Die Hilfsorganisation Vivamos Mejor engagiert sich in Lateinamerika in zwei Programmen: einem zu Bildung und einem zu Wasser und Nahrung. Das Engagement im Bereich Wasser und Nahrung erfordert klare Prioritäten, Grundlagenarbeit, aber auch Kompromissbereitschaft beim Ausgleich unmittelbarer Nöte und langfristiger Ziele.

Laut Weltbank gehört Lateinamerika zu den Weltregionen mit der höchsten Ungleichheit. 20 Prozent der Kinder leiden im Schnitt unter ernährungsbedingten Wachstumsstörungen. Die Zahlen schwanken je nach Land und Region. Der Ansatz der Hilfsorganisation Vivamos Mejor steckt bereits im Namen: Sie engagiert sich dafür, „dass sozial marginalisierte Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika faire Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe, Bildung und Einkommen haben und so aus eigener Kraft die Armut überwinden können“, sagt Sabine Maurer Sabbat, Bereichsleiterin Fundraising und Kommunikation. Dabei orientiert sie sich am spezifischen Bedarf vor Ort.

Ein Bauer in Guatemala liest einen Regenmesser ab. Die Daten ermöglichen es, Modelle zum lokalen Klimageschehen zu erstellen.

Ein Bauer in Guatemala liest einen Regenmesser ab. Die Daten ermöglichen es, Modelle zum lokalen Klimageschehen zu erstellen. Foto: Vivamos Mejor

In Guatemala etwa mangelt es an Grundsätzlichem. Hier betreibt die Stiftung gemeinsam mit einer lokalen Partnerorganisation Projekte zu Wasser und Nahrung: „Chronische Unterernährung ist bei den Kindern dort ein sehr grosses Problem. Bei der indigenen Bevölkerung in Guatemala liegt sie bei rund 50 Prozent“, sagt Projektleiter Joachim Jung, der von afrikanischen Dimensionen spricht. Familien in Guatemala besitzen häufig etwa 0,5 Hektar. Damit lassen sich kaum alle Mitglieder ernähren. Vivamos Mejor hat besonders die kleinbäuerlichen Familien im Blick, deren Situation in ganz Zentralamerika kritisch ist. Verantwortlich für die schwierige Lage ist ein Bündel aus Faktoren, die zusammenwirken, wie Jung erklärt: Eine wachsende Bevölkerung steht entsprechend schrumpfenden Parzellen an Ackerland gegenüber. Die daraus folgenden Rodungen, die Orientierung an unmittelbaren Notwendigkeiten statt der mittelfristigen Nutzung verschärfen das Problem, begünstigen Erosion und Bodendegradation. Mit der Umwandlung von vielfältigem Wald in Ackerland schwindet zudem die für die Stabilität der Ökosysteme so wichtige Biodiversität. „Weltweit sind die wirklich für Landwirtschaft geeigneten Flächen längst besetzt, Reserveflächen haben wir keine mehr.“

Langfristiger Ansatz

Die Interventionen von Vivamos Mejor zielen auf eine langfristige Verbesserung ab und setzen systematisch an: Die Arbeit reicht von Datenerhebung über Wissensvermittlung zu Landwirtschaft bis zu Schulungen zu Ernährung und Hygiene. „Wir bekämpfen nicht nur den Hunger durch die Verbesserung von Anbau, sondern beziehen die soziale Situation mit ein, das gesamte Ökosystem“, sagt Jung. „Es gibt in diesen Regionen keinen Landnutzungsplan, wie wir ihn kennen, in dem verzeichnet ist, welcher Boden für welche Pflanze geeignet ist – und wo zum Beispiel Waldflächen bewirtschaftet werden dürfen und wo nicht. So erhebt unsere Partnerorganisation Daten zum Zustand der natürlichen Ressourcen und erstellt eine geordnete Landnutzungs- und Raumplanung, die sie mit den lokalen Behörden und Kleinbauern teilt. Die Kleinbauern sind aber natürlich frei, ihr Land so zu bewirtschaften, wie sie es für richtig halten.“

In den vergangenen 20 Jahren sind wertvolle Waldflächen verloren gegangen. Für die Aufforstungen hat das Team im Jahr 2021 in Guatemala 40’000 Setzlinge in der eigenen Baumschule gezogen. Foto: Vivamos Mejor

„Wir müssen einen guten Weg finden, die Werte zu erheben, die Sinn ergeben. Wir sind uns dieser Begrenztheit bewusst.“

Joachim Jung, Projektleiter

Dabei muss der Partner eine Balance finden zwischen den unmittelbaren Interessen und den mittelfristigen Zielen. „Wald zum Beispiel ist sehr wichtig, um Wasser zu speichern und Erosion entgegenzuwirken – wenn aber die Bevölkerung aus ihm keinen direkten Nutzen ziehen kann, wächst die Gefahr, dass der Wald zerstört wird. Daher sprechen wir mit den Menschen über Nutzungsarten, die dies ermöglichen, ohne den Bestand zu gefährden.“ Denn Waldnutzung ist nicht gleich Waldnutzung. „Wir denken in Mitteleuropa häufig an Holzwirtschaft, doch es gibt von Honig über Pilze bis hin zu Kräutern viele Produkte, die sich vermarkten lassen, ohne dem Wald viel Biomasse zu entziehen.“

Zu den bisherigen Problemen kommen immer stärker die Folgen des Klimawandels hinzu. „Dadurch werden Wetterextreme immer häufiger, vormals verlässliche Regenzeiten verschieben sich zunehmend. Zum Rüstzeug gehören daher auch Schulungen zur Messung von Niederschlägen, um Vorhersagen zu Trocken- und Regenzeit zu treffen. „Verschieben sich diese, lässt sich der Anbauzyklus anpassen“, sagt Jung. In diesem Bereich Kenntnisse zu entwickeln, dürfte in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen. „Das macht unsere Arbeit noch wichtiger und notwendiger.“ Vivamos Mejor hat die Projektphasen in der Regel auf drei Jahre angelegt. „Meistens lassen wir Projekte zwei Phasen lang laufen“, sagt Joachim Jung. „Nach drei Jahren sind die Menschen häufig mittendrin im Lernprozess. Nach sechs Jahren sind die Informationen gefestigt. Eine weitere Verlängerung bringt erfahrungsgemäss keine grössere Verbesserung.“

Wirkungsmessung begleitet dabei die Projektarbeit. „Wir betreiben ein recht intensives Monitoring“, sagt Jung. „So messen wir etwa alle sechs Monate den Ernährungszustand der Kinder, die Vielfalt der Ernährung, aber auch den Ertrag der Böden.“ Denn selbst wenn Wasser und Nahrung zur Verfügung stehen, ist die Arbeit nicht abgeschlossen, um die Entwicklung der Kinder zu unterstützen. „Unsere Beraterinnen vor Ort besuchen die Familien, erfragen beispielsweise die Häufigkeit von Durchfallerkrankungen. Das ist ein heikles Thema, aber von grosser Bedeutung – gerade für Kinder mit Unterernährung.“ So konnte Vivamos Mejor in einem Vorgängerprojekt nachweisen, dass sich die Situation der Familien bezüglich der Wasserqualität verbessert und die Häufigkeit von Durchfallerkrankungen um ein Drittel verringert hat.

Sensibilisierungsarbeit: Ein Projektteam klärt Kleinbauern in Honduras darüber auf, wie sich der Klimawandel auf den Wasserkreislauf und die natürlichen Lebensgrundlagen auswirkt. Foto: VIvamos Mejor

Monitoring bleibt dabei eine Herausforderung und eine Frage der Gewichtung, wie Jung darstellt: „Es gibt Daten, die interessant sind, aber sehr aufwendig zu erheben, etwa der Ertrag an Mais oder Gemüse, den die Familien einfahren, oder der Grad der Diversifizierung auf ihren Feldern. Andere wiederum, die leichter zu erheben sind, besitzen nicht sehr viel Aussagekraft, etwa die Anzahl der Teilnehmenden an Trainings und Workshops. Wir müssen daher einen guten Weg finden, die Werte zu erheben, die Sinn ergeben. Wir sind uns dieser Begrenztheit bewusst.“

Kooperation mit Behörden

Neben den inhaltlichen Themen spielt auch der Blick der öffentlichen Verwaltung vor Ort eine Rolle. „Wir sind eine NGO, arbeiten aber natürlich mit staatlichen Stellen zusammen“, sagt Jung. Voraussetzung ist die gemeinsame Zielsetzung. „Die Politik sollte die Probleme, an denen wir arbeiten, als wichtig empfinden. Es braucht eine Strategie auf nationaler Ebene.“ Die Kooperation schwanke abhängig davon, wie gut die öffentliche Verwaltung aufgestellt sei. „Wir wollen keine Parallelstrukturen aufbauen, sondern es ist uns sehr wichtig, mit den jeweils zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten.“

„Wir versuchen deshalb immer, eine mehrjährige Finanzierung oder eine Finanzierung, welche die gesamte Projektlaufzeit betrifft, zu erhalten“

Sabine Maurer Sabbat, Bereichsleiterin Fundraising und Kommunikation

Dabei können auch unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen, etwa wenn aus Sicht der Ernährungssicherheit der Anbau von Nahrungsmitteln für den Eigenbedarf dringlich erscheint, aus Sicht der Politik aber devisenbringende Pflanzen wie Kaffee. Dies sei auch nicht pauschal verkehrt. Mitunter könnten geeignete Anbauprodukte, die sich gut verkaufen lassen, auf den passenden Böden mehr Sinn ergeben als der ausschliessliche Anbau von Grundnahrungsmitteln für den Eigenbedarf. Dies gelte gerade dann, wenn die zur Verfügung stehende Anbaufläche für die Familien sehr begrenzt ist. Vivamos Mejor versucht hier mit den Bauernfamilien die geeignetsten Mischformen der Landnutzung zu finden und diese in Landnutzungsplänen festzuhalten.

Schliesslich geht es um das langfristige Ziel, die Menschen vor Ort zu ermächtigen, ihr Leben zu gestalten. Eine Perspektive, für die Vivamos Mejor wiederum selbst die passenden Unterstützer braucht. „Häufig denken Geldgeber in Jahresabschnitten, geben Gelder eher kurzfristig“, sagt Jung. „Wir versuchen deshalb immer, eine mehrjährige Finanzierung oder eine Finanzierung, welche die gesamte Projektlaufzeit betrifft, zu erhalten“, ergänzt Sabine Maurer Sabbat, „dies ermöglicht uns eine bessere finanzielle Planung.“

 

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