Für Stadt und Region

Es gibt nach aktuellem Stand 426 Bürgerstiftungen in Deutschland. So unterschiedlich sie sind, haben viele eine Gemeinsamkeit: Genossenschaftsbanken spielen eine Rolle. So sind laut der Stiftung Aktive Bürgerschaft insgesamt 257 Genossenschaftsbanken in Deutschland Gründungsstifter einer Bürgerstiftung. Das gilt auch für die 2004 gegründete Bürgerstiftung Mittelhessen mit Sitz in Gießen.Ihr ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender Oliver Manger ist im Hauptberuf bei der Volksbank Mittelhessen im Private Banking angestellt. Dort betreut er unter anderem auch Stiftungen und gemeinnützige Organisationen in Fragen der Kapitalanlage und des Portfoliomanagements. „Die Bürgerstiftung Mittelhessen war auch Teil meines Portfolios, sodass ich ihre Arbeit bereits gut kannte“, sagt Manger, der im April dieses Jahres auf Klaus Arnold folgte, der den Posten des Vorstandsvorsitzenden seit der Gründung innehatte und nun Mitarbeiter der Geschäftsführung der Stiftung ist.Die Stiftung ist vor allem fördernd tätig. Dazu gehören etwa die Diesterweg-Stipendien in Gießen mit 4.000 Euro. Die von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt initiierte Förderung ermöglicht an Schulen sprachliche und soziale Förderung mit Hilfe von Sozialarbeitern, besonders bei Fünftklässlern mit einem Migrationshintergrund.Breiter FörderhorizontThematisch zeigt sich die Bürgerstiftung bei der Förderung grundsätzlich offen, wie man auch an ihrer Satzung erkennen kann: von der Förderung kultureller Zwecke über Naturschutz bis zur Kriminalprävention. „Das kann ein kulturelles Projekt sein, zum Beispiel die Unterstützung bei der Finanzierung eines Konzerts, genauso wie eine Förderung für eine Anschaffung im Rahmen eines Hospizvereins oder für eine andere gute Initiative oder Veranstaltung aus der Region“, sagt Manger. Doch sollten es Projekte sein, die nach der Umsetzung möglichst viele Menschen erreichen. Etwa 50 Anfragen gingen pro Jahr bei ihnen ein. Von den förderfähigen und -würdigen Anträgen werden nach Aussage von Klaus Arnold etwa 50 bis 60 Prozent bedient.Zu den Projekten, die die Bürgerstiftung Mittelhessen als eine von sechs Treuhandstiftungen verwaltet, gehört die Hallo-Welt-Stiftung. Dahinter steht ein Gießener Kinderarzt, der beobachten konnte, dass viele junge Familien anfangs überfordert sind, nicht wissen, ob es dem Kind gut geht und wie sie Hilfe bekommen können. So hatte der Pädiater die Idee, Botschafter auszubilden, die die Familien zur Unterstützung besuchen und ihnen ein Familienbegleitbuch an die Hand geben.Das größte eigene Vorhaben der Gießener Bürgerstiftung ist wohl der jährlich vergebene Ehrenamtspreis für junge Menschen. Damit wolle man den jungen Ehrenamtlichen eine Bühne geben und ihnen für ihr öffentliches Engagement danken. „Unserer Ansicht nach werden solche jungen Menschen von der Gesellschaft viel zu wenig wertgeschätzt“, so Manger. „Frustration setzt oft schnell ein, und manche hören dann auf. Umso wichtiger ist es, einmal öffentlich ‚Danke‘ zu sagen.“Ob Treuhandstiftungen, Förderungen oder eigene Projekte: Laut dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Klaus Arnold ist es bis zur jetzigen Aufstellung ein weiter Weg gewesen. In den ersten Jahren des Bestehens sei noch alles relativ zaghaft verlaufen. Dabei spart er nicht mit Selbstkritik: „Normalerweise gründet man eine Stiftung, wenn man eine spezielle Idee hat – und gestaltet dann das juristische Konstrukt dazu.“ Die Bürgerstiftung Mittelhessen habe es genau andersherum gemacht: „Wir haben zunächst die Bürgerstiftung gegründet und uns dann überlegt, was wir eigentlich machen wollen.“ Oliver Manger ist Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Mittelhessen. Foto: Bürgerstiftung MittelhessenZu Beginn habe eine starke Abhängigkeit von der Volksbank Mittelhessen bestanden, räumt Arnold ein. Kriterien für Bürgerstiftungen sehen eigentlich vor, dass eine Bürgerstiftung selbständig ist und nicht von einem Unternehmen abhängig sein darf. „Das haben wir in unserer ersten Satzung zwar nicht ganz eingehalten, aber wir haben es dann relativ schnell geändert, sodass die Bürgerstiftung heute vollkommen eigenständig und unabhängig ist.“Zur Gründung stellte die Stifterin, die Volksbank Mittelhessen, 250.000 Euro Kapital bereit. Die Aufgabe von Arnold und seinem Team sei es dann gewesen, weitere Interessenten zu gewinnen, die sich meist mit überschaubareren Beträgen beteiligten. 37 weitere Stifter habe man so zusammenbringen können. Bei denen handelte es sich überwiegend um Privatpersonen, auch einige Unternehmen gehörten dazu. So kamen noch einmal 108.000 Euro an Gründungskapital zusammen. Heute beläuft sich das Stiftungskapital auf rund 3,6 Millionen Euro. Damit entspricht die Stiftung den Erfahrungswerten der Stiftung Aktive Bürgerschaft. Demnach wird der weitaus größte Teil des Vermögens von Bürgerstiftungen im Laufe der Zeit zugestiftet.Mit ihrem heutigen Kapitalstock liegt die Gießener Organisation über dem Durchschnitt von im Jahr 2022 rund 1,3 Millionen Euro. Damit gehört sie zu dem Drittel der Bürgerstiftungen, die laut Stiftung Aktive Bürgerschaft das Wachstum prägen. Bei diesem Drittel handelt es sich um diejenigen Organisationen, die gezielt Angebote für zweckgebundene Zustiftungen in Form von Treuhandstiftungen oder Stiftungsfonds machen. Diesen gut 35 Prozent der Bürgerstiftungen in Deutschland seien in den letzten Jahren über 90 Prozent aller jährlichen Zustiftungen zugeflossen.Konservative AnlageZur Finanzierung des laufenden Geschäfts setzt die Stiftung vor allem auf Kapitalerträge. Als Grundlage für die Anlage des Vermögens dient eine Anlagerichtlinie. Diese besagt laut Oliver Manger, dass rund 60 Prozent des Stiftungskapitals eher konservativ angelegt werden müssen. Darunter verstehe die Stiftung etwa Rentenfonds und zum Teil Mischfonds mit geringem Aktienanteil. Bis zu 40 Prozent dürften im chancenorientierten Bereich angelegt werden. „Das heißt, wir setzen dabei zum Beispiel auf dividendenstarke Aktien. Gelegentlich kommen auch etwa interessante Zertifikatsstrukturen hinzu. Hin und wieder haben wir außerdem auch Fremdwährungen eingesetzt“, sagt der Vorstandsvorsitzende.Eine wichtiger werdende weitere Einnahmequelle der Bürgerstiftung sind Spenden. In der Vergangenheit habe man sich darauf nicht fokussiert. „Vor anderthalb Jahren haben wir dann aber strategisch überlegt, wie wir uns weiter aufstellen wollen, und das Thema Spenden ganz bewusst stärker in unsere Überlegungen einbezogen“, sagt Arnold. „Vor allem auch, weil wir gesehen haben, dass andere Stiftungen auch sehr erfolgreich auf dem Feld sind.“Auf gezieltes Fundraising oder Werbung verzichte die Stiftung, denn das wäre mit Kosten verbunden – und die Bürgerstiftung versuche, diese so gering wie möglich zu halten. Und so habe die Stiftung die Präsenz auf sozialen Medien als einen weiteren Schwerpunkt in die Strategie der Stiftung aufgenommen.Die Träger des Ehrenamtspreises 2024 der Bürgerstiftung Mittelhessen. Foto: Tilman LochmüllerIn erster Linie setzt die Stiftung allerdings auf den altbewährten Spruch „Tue Gutes und rede darüber“. „Gerade der Aufbau und die Pflege eines Netzwerks bringen aus meiner Sicht den größten Schub“, sagt Oliver Manger. Auch habe man versucht, andere Maßnahmen für mehr Spenden umzusetzen, wie ein Spendenformular auf der Internetseite. Dabei komme gelegentlich etwas rein, doch es bleibt eine Nebensache für die Gießener. „Spezielle Aktionen, wie sie zum Teil andere Bürgerstiftungen durchführen – zum Beispiel Bürgersteine, Baumpatenschaften oder andere Projekte, mit denen einmalige Beträge oder Dauerspenden generiert werden – haben wir in dieser Form nicht umgesetzt. Und das steht bei uns auch nicht im Fokus.“Ein Mittel, um das Stiftungskapital zu erhöhen, sind für die Bürgerstiftung Stiftungsfonds. Mittels eines Vertrags wird dabei ein Sondervermögen innerhalb des Kernkapitals der Stiftung geschaffen. Im Unterschied dazu bleibt eine Treuhandstiftung unter dem Dach der Bürgerstiftung ein eigenes Steuer- und Rechtssubjekt. Das bedeutet, sie muss steuerlich getrennt behandelt werden – mit eigener Steuererklärung, eigenem Jahresabschluss und weiteren Pflichten. Das ist laut Oliver Manger sehr aufwendig und umfangreich. Daher sei die Stiftung in den letzten Jahren dazu übergegangen, stattdessen Stiftungsfonds zu gründen.Da Stiftungsfonds immer stärker nachgefragt würden, habe man sich überlegt, wie man die Betreuung von immer mehr Fonds mit den personellen Ressourcen stemmen könne, so Manger. Schließlich müsse jeder Fonds auch entsprechend begleitet werden. Deshalb habe man sechs Themen-Stiftungsfonds aufgelegt, an denen sich potentielle Zustifter bereits mit 1.000 Euro beteiligen könnten. Die sechs Themenbereiche sind dabei Gesundheit, junge und ältere Menschen, Sport, Kultur, Bildung sowie Umweltschutz, Tierwohl und Landschaftsschutz als ein Sammelbegriff. „Mit diesen Themen-Stiftungsfonds ermöglichen wir es, auch kleinere Zustiftungen gezielt für bestimmte Anliegen zu bündeln“, erklärt Manger.Kein operativer FokusDie Wirkung von Bürgerstiftungen hängt aus Mangers Sicht dabei nicht nur am Kapital. Es gebe Organisationen mit vergleichsweise wenig Grundkapital, die dennoch eine enorme Wirkung in ihrer Region erzielten, weil sie über ein beachtliches Spendenvolumen verfügten – oder operativ sehr viel und stark unterwegs seien. „Wir könnten durchaus eine Bürgerveranstaltung organisieren und damit locker 2.000 bis 3.000 Menschen in eine Fußgängerzone bringen“, zeigt sich der Vorstandsvorsitzende überzeugt. „Solche Projekte stehen aber nicht im Fokus unserer Arbeit – wir möchten vor allem fördernd tätig sein.“ Klaus Arnold ist Mitarbeiter der Geschäftsführung der Bürgerstiftung Mittelhessen. Foto: Till SchürmannNeben Herausforderungen finanzieller Art sieht Manger vor allem Probleme darin, genügend Unterstützer zu finden, um die Aufgaben besser zu verteilen. Es sei eine echte Herausforderung, neue Engagierte zu finden, die Freude an ihrer Aufgabe haben und möglichst lange da bleiben. Wenn ehrenamtliches Engagement fehle, brauche es noch mehr Sponsoren- und Spendengelder, um zusätzliche Arbeitskraft einzukaufen, wie dies mittlerweile viele Vereine und Stiftungen tun würden. Deshalb sei der ehrenamtliche Unterbau der Struktur enorm wichtig, damit das Wachstum auch gut abgesichert und ausgebaut werden könne und Ehrenamtliche nicht durch ein zu hohes Arbeitspensum frustriert würden.Klaus Arnold sieht ein grundlegendes Problem des Stiftungswesens darin, dass Stiftungen immer häufiger Probleme haben, ihre Gremien zu besetzen, insbesondere was die Nachbesetzung ausgeschiedener Mitglieder angeht. „Auch wir haben in den letzten Jahren oft über dieses Thema gesprochen und bereits mit einigen Stiftungen Kontakt gehabt, die sich uns zulegen möchten“, sagt Arnold. „Die eigenständige Stiftung würde dann aufgegeben und in der Bürgerstiftung Mittelhessen entweder als Stiftungsfonds oder im Kernkapital weitergeführt werden.“Das stelle allerdings eine echte Herausforderung dar, weil das Stiftungsrecht trotz aller Reformversuche in den vergangenen Jahren immer noch sehr komplex sei. Arnold würde sich wünschen, dass solche Prozesse erleichtert und die Bürokratie tatsächlich abgebaut werde. „Denn was nützt beispielsweise eine Stiftung mit vielleicht 400.000 Euro Kapital, die seit längerem nicht mehr funktionsfähig ist, nichts mehr ausschüttet, die Gemeinnützigkeit nicht mehr beantragt und dadurch zu ‚kaltem Kapital‘ wird, das für die Gesellschaft keinerlei Nutzen mehr bringt“, so der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung.

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