Öffnung unter Zwang?

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
LinkedIn
URL kopieren
E-Mail
Drucken

Fiona Streve-Mülhens Achenbach, Erbin der 4711-Dynastie und Großnichte der Stifterin Maria Mehl-Mülhens, erhält keinen Zutritt zum Gestüt Röttgen. So will es der Vorstand der Kölner Mehl-Mülhens-Stiftung. Aus Achenbachs Sicht kann das nicht im Sinne ihrer Großtante sein – immerhin gibt es eine Familientradition, nach der mit 47 Jahren und elf Monaten eine Feier auf dem Kölner Anwesen ansteht.

So ist es auch in der Stiftungssatzung festgehalten, die als Anhang des Testaments von Maria Mehl-Mülhens vorliegt. Diese verfügte darin unter anderem, dass der Testamentsvollstrecker nach ihrem Tod eine gemeinnützige Stiftung gründen sollte: Eines der Vorstandsmitglieder soll demnach ein Angehöriger der Stifterfamilie sein. Das Gut Röttgen soll für repräsentative Zwecke – auch der Bundesrepublik – zur Verfügung stehen. Wie begründet sich die Abweisung? Ist sie rechtens?

Eigentlich könnte die Angelegenheit mit einem Blick in die aktuelle Satzung leicht zu klären sein: Doch das Papier der gemeinnützigen Stiftung ist nicht öffentlich. Die Stiftung veröffentlicht auch keine Auszüge, sondern beschränkt sich auf der Website auf einen kurzen, allgemeiner gehaltenen Text – und hat offenbar auch kein Interesse daran, Achenbach das Dokument zur Verfügung zu stellen. Ein erster Termin vor dem Kölner Landgericht geht im Februar zugunsten Achenbachs aus: Die Stiftung kommt um eine Auskunft zur Satzung nicht herum. Eine Berufung gegen das Urteil scheitert Anfang August. Nächster Schritt ist eine Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof.

Dass es überhaupt einen Abgleich braucht, berührt den Kern des Streits und der Frage, was die Stifterin wollte. Das der Familie vorliegende Stiftungsdokument scheint nicht das letzte zu sein. Und auch das Testament und die personelle Kon­stellation wandeln sich kurze Zeit vor ihrem Tod: Auf das erste notarielle Testament folgt ein handschriftliches: Darin ernennt Maria Mehl-Mülhens einen Frankfurter Notaranwalt, der die erste Fassung beurkundet hat, zum Testamentsvollstrecker. Kurz bevor sie stirbt, erhält Mehl-Mülhens Besuch von einem Nurnotar. Es entsteht ein weiteres notarielles Testament, in dem der erste Kollege und Testamentsvollstrecker nun auch als Stiftungsvorstand benannt wird. Zwei weitere Vorstände werden namentlich eingetragen – ein Rechtsanwalt und ein Bankkaufmann aus Zürich. Der vierte Posten, der in der Urfassung der Satzung an Familienmitglieder gehen sollte, wird nicht näher bestimmt.

Verschobene Grenze

Der Testamentsvollstrecker gründet nach Mehl-Mülhens’ Tod die Stiftung. Die Satzung enthält eine Altersgrenze. Als der Vorsitzende 65 Jahre alt wird, ändert sich nur eines: Der Vorstand erhöht das Limit. Auch die neue Altersgrenze ist längst erreicht, als es zum heutigen Zwist mit der Stifterinnenfamilie kommt. Die wundert sich nicht nur über den verwehrten Zugang anlässlich der traditionellen 4711er-Feier, sondern auch über den inzwischen 81-jährigen Vorstandsvorsitzenden. Der Streit wird öffentlich, der Vorstand wechselt prompt, der Nachname bleibt jedoch gleich: Nun leitet die Tochter des bisherigen Vorsitzenden, eine Frankfurter Rechtsanwältin, die Stiftung. Die vierte Position wird ebenfalls mit einer familienfremden Person besetzt, nachdem Fiona Streve-­Mülhens Achenbach sich zuvor bereit erklärt hat, die Position zu füllen. Von einer repräsentativen Nutzung durch die Bundesrepublik, wie in der Satzung ebenfalls vorgesehen, sei nichts bekannt, sagt Eberhard Rott. Der Bonner Fachanwalt für Erbrecht vertritt Achenbach vor Gericht.

Rott beschäftigt sich häufiger mit dem, was er als Kapern einer Stiftung empfindet – besonders mit dem Blick auf Testamentsvollstrecker. Auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Testamentsvollstreckung und Vermögenssorge (AGT) stellt er mehrere Fälle vor, bei denen die Macht der Position deutlich zu erkennen ist. Gegen alle Strukturen.

Er ist aus Erfahrung nicht überrascht, dass das Vorstandsgremium der Mehl-Mülhens-Stiftung derart entschieden hat. „Gremien haben häufig einen Macher. Die Stiftung wird in eine Richtung straff geführt, während um ihn herum Unwissenheit herrscht. Es ist unklar, ob die übrigen Vorstandsmitglieder überhaupt die Satzung kennen“, sagt Rott. Ein Aufsichtsorgan gibt es nicht. Der Vorstand ist das einzige Gremium – was allein schon aufgrund der Größenordnung des gewaltigen Anwesens von 250 Hektar inklusive Schloss und Rennbahn verwundern kann. Eine Fläche größer als die von Monaco, wie Heide Neukirchen auf ihrem Blog testamentprofi.de schreibt.

So vermischen sich für eine Stiftung dieser Größe rudimentäre Strukturen mit menschlichen Dynamiken – und nun auch rechtlichen Fragen. „Wir kommen in mancherlei Ausprägung dazu, dass eine Stiftung im Grunde genommen durch Testamentsvollstrecker geplündert werden kann“, sagt Rott und verweist auf das Zusammentreffen zweier Rechtsgebiete: Stiftung und Testamentsvollstreckung. „Es gibt keinen wirklich effektiven Rechtsschutz. Der Testamentsvollstrecker kann in dieser Konstellation viel machen, ohne dass er wirksam kontrolliert wird.“

Dynastische Strukturen?

Ausplünderung ist im Fall der Mehl-Mülhens-Stiftung ebenso wenig der Vorwurf wie wirtschaftliches Missmanagement. Vielmehr geht es schlicht um die Abweichung vom ursprünglichen Stifterwillen und die anscheinende Bildung neuer dynastischer Strukturen über eine Rechtsform, die genau diese verhindern sollte. Der Vater des Gründungsvorstandsvorsitzenden, ebenfalls Rechtsanwalt, hatte mit seiner Kanzlei bereits den Ehemann von Mehl-Mülhens, Rudi Mehl, beraten. Nun ist gewissermaßen die dritte Generation am Ruder.

Es stellt sich wieder die grundsätzliche Frage, wer die Stiftung schützt. Hier setzt die Verteidigungsstrategie des Vorstands an: Er bestreitet die Klagebefugnis. Ein Hebel gegen solche Streitfälle wäre aus Rotts Sicht Transparenz. Er fordert eine gesetzliche Verpflichtung zur Veröffentlichung der Satzung – zumindest bei gemeinnützigen Stiftungen, die immerhin indirekt Steuergeld erhalten. „Bislang macht es jede Stiftung, wie sie will. Viele veröffentlichen nicht.“

Dann würden manche Gemengelagen wohl gar nicht erst entstehen – und wenn sie doch entstehen sollten, würden sie direkt sichtbar. Fiona Streve-­Mülhens Achenbach erfuhr offenbar durch Zufall von der Satzungsregelung über den vierten Vorstandsposten. Nun geht es um Fragen, die kaum zu klären sind. Wer vermag Jahrzehnte nach deren Tod noch zu sagen, ob Maria Mehl-Mülhens nach drei Schlaganfällen kurz vor ihrem Tod noch in der Lage war, die Folgen einer Testamentsänderung zu verstehen? Rotts Mandanten bestreiten das.

Mächtige Testamentsvollstrecker

Testamentsvollstrecker Rott rät Stiftern davon ab, dem Testamentsvollstrecker zu viel Macht zu geben, auf Ämtertrennung zu setzen und entsprechende Kontrollstrukturen zu etablieren – getragen von präzisen Formulierungen. Auch wenn die Klärung von Details mitunter mühsam ist: Sich auf die Stiftungsaufsicht oder Nachlassgerichte zu verlassen, ist für ihn unrealistisch. „Abgesehen von der hohen Auslastung ist die Stiftungsaufsicht für viele Fälle gar nicht zuständig – gerade bei vielen zivilrechtlichen Fragestellungen. Und wo kein Kläger, da kein Richter.“

Auch ein anderes Selbstverständnis könnte helfen. „Bei Richtern geht man schon von Befangenheit aus, wenn es eine persönliche Beziehung zu Prozessbeteiligten gibt.“ Man erwarte vom Richter, dass er von sich aus darauf hinweise. „Wenn man ein solches Verständnis mitbringen würde im gemeinnützigen Bereich, wäre schon viel gewonnen.“

Stefan Dworschak ist Chefredakteur von DIE STIFTUNG. Zuvor war er nach einem Magisterstudium der Anglistik, Philosophie und Romanistik mit sprachwissenschaftlichem Schwerpunkt an den Universitäten Heidelberg und Sheffield in der Mantel- sowie Lokalredaktion einer Tageszeitung tätig.