Am 11. April 2000 wurden in Deutschland auf dem digitalen Handelsplatz Xetra die ersten beiden Exchange Traded Funds (ETFs) eingeführt – auf den Euro Stoxx 50 und den Stoxx Europe 50. Diese ETFs bildeten die Entwicklung der 50 größten Unternehmen der Eurozone beziehungsweise des gesamteuropäischen Aktienmarkts ab. Sie sind also im Grunde nur eine Hülle für einen Index. „Deshalb erfuhr das Konzept ETF am Anfang sehr viel Gegenwind in Deutschland“, sagt Martin Bechtloff von der Investmentgesellschaft Franklin Templeton. „Manche sprachen von Torheit, wenn man darin anlegen würde.“ Von vornherein würde man ins Mittelmaß investieren, so die Befürchtung vieler Anleger.
Ein Vierteljahrhundert später hat sich die Reputation der Exchange Traded Funds grundlegend geändert. Über den Handelsplatz Xetra, der von der Deutschen Börse in Frankfurt am Main betrieben wird, wurden zum Jahresende 2024 über 2.300 ETFs mit einem Gesamtvermögen von mehr als 1,7 Billionen Euro ge- und verkauft. Die Bandbreite an verfügbaren ETFs wächst stetig. Nicht nur Aktienindizes, auch Unternehmensanleihen und Rohstoffe wie Gold können mittlerweile mit der ETF-Hülle erworben werden. Das weltweit in ETFs investierte Vermögen lag im Jahr 2023 umgerechnet bei fast 10,1 Billionen Euro. Zum Vergleich: Der Wert des weltweiten Aktienbestands belief sich Ende 2023 auf rund 102,5 Billionen Euro.
17 Prozent im Jahr
Schätzungen zufolge entfällt rund die Hälfte des in ETFs angelegten Kapitals auf private Anleger. Rund um den Globus sind ETFs für sie das Mittel der Wahl, wenn es um Altersvorsorge und Vermögensaufbau geht. Auch in Deutschland: Die jährliche Wachstumsrate der auf Xetra gehandelten ETFs betrug in den vergangenen zehn Jahren pro Jahr durchschnittlich 17 Prozent. „Der Begriff ETF steht in Deutschland mittlerweile als Synonym für Geldanlage“, sagt Bechtloff. Doch auch institutionelle Investoren wie Stiftungen verwendeten heute ETFs.
Beim diesjährigen Markttest der Fuchs Richter Prüfinstanz zeigt sich: Vermögensverwalter erstellen in vielen Fällen keine passenden Angebote für die Anlagepräferenzen von Stiftung. Diese wissen mittlerweile genau, was sie wollen.
Ein zentraler Vorteil von ETFs sind die niedrigen Kosten. Die jährliche Verwaltungsgebühr Total Expense Ratio (TER) liegt meist zwischen 0,05 und 0,5 Prozent des eigenen Fondsvermögens – und damit deutlich niedriger als bei aktiv gemanagten Fonds, die nicht selten eine TER von 1,0 bis 2,5 Prozent aufweisen. „Gleichzeitig ermöglichen ETFs eine breite Diversifikation und somit geringes Risiko, weil sie eben keine Einzelwerte, sondern ganze Märkte oder Indizes abbilden. Das hilft, Schwankungen im Portfolio besser auszuhalten“, so Bechtloff. Ihre hohe Transparenz ist ein weiteres Argument für ETFs. „Anleger können mit einem Blick auf den Index nachvollziehen, wie sich ein ETF zusammensetzt.“ In dem wohl bekanntesten ETF MSCI World sind etwa 1.400 Unternehmen aus 23 Industrieländern vertreten – wenngleich amerikanische Unternehmen mit über 70 Prozent das Gros der Werte darstellen. Ein weiteres Argument für ETFs ist für Bechtloff ihre leichte Handelbarkeit – insbesondere in Phasen erhöhter Volatilität: „Bei Marktturbulenzen bleiben ETFs liquide und ermöglichen schnelle Umschichtungen“, so Bechtloff. All diese Punkte, so der Finanzexperte, hätten zum Siegeszug der ETFs weltweit beigetragen.
Dazu kommt ein weiterer Umstand, den zahlreiche Studien belegen: ETFs schneiden im direkten Vergleich mit aktiven Fondsmanagern meist nicht schlechter, sondern eher besser ab. Das zeigt zum Beispiel das aktuelle „Active/Passive Barometer“ des amerikanischen Finanzinformationsunternehmens Morningstar deutlich: Die halbjährlich erscheinende Analyse wertet die Ergebnisse von fast 9.300 Fonds aus und kommt zu dem Schluss, dass langfristig nur ein Bruchteil der aktiven Fondsmanager ihre passiven Kontrahenten schlagen kann.
Neuer Trend: Aktive ETFs
Im besonders wettbewerbsintensiven US-Großaktiensektor etwa gelang es in den vergangenen zehn Jahren lediglich rund zehn Prozent der aktiven Fonds, besser abzuschneiden als der Durchschnitt der passiven Konkurrenz. Das Gegenteil war häufiger der Fall. Auch in anderen Marktsegmenten liegen die Erfolgsquoten aktiver Fondsmanager meist deutlich unter der Hälfte. Passive Strategien erweisen sich in der Rendite unterm Strich häufig als überlegen.
Damit sind ETFs ein Faktor in den insgesamt sinkenden Preisen für Finanzprodukte. Für aktive Manager wird es schwerer, sich zu rechtfertigen. Doch auch der ETF-Markt ist im Wandel. Nachhaltigkeit spielt für viele Anleger mittlerweile eine Rolle. Deshalb orientieren sich immer mehr ETFs an den Aspekten Umwelt- und Sozialverträglichkeit sowie unternehmerischer Verantwortung, den sogenannten ESG-Kriterien. „Die Nachfrage nach umweltfreundlichen und sozialgerechten Indizes boomt“, sagt Bechtloff. Auch bei den Ausschüttungen gibt es Vielfalt: Anleger können zwischen thesaurierenden ETFs, die Erträge automatisch wiederanlegen, und ausschüttenden ETFs wählen, die Dividenden und Zinsen an die Anteilseigner auszahlen. Die Wahl hängt von der individuellen Zielsetzung der Anleger ab.
„Es gibt Assetklassen, in denen aktive ETFs Vorteile bringen – etwa bei Anleihen.“
Martin Bechtloff, Franklin Templeton
Seit kurzer Zeit gibt es in Deutschland nun auch aktive ETFs. Damit holt Deutschland gegenüber anderen Märkten wie etwa den USA auf, wo aktive ETFs bereits seit mehr als einem Jahrzehnt angeboten werden. Schon länger verfügbar sind hierzulande sogenannte Smart-Beta-ETFs, die im Grunde wie klassische ETFs aufgebaut sind, aber um einige Elemente der aktiven Steuerung durch einen Manager ergänzt werden. „Smart-Beta-ETFs ermöglichen es, von bestimmten Marktanomalien und Faktoren wie Value, Size oder Momentum zu profitieren, um höhere Renditen zu erzielen“, so Bechtloff. „Beispielsweise können sie in der Gewichtung mancher Werte von ihrem Index abweichen.“ Aktive ETFs gehen noch einen Schritt weiter: „Bei aktiven ETFs kann der Manager bewusst größere Abweichungen eingehen, um Mehrwert zu schaffen. Er kann manche Werte ganz ausschließen und dafür andere hinzufügen“, so Bechtloff. „Dabei ist weiterhin das Ziel, die Benchmark des zugrundeliegenden Index zu schlagen.“ Die Auswahl und Gewichtung der Wertpapiere basiere bei aktiven ETFs auf Analysen, Einschätzungen sowie der Expertise des Managements, nicht mehr auf Indexregeln.
„Aktive ETFs sind derzeit vor allem für professionelle Investoren interessant“, sagt Bechtloff. „Das liegt daran, dass diese Anleger die Zeit und das Know-how mitbringen, um die Arbeit des Fondsmanagers kritisch zu prüfen.“ Für kleinere Anleger sei das oft schwieriger, „weil man nicht nur eine Markteinschätzung, sondern auch Vertrauen in den jeweiligen Manager braucht“. Hinzu kommt, dass manche aktive ETFs Rückschritte in puncto Transparenz verzeichnen: „Gerade in Deutschland ist Transparenz eines der wichtigsten Argumente für ETFs“, so Bechtloff. Doch mit der Einführung semitransparenter aktiver ETFs, die ihr Portfolio nicht mehr täglich offenlegen müssen, drohe dieses Argument zu verwässern. Bislang fällt allerdings nur ein kleiner Teil der aktiven ETFs unter die semitransparente Kategorie.Bechtloff verweist auf einzelne aktive ETF-Produkte, die ihre Benchmark temporär überflügeln konnten, schränkt aber ein: „Es stimmt, dass die meisten aktiven Fondsmanager den Markt nicht dauerhaft schlagen. Es gibt aber Assetklassen, in denen aktive ETFs dennoch Vorteile bringen – etwa bei Anleihen oder in Nischenmärkten.“ Zugleich sei der Track-Record oft noch kurz, und der Erfolg hänge stark vom Können des Managers ab. Dazu kommt die Frage, welche Rolle Outperformance, das sogenannte Alpha, für den jeweiligen Investor spielt.
Möglichst unabhängig von Marktentwicklungen die Zweckverwirklichung zu tragen: Das soll Stiftungskapital leisten. Welche Rolle die Strategische Assetallokation dabei spielt, erklärt Michael Kreibich von Berenberg im Podcast „Stiftophon — nachgefragt“.
„Bei der Geldanlage unterscheidet man zwischen zwei Renditearten“, sagt Professor Lutz Johanning, Kapitalmarktforscher an der WHU Otto Beisheim School of Management in Vallendar. „Beta-Gewinne stammen aus der allgemeinen Marktentwicklung. Man verdient Geld, weil der Markt im Mittel steigt, nicht weil man etwas besser gemacht hat als andere.“ Die zweite Renditeart sind Alpha-Gewinne: „Das sind zusätzliche Gewinne. Sie resultieren aus einer aktiven Entscheidung, zum Beispiel bei der Aktienauswahl, der Gewichtung oder dem Timing.“
Doch nicht alle Gewinne, die von Finanzdienstleistern als Alpha deklariert werden, fallen wirklich unter dieser Kategorie, warnt Johanning: „Bei der Anlage in kleine Unternehmen erhalten Anleger etwa eine Liquiditätsprämie – das ist nicht zwangsläufig das Ergebnis einer aktiven Managementleistung, sondern eher eine systematische Wertsteigerung, die Anleger für das Risiko der geringeren Handelbarkeit erhalten.“ Jedes Versprechen von Alpha-Gewinnen müsse deshalb sehr kritisch geprüft werden.
Indexfonds können günstiger sein
Für institutionelle Investoren mit einer langfristigen Strategie könne es dennoch sinnvoll sein, gezielt auf solche illiquiden Assets zu setzen, um Risikoprämien aktiver ETFs zu vereinnahmen, sagt Johanning. „Auf die lange Frist diversifizieren sich die Risiken.“ Doch auch hier lohnt ein Vergleich: „Langfristige Anleger wie Stiftungen oder Pensionskassen können dafür auch klassische Indexfonds in Betracht ziehen.“ Diese im Englischen als „Index Mutual Funds“ bezeichneten Anlagen gibt es bereits seit den 1970er Jahren. Sie sind nicht direkt an der Börse handelbar, sondern können nur von Finanzdienstleistern bezogen werden, weshalb sie weniger flexibel als ETFs sind. „Bei langen Laufzeiten und sehr großen Volumina können solche Indexfonds günstiger sein als ETFs“, sagt Johanning. Als Grund dafür nennt der Kapitalmarktforscher der WHU Vallendar zusätzliche Kosten, die aus der ständigen Handelbarkeit entstehen können, wie etwa Geld-Brief-Spannen. „Für große Vermögen sollte man sehr genau schauen, ob ein ETF wirklich noch das richtige Vehikel ist.“
Und natürlich bergen auch klassische ETFs Risiken. Eines davon ist, dass ETFs in Krisenzeiten Trends verstärken können. „Das kann zu temporären Verzerrungen zwischen den ETF-Preisen und den zugrunde liegenden Werten führen“, warnt Johanning. Besonders in volatilen Phasen starker Marktschwankungen könne die hohe Liquidität von ETFs zur Gefahr werden, weil sie kurzfristige Händler und Spekulanten anziehe. Das führe wiederum zu „höherer temporärer Volatilität“ und könne einen sich selbst verstärkenden Effekt auslösen. Allerdings, so Johanning, erhielten solche ETF-Anteile für die erhöhte Volatilität dann auch eine Risikoprämie vom Markt
„Klassische ETFs bleiben in den allermeisten Fällen das Mittel der Wahl.“
Prof. Lutz Johanning, WHU Vallendar
Ein weiterer bislang hypothetischer Nachteil klassischer ETFs liegt laut Johanning in der potentiellen Beeinträchtigung der Markteffizienz. Solange es genügend aktive Manager am Markt gebe, die Preisverzerrungen in Zeiten hoher Volatilität gegenwirken könnten, sieht der Kapitalmarktforscher keine akute Gefahr. Erst ab einem sehr hohen Marktanteil von ETFs könne ihre Effizienz durch starke Schwankungen am Markt leiden, sagt Johanning. Bislang sei diese Schwelle aber nicht erreicht worden.
„Klassische ETFs bleiben in den allermeisten Fällen das Mittel der Wahl“, sagt der Kapitalmarktforscher. „Denn ihr Siegeszug in Deutschland und auf der ganzen Welt ist hauptsächlich mit ihrer Kosteneffizienz, Liquidität und Transparenz verbunden.“ Aktive ETFs oder Smart-Beta-Produkte könnten diese Vorteile verwässern. „Solche Produkte müssen deshalb kritisch überprüft werden“, sagt der Kapitalmarktforscher. „Bei klassischen ETFs stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis – da gibt es echten Wettbewerb, und die Wertschöpfung wird fair zwischen Anleger und Anbieter verteilt.“
Tobias Müller ist Redakteur bei DIE STIFTUNG. Er hat Friedens- und Konfliktforschung sowie Journalismus in Frankfurt am Main und Darmstadt studiert. Als Werkstudent arbeitete er für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Im Anschluss folgte eine Tätigkeit als Onlineredakteur beim Magazin Chrismon.

