Es war die Tochter von „Hitlers Architekten“ und Rüstungsminister Albert Speer, die die „Stiftung Zurückgeben. Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft“ mit ins Leben rief. Denn als Hilde Schramm drei Gemälde erbte, die – wie sie vermutete – aus jüdischem Besitz stammten, wollte sie die Erbschaft nicht annehmen. Also verkaufte sie die Kunstwerke und spendete den Erlös für die Gründung der Stiftung. Das war 1994. Seitdem appelliert die Stiftung Zurückgeben an die nichtjüdische deutsche Bevölkerung, einen Teil des geschehenen Unrechts symbolisch wieder auszugleichen, und fördert jüdische Frauen in Kunst und Wissenschaft.
Stiftung Zurückgeben spricht von allgegenwärtigem Völkermord
„Für jüdische Menschen ist die Vergangenheit nicht vergangen“, so Vorstandsvorsitzende Sharon Adler, selbst Jüdin. Man denke nur an die vielen Menschen Mitte 30, die ihre Groß- oder Urgroßeltern nie kennenlernen durften, weil Zweige der Familie ermordet wurden. „Die leeren Stellen in den Biographien bleiben für immer bestehen“, so Adler. „Das Sprechen darüber begann oft sehr spät. Über die erste Generation herrschte ein Schweigen.“ Dieses Verstummen in den Familien, die Traumata, die Scham, überlebt zu haben, – all das begleite die Menschen bis heute.
Jüdische Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, die heute das Schweigen brechen möchten, können sich bei der Stiftung Zurückgeben um ein Stipendium bewerben. Unterstützt werden zum Beispiel Recherche-, Tanz- oder Buchprojekte, Gemälde, Multimediainstallationen oder Filmvorhaben. Irgendwo finde sich in den meisten unterstützten Projekte ein Bezugspunkt zur Shoa, dem nationalsozialistischen Völkermord an den Juden Europas. „Auch dort, wo es eigentlich um ein ganz anderes Thema geht“, beobachtet Adler.

Sharon Adler ist Vorstandsvorsitzende der Stiftung Zurückgeben. Foto: Mara Noomi Adler
Wo möglich, unterstützt die Stiftung Zurückgeben außerdem dabei, überlebende Verwandte für eine Übergabe ausfindig zu machen, wenn einst jüdische Besitztümer in Familien auftauchen. Das hatte auch Hilde Schramm versucht, bevor sie ihr Erbe veräußerte – erfolglos. „Ich rechne Hilde Schramm hoch an, dass sie mit dem Familienerbe offen umgegangen ist“, lobt Adler die damalige Spende, mit der alles begann.
Sie ist enttäuscht, dass viele Menschen – auch Politiker – das nicht tun. Überhaupt spricht sie mit Enttäuschung vom Umgang der deutschen Gesellschaft mit der NS-Geschichte. „Es herrscht Desinteresse, das kann man nicht schönreden“, so ihre Meinung. Spenden würden oft Menschen, die bewusst Verstrickungen der eigenen Familie mit der Geschichte aufarbeiten wollten. Doch davon gebe es viel zu wenige. „Eine Spende an die Stiftung Zurückgeben wird immer auch als Schuldeingeständnis gedeutet“, gibt Adler zu bedenken. Und damit tun sich viele schwer.
Auch Unternehmen, die durch die Enteignung von Juden in der NS-Zeit an Nichtjüdische gingen, seien kaum davon zu überzeugen, eine Spende zu tätigen. Die Resonanz sei „erschreckend niedrig“. Anders sah das bei den knapp 6.000 deutschen Unternehmen aus, die sich im Jahr 2000 zusammenschlossen und fünf Milliarden D-Mark in die Gründung der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ)“ einbrachten. Der Bund gab noch mal fünf Milliarden D-Mark hinzu. Die erste große Stiftungsaufgabe: individuelle Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter und andere Opfer des NS-Regimes. Dieses Vorhaben war 2007 – nach der Auszahlung von rund 4,4 Milliarden Euro an 1,6 Millionen Menschen – abgeschlossen. Seitdem widmet man den restlichen Kapitalstock, rund 360 Millionen Euro, dem zweiten Stiftungszweck: der Förderung von Projekten, die den Nachkommen sowie der Erinnerungskultur dienen. Bis heute ist das Stiftungskapital auf rund 570 Millionen Euro angewachsen.
Unter den jährlich rund 300 geförderten Projekten befand sich 2012–2015 auch das Stipendien-Programm „Jüdische weibliche Identitäten heute“ der Stiftung Zurückgeben, die sich mit 210.000 Euro Stiftungskapital in ganz anderen finanziellen Sphären bewegt. Auch der Hintergrund – die Stiftung EVZ eine Initiative der deutschen Politik und Wirtschaft, die Stiftung Zurückgeben von betroffenen Privatpersonen – ist ein ganz anderer. Und doch gibt es klare Parallelen in der Stiftungsarbeit beider Organisationen.
Erinnern, um sich zu wehren
Das Schaffen einer neuen Erinnerungskultur beispielsweise. Denn in den Projekten der Stipendiatinnen der Stiftung Zurückgeben geht es nicht nur um jüdische Kultur. „Die Theaterstücke, Tanzperformances oder Installationen transferieren Erinnerung in eine neue Form künstlerischer oder literarischer Perspektive der vierten Generation“, so Adler.
Erinnern ist auch ein Kernaspekt in der Arbeit der Stiftung EVZ. Denn zwar gibt es noch Überlebende des Holocaust – „insgesamt geht man weltweit heute noch von über 240.000 Überlebenden aus, allein in Israel von 180.000“, so Vorstandsvorsitzende Andrea Despot – und die Stiftung EVZ unterstützt diese auch durch Begegnungsmöglichkeiten und psychosoziale Dienste.
Doch es geht auch darum, die jüngere Generation in Deutschland zu ermutigen, sich der moralischen Verantwortung zu stellen. Bewusst ist die Rede von Verantwortung, nicht von Schuld. „Wenn wir mit jungen Menschen arbeiten, geht es nicht um Schuld. Es geht um Verantwortungsgefühl. Es geht darum zu verstehen, was damals passiert ist, statt mit Zahlen zu erdrücken. Wir wollen das Erinnern und die Geschichte nutzen, um im Hier und Jetzt wache, widerstandsfähige Menschen zu prägen, die sich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung starkmachen“, erklärt Despot. Erinnern sei das Wachhalten des durch Vertreibung, Verfolgung und Vernichtung entstandenen Unrechts. „Aus Erinnerung entsteht Orientierung für die Gegenwart. Nur so können wir uns alle in Zukunft gut für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.“

Andrea Despot ist Vorstandsvorsitzende der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ). Foto: Raum11 / Amélie Losier
Das Potential und Interesse in der Gesellschaft bewertet sie, im Gegensatz zu Sharon Adler, als groß. Und das, obwohl der „Multidimensionale Erinnerungsmonitor“, den die Stiftung EVZ 2019 mit der Uni Bielefeld durchführte, ein heterogenes Bild zeichnet. Die repräsentative empirische Umfrage untersuchte, ob und wie sich die Erinnerungskultur der deutschen Gesellschaft verändert. Einige der zentralen Ergebnisse: Das Faktenwissen über den Nationalsozialismus nimmt ab. Ein Erinnerungskonsens, den man in Deutschland als gesichert angesehen hatte, wird durch das Aufkommen von rechten Kräften in Frage gestellt. Knapp die Hälfte der Befragten gibt an, in der Schule „eher viel“ oder „sehr viel“ über die NS-Zeit erfahren zu haben, 35 Prozent hätten „eher wenig“ oder „überhaupt nichts“ gelernt. Knapp jeder dritte Teilnehmer hat noch kein Sachbuch zur NS-Zeit gelesen. Aber: Drei von vier haben Dokumentarfilme zum Thema gesehen, 70 Prozent Spielfilme.
Geschichte ein Gesicht geben
Die Schlussfolgerung, die die Stiftung EVZ aus den Ergebnissen zieht: „Wir werden unsere Bildungsaktivitäten ausbauen und digitale Lernformate etablieren“, so Despot. Es gehe darum, Geschichte lebendig zu gestalten und auf die Gegenwart zu übertragen. „Schüler müssen verstehen, dass Geschichte aus Geschichten besteht. Und was Diskriminierung und Ausgrenzung heute, in ihrem Alltag, bedeuten.“
Konkret verfolgt die Stiftung EVZ diese Ziele zum Beispiel mit „Interaktiven Biographien von Überlebenden des Holocaust“, die die Zeitzeugenschaft ins Digitale versetzen. Gemeinsam mit der USC Shoah Foundation – 1994 von Steven Spielberg in den USA gegründet – rief man den deutschen Ableger des Projekts ins Leben, der sich momentan in der Testphase befindet: Anita Lasker-Wallfisch, eine Auschwitz-Überlebende, hat hierfür mehr als 1.000 Fragen zu ihrem Leben vor, während und nach dem Holocaust beantwortet. Eine Art lernende Software verknüpft die Antworten unterschiedlich, wodurch ein interaktives Zeitzeugnis entsteht und Schüler direkt Fragen stellen können. Später soll das Projekt auf andere Zeitzeugen ausgeweitet werden. Auch Jugendaustausche und andere Programme sollen junge Menschen und Holocaustüberlebende zusammenbringen, solange das noch möglich ist.
Denn die Zeit drängt, will man die Erfahrungen dieser Menschen für Folgegenerationen konservieren, um Traumata und Sprachlosigkeit, die sich in jüdischen wie nichtjüdischen Familien tradiert haben, weiter aufzulösen.