Wo Gemeinnützigkeitsrecht und Stiftungsrecht uneins sind

Ein Konflikt zwischen einer Stiftung und der Finanzverwaltung in Schleswig-Holstein rückt eine grundlegende Frage in den Blick: Wie müssen nichtkirchliche Religionsgemeinschaften ihre Satzungen formulieren, um als gemeinnützig anerkannt zu werden? In diesem spezifischen Fall, der im November 2024 publik wurde, verwehrte das Finanzamt einer vom Zentralrat der Juden gegründeten Stiftung einen Antrag auf Gemeinnützigkeit. Der Grund: Die Satzung wich vom Wortlaut der Mustersatzung nach Paragraph 60 der Abgabenordnung (AO) ab. Die AO ist das elementare Gesetz des Steuerrechts und regelt somit auch das Gemeinnützigkeitsrecht.Anstelle des Begriffs „kirchliche Zwecke“ verwendete die vom Zentralrat ins Leben gerufene Stiftung die Formulierung „religionsgemeinschaftliche Zwecke“ – eine bewusste Entscheidung, denn im Judentum gibt es den christlich geprägten Begriff der Kirche nicht. Dennoch forderte die Finanzverwaltung die wörtliche Übernahme der Mustersatzung. Für die Stiftung war das ein unhaltbarer Zustand. Sie sah darin eine Benachteiligung nichtchristlicher Religionsgemeinschaften, die in der deutschen Rechtsordnung zwar als gemeinnützig anerkannte und privatrechtliche organisierte Körperschaften sein können, nicht aber dem Begriff der „Kirche“ zugeordnet werden. Der Zentralrat suchte deshalb nach einer grundsätzlichen Klärung – und fand sie beim Finanzministerium in Schleswig-Holstein. Die Landesbehörde unterstützte in einem Brief die Position des Zentralrats. Jüdische Religionsgemeinschaften verfolgten unstreitig kirchliche Zwecke im Sinne des Paragraphen 54 AO. Doch um „potentielle Diskriminierung materiell begünstigter, nicht christlicher Religionsgemeinschaften durch die strengen formellen Anforderungen der Mustersatzung zu vermeiden“, dürften religiöse Körperschaften künftig hinsichtlich des Begriffs „kirchlich“ von der Mustersatzung abweichen.Identität der StiftungDas Stiftungsrecht, das mit Wirkung zum 1. Juli 2023 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zentralisiert wurde, aber immer noch durch Gesetzgebung auf Landesebene erweitert wird, macht keine spezifischen Vorgaben für die Formulierung des Stiftungszwecks. Demnach kann die jüdische Stiftung grundsätzlich den Begriff „religionsgemeinschaftliche Zwecke“ verwenden, solange die steuerrechtlichen Anforderungen erfüllt sind. „Mustersatzungen, sei es die in der Abgabenordnung, sei es die von Stiftungs- oder Finanzbehörden, verkürzen viele Themen“, sagt Christian Kirchhain, Rechtsanwalt und Steuerberater bei Flick Gocke Schaumburg, in seinem Vortrag beim diesjährigen Stiftungsrechtstag in Bochum. „Sie suggerieren eine Einfachheit, die es nicht gibt.“ Stiftungen seien sehr individuell „und so persönlich wie der Stifter selbst“. Eine Satzung müsse daher die nötige Komplexität besitzen, um die Identität der Stiftung widerspiegeln zu können. Nicht selten leite sich diese aus der Lebensbiografie des Stifters ab. „Im Stiftungswesen gibt es viele komplexe Zusammenhänge, die eine standardisierte Mustersatzung nicht wiedergeben kann“, sagt Kirchhain. Für ihn ist deshalb klar, dass behördliche Mustersatzungen lediglich als Serviceangebote verstanden werden sollten. Deshalb könnten Stiftungen auch nach Auffassung der Finanzverwaltung Schleswig-Holstein von der gesetzlichen Mustersatzung in zivilrechtlich begründeten Ausnahmefällen abweichen. „Mustersatzungen verkürzen viele Themen.“ Christian Kirchhain Ein weiterer Reibungspunkt entsteht laut Kirchhain, weil die gesetzliche Mustersatzung für gemeinnützige Körperschaften konkrete Angaben zur Zweckverwirklichung vorschreibt. Als Beispiel wird in Paragraph eins des Dokuments etwa die Vergabe von Forschungsaufträgen oder die Unterhaltung einer Schule aufgeführt. Im Gegensatz dazu sehe das Stiftungsrecht der Länder lediglich die Angabe mindestens eines Stiftungszwecks vor, wie etwa „religionsgemeinschaftliche Zwecke“. Angaben zur Zweckverwirklichung sind laut Kirchhain im Stiftungsrecht des BGB nicht zwingend nötig. „In der Praxis wird natürlich beides in die Satzung geschrieben“, sagt er.Unterschiedliche Auffassungen gibt es auch bei der Mittelverwendung von Stiftungen. „Im Gemeinnützigkeitsrecht ist die zeitnahe Mittelverwendung der Grundsatz“, sagt Kirchhain. „Die Bildung von Vermögen und Rücklagen durch Kapitalerträge stellt eine Ausnahme dar, die man gegenüber der Finanzverwaltung begründen muss.“ Das Stiftungsrecht kommt zu einem anderen Schluss. Nach Paragraph 83c BGB ist die Erfüllung des Satzungszwecks „mit den Nutzungen des Grundstockvermögens“ zu leisten. Zugleich schreibt der Paragraph auch die Erhaltung des Grundstockvermögens vor. Daraus lässt sich ableiten, dass Ewigkeitsstiftungen mit den Kapitalerträgen aus ihrem angelegten Grundstockvermögen ihren Stiftungszweck erfüllen müssen. Lesen Sie hier: Eine Kleine Anfrage im Bundestag rückte nach der Bundestagswahl das Verhältnis gemeinnütziger Organisationen und politischer Meinungsäußerung ins Rampenlicht. Wie kann, wie muss der Sektor mit Skepsis und Angriffen umgehen? Das Stiftungsrecht gebe keine Auskunft darüber, ob das Grundstockvermögen von Ewigkeitsstiftungen gegenständlich oder wertmäßig zu erhalten sei, so Kirchhain. Eine gegenständliche Erhaltung bedeute, dass die ursprünglichen, oftmals familienhistorischen Vermögenswerte der Stiftung wie etwa Immobilien, Kunstwerke oder Unternehmensbeteiligungen nicht veräußert werden dürften. Bei einer wertmäßigen Erhaltung des Grundstockvermögens stelle sich die Frage, ob diese nominal, also in absoluten Zahlen, oder real zu verstehen sei, das heißt unter Berücksichtigung der Inflation des Geldes.Kapitalerhalt oder Zweckerfüllung?Ein Konflikt zwischen Gemeinnützigkeits- und Stiftungsrecht entstehe in diesem Zusammenhang, wenn sich eine Ewigkeitsstiftung bei ausbleibenden Erträgen zwischen Kapitalerhalt und Zweckerfüllung entscheiden müsse. „Wo setzt man die Priorität?“, fragt Kirchhain. Eine klare Antwort lieferten beide Rechtsverständnisse nicht, es gebe viel Raum für Interpretation. Für den Bonner Rechtsanwalt wiegt in diesem Fall das Gemeinnützigkeitsrecht schwerer, weil es nicht nur die Voraussetzungen für einzelsteuerliche Vergünstigungen setze, sondern auch das Organisationsrecht einer gemeinnützigen Stiftung definiere: „Wenn der Stifter sagt, dass seine Stiftung ausschließlich gemeinnützige Zwecke verfolgen soll, dann möchte er, dass sie sich dem Regelwerk der Abgabenordnung unterwirft.“ Für den Berater ist klar: Der historische Stifterwille muss auch in wirtschaftlich schwachen Jahren die oberste Priorität haben.Eine gegenteilige Interpretation vertritt etwa Carsten Carstensen in seinem 1996 erschienenen Buch „Vermögensverwaltung“: Aus seiner Sicht dient das Stiftungsrecht primär dem Schutz des Stifterwillens. Insbesondere bei Ewigkeitsstiftungen bedeute dies, dass der Kapitalerhalt als oberstes Prinzip gelte, schreibt Carstensen. Dadurch werde die langfristige Stabilität und Existenz der Stiftung über die unmittelbare Erfüllung ihres Stiftungszwecks gestellt. Kirchhain hält fest: „Nicht alles, was gemeinnützigkeitsrechtlich erlaubt ist, ist auch stiftungsrechtlich erlaubt. Und umgekehrt: Nicht alles, was stiftungsrechtlich erlaubt ist, ist auch gemeinnützigkeitsrechtlich erlaubt.“Perspektive auf VerlusteBei der Betrachtungsweise von Verlusten etwa aus der Kapitalanlage wird dieses Paradoxon noch deutlicher. Im Stiftungsrecht ist seit dem 1. Juli 2023 mit Paragraph 84a BGB die Business Judgement Rule in Kraft getreten, die aus dem Aktienrecht übernommen wurde. Sie besagt, dass Stiftungsverantwortliche bei der Ausübung ihrer Arbeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers vorgehen müssen. Wenn eine Stiftung etwa Verluste durch Aktiengeschäfte verzeichne, liege demnach keine Pflichtverletzung vor, sofern der Stiftungsverantwortliche „vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Stiftung“ gehandelt zu haben. Diese Passage des Stiftungsrechts findet Kirchhain sehr fortschrittlich: „Es beurteilt den Vorgang aus der Sicht ex ante. Es ermutigt Stiftungsorgane, Entscheidungen zu treffen und wirtschaftliche Risiken einzugehen, sofern ein Investment auf einem kaufmännisch plausiblen Businessplan beruht.“ Das bedeute, dass spätere Überprüfungen der geschäftlichen Entscheidungen nur auf Grundlage der Informationen erfolgen, die der Stiftungsvorstand zum damaligen Zeitpunkt hatte. „Nicht alles, was gemeinnützigkeitsrechtlich erlaubt ist, ist auch stiftungsrechtlich erlaubt – und umgekehrt.“ Christian Kirchhain Im Gemeinnützigkeitsrecht ist der Blickwinkel ein anderer. „Beim Ex-post-Ansatz des Steuerrechts wird gefragt, was hinterher rausgekommen ist“, sagt Kirchhain. Wenn etwa eine Stiftung eine Immobilie erwerbe, um sie zu vermieten, und nach 20 Jahren ein Mieter ausfalle, dann würde nach dem Gemeinnützigkeitsrecht der entstandene Verlust mit den Gewinnen der Stiftung aus anderen mittelbeschaffenden Tätigkeiten des Verlustjahres und der sechs vorangegangenen Jahre verrechnet.Ein weiteres Problem ist laut Kirchhain, dass sich steuerrechtliche Maßstäbe verändern können, ohne dass dies zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung absehbar gewesen ist. „Wenn eine Stiftung heute unter bestimmten Annahmen wirtschaftet und der Gesetzgeber einige Jahre später beispielsweise die Abschreibungssätze für Abnutzung erhöht, dann entsteht für die Stiftung plötzlich ein unvorhersehbarer steuerrechtlicher Verlust. Nach Auffassung der Finanzverwaltung muss sie diesen Verlust dann mit Mitteln aus dem gemeinnützigen Topf ausgleichen“, sagt Kirchhain. „Solche gemeinnützigkeitsschädlichen Verluste können wiederum schnell zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen.“Bundesrat soll entschärfenIm Jahr 2024 gab es bereits die Bestrebung, das Gemeinnützigkeitsrecht um Elemente einer Business Judgement Rule zu ergänzen. Die Enquete-Kommission des niedersächsischen Landtags hatte im Bundesrat einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet. Die Bundesregierung Scholz lehnte dieses Vorhaben jedoch ab. Das Finanzministerium argumentierte, dass die Abgabenordnung ein Instrument des Steuer- und Verwaltungsrechts sei, in dem es auf objektive Maßstäbe ankomme. Entscheidungen in diesem Rechtsbereich müssten deshalb unabhängig von subjektiven Einschätzungen erfolgen, um Rechtssicherheit und Gleichbehandlung zu gewährleisten.Subjektive Elemente, wie sie bei der Business Judgement Rule üblich sind, stammen aus dem Gesellschaftsrecht und passen nach Auffassung der Bundesregierung nicht in den streng normierten Rahmen des Steuerrechts. Kirchhain verwundert diese Stellungnahme, er verweist auf Paragraph 63 Absatz 1 der Abgabenordnung. „Er besagt, dass die Geschäftsführung einer gemeinnützigen Organisation auf die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke gerichtet sein muss. Hier haben wir also bereits ein subjektives Element im Steuerrecht.“ Kirchhain sieht aber auch einen Lichtblick. Die Bundesregierung habe in ihrer Stellungnahme den Vorschlag der hannoveranischen Enquete-Kommission zwar abgelehnt, den Bundesrat gleichzeitig aber gebeten, für Entschärfung zu sorgen. Es solle auf der Rechtsfolgenebene zu prüfen sein, ob das Investment, das zu einem gemeinnützigkeitsschädlichen Verlust geführt hat, auf einem vernünftigen Businessplan beruhte. „Wenn ja, bedeutet ein gemeinnützigkeitsschädlicher Verlust nicht zwingend die Aberkennung der Gemeinnützigkeit und den Verlust der hieran anknüpfenden Vergünstigungen.“

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