste Todesfall in der europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation auf eine unausgewogene Ernährung zurückzuführen.Ernährungslotsen sollen ihr Wissen weitergeben. Foto: Sarah-Wiener-Stiftung/PhotothekEine Entwicklung, zu der Wiener eine klare Meinung hat: „Ich wollte der Nahrungsmittelindustrie, die immer mehr Marktanteile gewinnt und sich zunehmend vom natürlichen Essverhalten entfernt, etwas entgegensetzen.“ Sie sei nie damit einverstanden gewesen, dass Menschen fremdgefüttert werden, ohne zu wissen, was sie essen. Es sei besorgniserregend, dass Geschmäcker manipuliert werden und die Sehnsucht von Kindern nach echten, gesunden Lebensmitteln verloren gehe, weil sie diese nie selbst erfahren könnten. „Es gibt Strömungen, die uns Sorge bereiten sollten. Wir haben in den letzten 40 Jahren so unnatürlich gegessen wie in den 100.000 Jahren davor nicht“, behauptet Wiener. „Das ist nicht nur besorgniserregend für unseren Körper, sondern hat auch Auswirkungen auf die Vererbung – Schwächen, die dann weitergegeben werden.“ Zudem beeinflusse das, was wir essen, unsere Landschaften und die Klimakrise. Ernährung sei ein extrem komplexes Thema, das sie mit der Arbeit der Stiftung Kindern möglichst einfach und niedrigschwellig näherbringen möchte. „Die Anfangszeit der Stiftung war geprägt von einem Trial-and-Error-Ansatz, da wir ohne wirkliche Struktur gestartet sind und notwendiges Geld gefehlt hat“, sagt Wiener. Doch seit der Gründung habe man viel gelernt und sich professionalisiert. Die Projekte der Stiftung zielen auf langfristige Wirkungen ab. Dazu gehört „Ich kann kochen!“, welches Fach- und Lehrkräfte in Kitas und Grundschulen für das pädagogische Kochen qualifiziert und nach eigener Aussage die mittlerweile größte Ernährungsinitiative Deutschlands für Kita- und Grundschulkinder ist. Das Bildungsprogramm „Essen entdecken!“ vermittelt Kindern aus Kitas Wissen über die Herkunft von Lebensmitteln, unter anderem auf Bauernhöfen. Darüber hinaus bildet die Einrichtung Mitarbeitende von Familienzentren in Berlin in Ernährungsbildung fort und unterstützt lokale Berliner Kitas, Schulen oder Stadtteilzentren dabei, die Ernährungsumgebung in ihren Nachbarschaften zu stärken, besonders in sozial und finanziell benachteiligten Gebieten. Über die umzusetzenden Projekte entscheidet der ehrenamtliche fünfköpfige Vorstand, dem ein knapp 40-köpfiges Team untersteht. Der Vorstand, dessen Vorsitzende Sarah Wiener ist, ist das einzige Gremium der Stiftung. Jedes Vorstandsmitglied bringe laut Wiener unterschiedliche Stärken und Schwächen mit. „Meine Schwäche liegt im Umgang mit Zahlen und Bilanzen – ich bin eher der kreative Typ und kümmere mich darum, dass alles inhaltlich gut untermauert ist“, sagt die Stiftungsgründerin. Der Mann der Zahlen in der Stiftung ist der stellvertretende Vorsitzende Jochen Beutgen, hauptamtlich Geschäftsführer bei einem Vermögensverwalter. Der Vorstand trifft sich mindestens viermal im Jahr. „Wir beobachten die Zahlen, besprechen die aktuelle Situation und unterstützen die Geschäftsführung im täglichen Geschäft, um bei allen anstehenden Herausforderungen zu helfen“, sagt Wiener. „Wir sind eine Stiftung, die aktiv handelt, und dafür benötigen wir natürlich auch relativ viel Geld, das akquiriert werden muss.“ Breite Palette an Unterstützern Dieses Geld stammt überwiegend von Förderern. An ihnen mangelt es der Stiftung auf den ersten Blick nicht: Auf der Webseite sind drei Förderpartner, 19 Förderer und Partner sowie 23 Unterstützende und Freunde aufgeführt. Der wichtigste Förderpartner ist die Barmer Krankenkasse, die sicher gute Gründe für ihre Unterstützung hat: So verursachen ernährungsbedingte Krankheiten einen erheblichen Anteil der Ausgaben im Gesundheitssystem. Auch öffentliche Stellen unterstützen die Stiftung. So wird das Bildungsprogramm „Essen entdecken!“ im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau gefördert. Genussbotschafterinnen für Familien. Foto: Sarah-Wiener-Stiftung/PhotothekDie Akquise von Mitteln bleibe eine Herausforderung. Doch die Stiftung befinde sich mittlerweile in einer stabilen Position. „Wir haben viel Arbeit investiert, um auf einem soliden Fundament zu stehen“, sagt Sarah Wiener. In den Anfangszeiten, als das Geld noch knapper war, habe man den Fehler begangen, bei angebotenem Geld viele kleine Projekte parallel umzusetzen – ohne das große Ganze und die Vision zu berücksichtigen. „Da haben wir haben uns entschieden, dass alle unsere Aktivitäten auf unsere Ziele einzahlen müssen“, so Wiener. „Wir haben uns intensiv mit unserer Strategie beschäftigt, geschaut, in welchen Bereichen wir mit unserer Vision tätig sein sollten. Und wir haben stärker auf Wirkungsorientierung gesetzt. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche, von dem wir überzeugt sind, dass es sinnvoll und langfristig wirksam ist.“ „Ich habe noch einiges vor in den nächsten Jahren.“ Sarah Wiener Wenn man Sarah Wiener fragt, welcher Punkt ihr für die Zukunft der Stiftung besonders wichtig ist, nennt sie weiterhin eine solide Finanzierung als Basis der Stiftungsarbeit. An guten und sinnvollen Ideen für Projekte mangele es jedenfalls nicht. Zukünftig würde sie gerne Eltern noch stärker in das Thema Ernährung einbeziehen. Auch gibt es einen Bereich, den sie besonders interessant findet: die ersten tausend Tage im Leben eines Menschen, die entscheidend für die Ernährungsentwicklung seien. „Wir beginnen in der Regel erst ab drei Jahren mit unserer Arbeit, was ein Zeitpunkt ist, zu dem wir mit Kindergartenkindern aktiv werden können. Doch die Begleitung während der Schwangerschaft und in den ersten zwei bis drei Jahren nach der Geburt ist oft unzureichend informiert“, sagt Wiener. Wenn die Stifterin auf die Anfänge der Stiftungsarbeit im Jahr 2007 zurückblickt und sich fragt, ob sich die Ernährungssituation seitdem verbessert hat, muss sie dies verneinen. Es gebe jedoch auch eine bewusste Minderheit, die verstehe, wie wichtig gute, frische und gesunde Ernährung sei. Dies weiterzutragen, sei ihr wichtig. Denn Ernährung ermögliche nicht nur Kontrolle über den eigenen Körper, sondern auch eine gewisse Wahlfreiheit. „Es geht nicht darum, den Menschen zu verbieten, etwas zu essen, sondern darum, echte Wahlmöglichkeiten zu bieten und Wissen über Ernährung zu vermitteln.“ Die 62-Jährige sieht die Stiftung gut gerüstet für eine Zeit, in der sie nicht mehr am Ruder ist. „Doch ich habe noch einiges vor in den nächsten Jahren“, sagt sie. Für die fernere Zukunft wäre ihr Traum, dass die Stiftung überflüssig ist, weil alle Menschen gesund, vielfältig und frisch kochen und ernährungsbedingte Krankheiten auf ein Minimum reduziert werden – wohlwissend, dass dieses Wunschszenario nicht so schnell eintreten dürfte.

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