Die Ankündigungen häufen sich: Finanzinstitute und Assetmanager erklären, sich den Klimazielen von Paris zu verschreiben. Was das konkret bedeutet, wird nicht in allen Fällen direkt klar. In der strengen Lesart sollte es heißen, das 1,5-Grad-Ziel anzustreben – eine deutlich ambitioniertere Vorgabe als das ursprüngliche Zwei-Grad- Ziel. Es entstammt einem Zusatz zum Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015, das aus einer Initiative von Ländern hervorging, die bereits stärker vom Klimawandel betroffen sind. Er peilt eine maximale Temperaturerhöhung von 1,5 Grad bis 2100 gegenüber der vorindustriellen Zeit an. Die gering anmutende Differenz zum Zwei-Grad-Ziel bedeutet laut Klimaforschung ein deutlich geringeres Risiko, die sogenannten Kippelemente im Erdklimasystem auszulösen.
In einem Umfeld, in dem nachhaltige Kapitalanlage immer wichtiger wird, stellt sich für Stiftungen die Frage, ob und wie sich das 1,5-Grad-Ziel im Portfolio abbilden lässt. Ein Blick auf den Markt zeigt: Das 1,5-Grad-Ziel prangt bislang nicht auf vielen Anlagelösungen. Das ist kein Zufall. „Es ist nicht so einfach, eine Methodik zu finden, mit der man 1,5-Grad-Kompatibilität feststellen würde“, sagt Jennifer Paffen, Portfoliomanagerin für Nachhaltigkeitsmandate im Bereich Aktien bei der Bethmann Bank. „Es gibt einzelne Researchhäuser, die auch ein Temperaturscoring liefern, doch es sind relativ neue Produkte. Die Methode wurde erst in den letzten zwei, drei Jahren entwickelt.“ Damit sei es zwar möglich einzuschätzen, wie es um den klimatischen Abdruck eines Unternehmens bestellt sei – allerdings falle das Ergebnis noch recht grob aus. „Man kann so ein Portfolio aufbauen, sollte aber in jedem Fall transparent sein, was die methodischen Herausforderungen angeht.“
Der Blick auf die Kompatibilität mit dem 1,5- Ziel ist eine dynamische Betrachtung: „Die Modelle stellen die zu erwartende Entwicklung des CO2-Abdrucks von Unternehmen über die kommenden Jahre bis zum Jahr 2050 dar“, sagt Paffen. Auf ein Portfolio bezogen, müssten die Einzelpositionen in ihrer Gesamtheit die 1,5-Grad-Kompatibilität ergeben. Dabei ist die Ausgangssituation je nach Branche unterschiedlich, sodass unterschiedliche Sektoren unterschiedlich starke Reduktionsanstrengungen unternehmen müssen. Entsprechend kann auch die Anzahl der 1,5-Grad-kompatiblen Unternehmen zwischen den Branchen variieren. „Verschiedene Sektoren weisen einen ganz unterschiedlich hohen CO2-Ausstoß auf. Die finale Temperaturkennzahl ergibt sich aus verschiedenen Unteraspekten wie der Reduktionsquote im Sektorenvergleich.“
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Lückenhafte Daten
Daniel Sailer, Co-Leiter des Sustainable Investment Office bei Metzler Asset Management, hat die Daten verschiedener Anbieter verglichen, die den CO2-Fußabdruck und das sogenannte Erwärmungspotenzial eines Portfolios bestimmen sollen. Dafür hat er einen Testlauf bei einem nicht dezidiert auf Klima ausgerichteten Portfolio durchgeführt. „Die Modelle kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bei einem Anbieter kam heraus, dass die Portfoliotemperatur bei 1,9 Grad liege, bei einem anderen Anbieter waren es 3,1 Grad.“ Sailer erklärt den Effekt durch die aktuell noch unzureichende Datenlage und die Art und Weise, wie Daten eingestuft und modelliert werden.
Unzureichend sind zurzeit vor allem noch die Scope-3-Daten. Scope, englisch für Umfang oder Bereich, erfasst in der Emissionsmessung, wie unmittelbar ein Unternehmen Emissionen verursacht. Scope 1 beziffert alle direkten Emissionen eines Unternehmens, etwa in der Produktion. Scope 2 umfasst die Emissionen, die durch den Energieverbrauch des Unternehmens entstehen. Scope 3 umfasst alle Emissionen in der Lieferkette, von Dienstfahrten über Zulieferbetriebe hin zu Logistik. „Bei Scope 3 klafft eine große Lücke, da gibt es kaum Informationen“, sagt Sailer. „Aber auch die Emissionen aus Scope 1 und 2 berichten 40 Prozent der amerikanischen Unternehmen nicht. Die Anbieter müssen diese also schätzen.“
Zur Datenlage selbst kämen weitere Schwierigkeiten in der Klassifizierung hinzu. Sailer nennt das Beispiel eines Windradherstellers, der fälschlicherweise als Industrieunternehmen eingeordnet wurde, was zu einer anderen Bewertung hinsichtlich des Erwärmungspotentials des Unternehmens geführt habe. Die Möglichkeit, Temperaturpfade zu modellieren, nutzt der Assetmanager für verschiedene Zwecke: „Wir integrieren diese Daten in die Berichterstattung für die Anleger, nutzen diese aber auch, wenn wir vor der Frage stehen, ob wir dieses oder jenes Unternehmen aus der gleichen Industrie kaufen möchten. Wenn die ökonomischen Parameter ähnlich sind, kann dies den Ausschlag geben.“
Die Analyse gibt einen Anhaltspunkt dafür, wo das Portfolio auf dem Pfad zu 1,5 Grad zu verorten ist. „Das Klimamodell erlaubt einem Anleger, den Blick in die Zukunft zu wagen und zu schauen, ob das Portfolio eher positiv ausgerichtet ist in Richtung zwei Grad oder eher in Richtung drei oder vier Grad. Und es gibt auch Unternehmen, die liegen bei fünf oder sechs Grad. Es ist also eine Hilfe, um Transparenz und Vergleichbarkeit zu schaffen und den eigenen Standort zu bestimmen“, sagt Sailer. Inzwischen würden immer mehr Anleger auch gezielt nachfragen, wie das Erwärmungspotential ihres Portfolios aussehe. Eine Neugewichtung oder ganz neue Struktur des Portfolios für 1,5-Grad-Kompatibilität sei möglich, werde aber noch recht selten nachgefragt.
Betrachtung über das ganze Portfolio

Michael Dittrich leitet die Abteilung für Finanzen und Verwaltung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Foto: DBU
Datenverfügbarkeit und Diversifizierung sind die Themen, die den Abteilungsleiter für Finanzen und Verwaltung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, Michael Dittrich, umtreiben. Er wisse „nur in Teilen, ob das Portfolio 1,5-Grad-kompatibel ist. Der Grund: Wie andere Anleger hat auch die DBU nicht für alle Assets im Portfolio die notwendigen Scope-1-, Scope-2- und Scope-3-Daten verfügbar“.
Die DBU ist zu etwa 60 Prozent in verzinsliche Werte, vor allem Unternehmensanleihen, investiert. Rund 30 Prozent des Stiftungskapitals liegen in Aktien, zehn Prozent in Sachwerten – diese unterteilen sich in Immobilien und Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien. „Für Aktien und Unternehmensanleihen haben wir sehr gut verfügbare Scope-1 und -2-Daten. Da wissen wir also, was unsere Aktien und unsere Corporates für einen CO2-Fußabdruck haben“, sagt Dittrich. Bei den Scope-3-Daten bestätigt er Sailers Einschätzung. Hier lasse die Verfügbarkeit noch zu wünschen übrig. „Das wird sich in den kommenden Jahren aber erheblich verbessern“, ist Dittrich überzeugt. „Auf Basis der EU-Regulierungen werden die Schätzdaten durch reale Daten, die die Unternehmen liefern müssen, ersetzt.“
Die Klimaperformance des eigenen Portfolios vergleicht Dittrich mit verschiedenen Indizes, zum Beispiel dem Dax 30 und dem Euro Stoxx 50. „Wir verfolgen die Umsetzung der EU-Regulierungen und schauen, was in Zukunft verlangt wird, wenn die Daten komplett verfügbar sind.“ Dittrich orientiert sich dabei an den zwei Referenzwerten der EU, dem sogenannten EU-Referenzwert für Klimawandel und dem auf die Pariser Ziele abgestimmten EU-Referenzwert, dem Paris-aligned-Benchmark (PAB).
Ersterer erfordert, auf Basis der Scope-1- und Scope-2-Emissionen 30 Prozent weniger CO2 zu verursachen als Referenzportfolios, Letzterer sieht mindestens 50 Prozent weniger Emissionen vor als das Referenzportfolio. Jährlich sollen die Emissionen zudem um sieben Prozent sinken. Künftig müssen dann auch Scope-3-Daten einbezogen werden. Bezogen auf diese Benchmarks sieht Dittrich die DBU auf einem guten Weg. „Durch unsere Investments in erneuerbare Energien haben wir ein sicheres Gefühl dafür, dass mindestens unser Aktienportfolio mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel ist“, sagt Dittrich.
Ausreichend diversifiziert?
Investitionen in Unternehmen im Umbruch auszuschließen und direkt auf 1,5-Grad-kompatible Investments zu gehen, wirft die Frage der Diversifikation auf. „Dann stehen auf Basis der Modelle heute nur noch circa zehn Prozent des globalen Anlageuniversums zur Verfügung“, sagt Sailer. Auch Paffen befürchtet das Problem der Klumpenbildung. „Wenn man das macht, wird es sehr einseitig, da sich die meisten Unternehmen noch in einem Transformationsprozess befinden: Es werden vor allem Titel aus dem Gesundheits-, dem Kommunikations- und dem IT-Sektor sein – in anderen Bereichen wird es schwieriger. Im Versorgerbereich wird fast kein Unternehmen kompatibel sein. Das Ergebnis ist ein wenig diversifiziertes Portfolio.“

Anja Mikus ist Chief Executive Officer (CEO) und Chief Investment Officer (CIO) des Kenfo. Foto: Kenfo
Anja Mikus, Vorstandvorsitzende des Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (Kenfo), möchte Branchen mit starker CO2-Belastung nicht pauschal ausschließen – abgesehen von Extremfällen wie etwa der Kohleverstromung als einem der CO2-intensivsten Bereiche. „Die schlechteste Vorgehensweise ist es, alle schwierigen Sektoren auszuschließen. Denn dann passiert überhaupt nichts. Durch den Verkauf ist der CO2-Wert in der Welt nicht geringer geworden, man hat nur eine schöne Zahl für die Gremien.“ Mit Blick auf die Diversifikation entspreche der Ansatz auch nicht dem Investmentgedanken – „schließlich müssen Stiftungen ihren Zweck erfüllen und keine Konzentrationsrisiken vergrößern“. Das Gegenteil sei vielmehr sinnvoll: „Wir wollen gemeinsam den Transformationsprozess in Richtung Klimaneutralität mit den Unternehmen gehen. Die Umstellung kostet Geld, weil viele Unternehmen ihr Geschäftsmodell grundlegend umbauen müssen. Dieses Geld bekommen sie von Investoren.“ Zum aktuellen Dilemma gehöre es, dass Investoren, die den Übergang unterstützen möchten, dadurch den CO2-Fußabdruck des Portfolios zunächst einmal trem hohe Emissionen haben. Wenn die Unternehmen aber etwa ankündigen, dass sie die Stahlerzeugung in einem angemessenen Zeitraum auf grünen Stahl umstellen werden, ist die Frage: Berücksichtigen Sie in Ihrer Investition nur den Status quo? Oder stellen Sie den Unternehmen Kapital zur Verfügung, um diese Entwicklung zu finanzieren?“
Wie Anja Mikus hält auch Michael Dittrich eine Investition in Unternehmen mit glaubwürdigen Reduktionszielen für legitim: „So könnte man, wenn alle Daten vorliegen, die Unternehmen im Portfolio daraufhin prüfen, ob diese eine nachvollziehbare Strategie zum Erreichen des Paris-Ziels haben. In diese würde man dann vorzugsweise investieren.“ Habe ein Unternehmen heute schon viel geforscht und investiert, sei es wahrscheinlicher, dass ihm die Transformation gelinge, sagt Sailer. „Das ist im Grunde schon ein Blick in die Zukunft, den die Paris-konformen Indizes nicht machen. Die CO2-Emissionen spiegeln eigentlich nur die Vergangenheit wider.“
„Anti-Nachhaltigkeitsstrategie“
Prof. Dirk Söhnholz sieht den begleitenden Ansatz und das langsame Umstellen in Richtung der Pariser Vorgaben kritisch. „Ich denke, man sollte nicht nur das 1,5-Grad-Ziel anstreben, sondern so nachhaltig wie möglich investieren“, sagt der ESG-Experte und Vermögensverwalter. „Aus meiner Sicht ist der größte Feind der nachhaltigen Geldanlage die Orientierung an Benchmarks. Selbst wenn Sie sich an nachhaltigen Benchmarks orientieren, ist immer noch der Hintergedanke da, möglichst breit und diversifiziert zu investieren – das schadet dem Aspekt der Nachhaltigkeit.“
Das Konzept, in Unternehmen in der Transformation zu investieren, ist aus seiner Sicht sogar kontraproduktiv. „Nehmen wir an, ein Investor hat zwei Alternativen: ein Unternehmen im Bereich erneuerbarer Energien und einen konventionellen Wettbewerber mit tollen Nachhaltigkeitsplänen. Wenn ich dem konventionellen Unternehmen Geld gebe, belohne ich jemanden, der noch nicht viel für Nachhaltigkeit getan hat, und bestrafe indirekt jemanden, der innovativ arbeitet.“ Die Strategie sei aus finanzieller Hinsicht vielleicht sinnvoll, weil der Kurs des konventionellen Unternehmens steigen könnte – aus Nachhaltigkeitssicht allerdings fragwürdig. „Auch ob der Hebel beim Unternehmen in der Transformation tatsächlich größer ist, weiß man nicht“ – es könnte auch sein, dass es mehr bringe, wenn Unternehmen, etwa aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, noch besser werden und sich diversifizieren, zum Beispiel zusätzlich zu Solar- auf Windenergie setzen. „Ich bezeichne dieses sogenannte Progress-Investing als Anti-Nachhaltigkeitsstrategie. Nach dieser Logik müssen wir immer wieder dem schlechteren Unternehmen Geld geben.“
Um eine möglichst große Wirkung zu erreichen, ist die Börse für Söhnholz ohnehin nicht der richtige Ort. „Der Effekt bleibt indirekt. Man stützt zwar den Aktienkurs und damit die Refinanzierungsmöglichkeiten des Unternehmens, aber das Geld fließt nicht unmittelbar in neue Projekte, anders als wenn man etwa in Private Equity investiert.“ Direkte Investitionen in neue Projekte sind aus seiner Sicht deutlich wirkungsvoller.
Anja Mikus ist hier optimistischer, was den allgemeinen Trend und die Wirkung angeht. Der Kenfo, inzwischen rund 26 Milliarden Euro schwer, wurde als erster Staatsfonds Mitglied der Net Zero Asset Owner Alliance (AOA), einem von den Vereinten Nationen begründeten Zusammenschluss von Investoren, die ihr Anlageportfolio bis 2050 CO2-neutral gestalten wollen. „Die Entwicklung in Richtung CO2-Neutralität wird an Momentum zulegen – sie verläuft allerdings nicht linear“, sagt Mikus mit Blick auf politische wie finanzielle Rahmenbedingungen. „Wenn CO2 immer mehr kostet und ergebnisrelevant ist, muss sich der Fußabdruck verringern, damit ein Unternehmen langfristig erfolgreich sein kann. Das erkennen auch die Investoren. Wir sehen, dass sich aufgrund des Preisdrucks eine große Dynamik entwickelt hat.“