Was geht Kriegstüchtigkeit den Sektor an?

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Sommer 1986. Wir übten in der Weite der Lüneburger Heide, und unsere Fahrzeugkolonne stand irgendwo auf einem Waldweg. Wir waren Soldaten, trugen steingrau-oliv, und unser Zugführer musterte uns unzufrieden. Nach ein paar Tagen im Manöver fand das Erscheinungsbild vielfach nicht mehr seine Zustimmung. Schlecht rasiert, mit privat beschafften Ausrüstungsgegenständen oder gar mit Halskette.

„Goldkettchen weg, Nährlich. Wir sind hier nicht auf St. Pauli.“

In diesem Sommer habe ich öfter an meine Zeit bei der Bundeswehr gedacht. Als Wehrpflichtiger musste ich am 1. Oktober 1985 für fünfzehn Monate zum Bund. Wir waren fast 500.000 Soldaten in der Bundeswehr, das Heer verfügte über große Mengen an Panzern, Waffen und Gerät. Im Verteidigungsfall wären noch einmal 700.000 Reservisten mobilisiert worden. Damals, schreibt der Historiker Söhnke Neitzel, stand die Bundeswehr im Zenit ihrer Kampfkraft. Für mich und die meisten meiner Generation war sie ein vertrauter und präsenter Teil unseres Lebens. Ältere Freunde und Brüder waren schon beim Bund gewesen, im Herbst rollten bei uns während der Manöver Panzer über Straßen und Felder. Auch meine Cousins und Onkel waren mal Wehrpflichtige, Berufs- oder Zeitsoldaten. In der DDR war es wohl nicht viel anders.

Nach 40 Jahren wieder Soldat

Im Oktober 2025 war ich nun wieder Soldat, im Rahmen einer sogenannten dienstlichen Veranstaltung zur Information im Unterstützungsbereich der Bundeswehr-Logistikschule in Osterholz-Scharmbeck. Wir trugen Flecktarn, wurden alle für die sechs Tage zum Oberleutnant ernannt und gelobten – zum ersten oder wiederholten Mal in unserem Leben, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“.

Wir, das waren 28 zivile Führungskräfte zwischen 35 und 65 Jahren aus ganz Deutschland. Aus Erfurt und Düsseldorf, vom Bodensee, aus Eutin, mehrere aus Berlin. Aus Finanzbehörden und Kommunen, aus Industrie- und Handelskammer, Automobilzulieferer und Baumarktkette, kommunalem Energieversorger, Universität und Medien. Aus Deutschem Roten Kreuz und dem Rüstungs- und Sicherheitsbereich. Mehr Männer als Frauen, mehr Ungediente als ehemalige Soldaten. Wir waren dort, um künftig im eigenen Einflussbereich als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für die Bundeswehr wirken zu können, wie die Bundeswehr dazu auf ihrer Website schreibt. Dabei sollten uns unmittelbare Eindrücke an ausgewählten Teilen soldatischen Lebens helfen.

Augmented Reality und Virtual-Battlespace-Umgebung

Zwischen dem Frühstück um 6.30 Uhr und dem Dienstende um 22 Uhr durchliefen wir ein abwechslungsreiches Programm von Vorträgen und militärischer Ausbildung. Wir erhielten Einblicke in die kompetenzorientierte Ausbildung an der Logistikschule, das Training mit Augmented Reality und die Virtual-Battlespace-Umgebung. Wir schossen mit dem Gewehr 36, dem Maschinengewehr 3 und der Pistole 8, bekamen die neue persönliche Ausrüstung der Soldaten vorgestellt und die FVerfahren und Mittel zur medizinischen Erstversorgung von Verwundeten auf dem Gefechtsfeld erläutert. Zum Operationsplan Deutschland, der die zivil-militärische Zusammenarbeit in Krise und Krieg regelt, trug ein General aus dem Verteidigungsministerium in einem öffentlichen Vortrag vor. 400 Gäste kamen dazu in die Kaserne.

An allen Tagen hatten wir Gelegenheit, mit Soldatinnen und Soldaten zu sprechen. In den Pausen zwischen Vorträgen, beim abendlichen Biwak, zwischen den Schießstationen, in der Online-Schalte nach Bagdad. Mit Mannschaftsdienstgraden und Feldwebeln, vielen Oberleutnants. Die Gespräche waren informativ, unsere Gesprächspartner sehr freundliche und uns zugewandte Kameraden. Initiative zeigen, ergebnisorientiert vorgehen, das Beste aus der Lage machen, hörten wir immer wieder. Oft aber auch, wie schwerfällig und bürokratisch die Bundeswehr ist. Der Bundesrechnungshof schrieb in diesem Jahr, die deutsche Armee sei zu „kopflastig“.

Seit über 25 Jahren bin ich beruflich als Geschäftsführer der Stiftung Aktive Bürgerschaft im gemeinnützigen Bereich zu Hause. Ich beschäftige mich mit Bürgerstiftungen, ehrenamtlichem Engagement in Schulprojekten, Unternehmensengagement. Ich berate, schreibe Artikel, halte Vorträge, führe ein Team von zwanzig Kolleginnen und Kollegen. Dass ich neben einem Geschäftsführer aus dem DRK der einzige Teilnehmer aus dem gemeinnützigen Bereich bei der Bundeswehr war, hat mich nicht überrascht. Militär kommt in unserem Alltag praktisch nicht vor.

„Auf den Verteidigungsfall vorbereitet zu sein, ist ein wesentlicher Beitrag dazu, keinen Krieg führen zu müssen.“

Doch der Angriff Russlands auf die Ukraine hat vieles verändert. Krieg ist in Europa wieder möglich geworden. Die Bundesregierung nimmt viel Geld in die Hand, um die Bundeswehr kriegstüchtig zu machen, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius es formuliert hat – der Begriff sorgte für Aufsehen und Kontroversen. So martialisch er klingen mag, beschreibt er doch schlicht die Fähigkeit, sich gegen Angriffe verteidigen zu können. Dass Anlass besteht, sich damit zu beschäftigen, dazu herrscht inzwischen in Regierung und Sicherheitskreisen breiter Konsens. Bundeskanzler Friedrich Merz sagte vor einigen Wochen: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden.“ Gemeint sind die hybriden Angriffe Russlands auf Deutschland und Europa. Spionage, Sabotage, Ausspähung, Desinformation, vielleicht sogar bereits Anschläge. Im Oktober haben die Chefs der Nachrichtendienste im Bundestag bei einer Anhörung davor gewarnt.

Nach der Deutschen Einheit ist die Bundeswehr immer weiter verkleinert, Kritiker sagen kaputtgespart, worden, zur Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr fähig. Um kriegstüchtig zu sein, braucht es aber mehr als die Anschaffung von Waffensystemen und Munition. Es braucht Wehrfähigkeit und Wehrwilligkeit. Die wird nur zu erreichen sein, wenn die Bundeswehr wieder zum selbstverständlichen Teil unserer Gesellschaft und unseres Lebens wird – und wir auch die Zivilverteidigungsaufgaben ernst nehmen.

Geht das den Stiftungssektor etwas an?

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sammeln wir von der Stiftung Aktive Bürgerschaft Spenden für die ukrainischen Bürgerstiftungen und stehen mit Kolleginnen und Kollegen in Kiew im Austausch. Auch andere gemeinnützige Organisationen unterstützen die Ukraine. Stiftungen können auch mit ihrem Kapital wirken. Hier sind die Möglichkeiten nicht von den gemeinnützigen Zwecken der Abgabenordnung begrenzt. Wir sollten wir uns als Organisationen damit auseinandersetzen, wie wir zur Kapitalanlage beispielsweise im Bereich des Schutzes der kritischen Infrastruktur, des Wiederaufbaus der Ukraine oder eben auch in deutsche Rüstungsfirmenstehen stehen. Natürlich spielt die Sicherheit der Vermögensanlage und auch der Ertrag eine Rolle, zu der wir stiftungsrechtlich verpflichtet sind.

Auch im Umfeld der Bundeswehr gibt es gemeinnützige Organisationen, mit denen Zusammenarbeit möglich ist. Etwa soziale Hilfswerke und Stiftungen, die Reservisten- und Veteranenorganisationen, den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge oder das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte. Ich werde mich in der Stiftung Aktive Bürgerschaft dafür einsetzen, dass wir uns mit diesem Bereich mehr beschäftigen und auch hier auf Möglichkeiten zum Engagement hinweisen.

Eine Frage der Haltung

Im letzten Jahr hat die Bundesregierung die 35 Jahre alten Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung überarbeitet. Hierin werden Maßnahmen und Strukturen beschrieben, um die Unabhängigkeit und Souveränität Deutschlands in Krisen- und Konfliktzeiten zu sichern. Nicht nur das DRK und die anderen Blaulichtorganisationen kommen hier vor. Auch beispielsweise die Kultureinrichtungen in Deutschland. Sie sollen Notfallverbünde bilden und in der Lage sein, Maßnahmen zur Rettung von Kulturgütern durchzuführen. Auf den Verteidigungsfall vorbereitet zu sein, ist ein wesentlicher Beitrag dazu, keinen Krieg führen zu müssen.

Neben dieser konkreten Ebene spielt für mich die Frage nach der Kriegstüchtigkeit auch noch auf einer anderen Ebene eine Rolle. Es ist eine Frage der Haltung. In unseren Debatten über gesellschaftlichen Zusammenhalt sprechen wir viel über Demokratie, Bildung und Teilhabe. Aber Zusammenhalt zeigt sich auch darin, dass wir bereit sind, unser Land, die Menschen, die hier leben, und die Demokratie selbst zu verteidigen. Sie ist schließlich die Grundlage und Voraussetzung zivilgesellschaftlichen Wirkens wie wir es verstehen. Aus diesem Grund sollten auch wir im Stiftungssektor uns mit diesen Themen auseinandersetzen und Position beziehen.