Die Beschneidung von Mädchen und jungen Frauen stellt in manchen Kulturen den Übergang zur Frau dar – die Tradition richtet großen gesundheitlichen Schaden an, physisch wie psychisch. Organisationen wie die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung setzen sich für ein Ende der weiblichen Genitalverstümmelung ein.

Mindestens 200 Millionen heute lebende Frauen und Mädchen sind laut Vereinten Nationen Opfer von Genitalverstümmelung. Female Genital Mutilation (FGM) beschreibt unterschiedliche Beschneidungsformen, die in 30 Ländern üblich sind. Sie können zu schweren psychischen und physischen Folgen führen, der Eingriff erfolgt häufig unter hoch problematischen hygienischen Bedingungen. Täglich werden laut der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) rund 8.000 Mädchen und Frauen dem Ritual unterzogen.

Angela Bähr ist Programmdirektorin bei der DSW. Quelle: DSW

FGM zählt als Verletzung der Menschenrechte und hat langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Betroffenen. Mögliche Komplikationen umfassen unter anderem Infektionen, Blutungen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Schwierigkeiten bei der Geburt und psychologische Auswirkungen wie Angstzustände und Depressionen. Die Abschaffung der FGM ist ein explizites Unterziel von Nachhaltigkeitsziel fünf: Geschlechtergerechtigkeit. Doch der Weg dahin ist weit. „In unterschiedlichen Kulturen beschreibt sie Übergang vom Mädchen zur Frau“, sagt Angela Bähr, seit 2016 Programmdirektorin bei der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, über die Praxis. FGM hat ihren Schwerpunkt in Afrika südlich und westlich der Sahara, ist aber auch in Asien zu finden. Die Häufigkeit ist regional sehr unter­schiedlich: „In Tansania, wo wir mit einem Projekt vor Ort sind, sind etwa zehn Prozent der Frauen betroffen.“ In Somalia liege die Beschneidungsquote bei 98 Prozent.

Ein Geflecht aus verschiedenen Faktoren führt zur Beschneidung. Seltener sei die Vermischung mit religiöser Praxis, so Bähr, schwerer wiege der Aspekt der Vorbereitung auf Ehe und Mutterschaft, „die Vorstellung, dass nicht verstümmelte Frauen keine echten Frauen sind“. Durch die Entfernung der Klitoris werde verhindert, dass Frauen Lust in der Sexualität finden. Auch die Vorstellung, sie von der Prostitution fernzuhalten, spiele hinein, ebenso der Glaube an ein Blutopfer, das die Ahnen gnädig stimmen soll. „Frauen, die diese Praxis nicht durch­laufen, werden zu Außenseiterinnen“, so Bähr. Ein Dilemma für die Mädchen und jungen Frauen, die häufig zwischen 12 und 15 Jahren beschnitten werden. Es gibt vier Typen von FGM, bei denen unterschiedlich viel Gewebe im weiblichen Genital­bereich entfernt wird. Keine der Praktiken hat einen medizinischen Nutzen.

Ganzheitlicher Ansatz

Damit wirkt sich die Beschneidung auf die soziale Stellung in einer patriarchalen Struktur aus – und hat nicht nur durch den Brautpreis auch wirtschaftliche Auswirkungen. Mit den Beschneiderinnen ist ein ganzer Berufsstand abhängig von der Praxis. Dass wirtschaftliche Faktoren relevant sind, zeigt sich immer wieder: In schwierigen Situationen wie der Pandemie oder bei Dürren nimmt die Zahl an Beschneidungen zu. Das Risiko, Töchter nicht verheiraten zu können, wiegt in Krisen noch schwerer. Obwohl höchst intim, ist Beschneidung keine private Angelegenheit. „Sie wird im Dorf in der Community gefeiert“, sagt Bähr. „Auch wenn Mädchen massiv darunter leiden.“

Der komplexen Situation entsprechend erfolgt der Einsatz gegen FGM auf mehreren Ebenen. Der erste Schritt sei ein gesetzliches Verbot, sagt Bähr. „Da hat sich bereits sehr viel getan. Das Gesetz dann auch umzusetzen, ist aber noch mal eine andere Geschichte. In Tansania ist FGM seit 1998 verboten, aber es geschieht dennoch.“

„Der wichtigste Ansatz ist dabei, einen Ersatzritus zu schaffen. Eine Initiation der Frau zu kreieren ohne die Beschneidung selbst.“
Angela Bähr

Die Durchsetzung des Gesetzes hängt wiederum an der Akzeptanz in den Gemeinschaften. Das bedeutet Aufklärung für Gesellschaft und Dorfgemeinschaften über die Rechte von Mädchen und Frauen sowie über die medizinischen Zusammenhänge – auch medial und in der Schule durch entsprechend geschulte Lehrkräfte: „So erfahren sie, dass das nicht passieren muss, dass es nicht legal ist, und es Möglichkeiten gibt, etwas dagegen zu tun“, so Bähr.

Die ganze Community soll Teil der Diskussion werden, etwa über runde Tische. „Der wichtigste Ansatz ist dabei, einen Ersatzritus zu schaffen. Eine Initiation der Frau zu kreieren ohne die Beschneidung selbst“, so die Programmdirektorin. Für Beschneiderinnen brauche es neue Perspektiven. „Sie brauchen Unterstützung und Förderung, um sich eine neue Existenz aufbauen zu können. Zum Beispiel als Hebamme. Im besten Fall werden sie selber zu Advokatinnen gegen diese Praxis.“

Die vielen Elemente zeigen, warum aus Bährs Sicht nur ein ganzheitlicher Ansatz Erfolg bringen kann – und dass es Zeit braucht. Die Veränderung ist eine Generationenaufgabe. „Traditionelle Riten zu verändern, das dauert einfach. Die sind tief eingegraben in der Psyche der Menschen. Das hängt natürlich auch mit Bildung zusammen.“

Die Community ist entscheidend

Wie groß der Erfolg ist, hängt laut Bähr auch von der Community ab – wie viele konservative Einflüsse wirkten, wie sich ein Stamm verorte, ob es einflussreiche Persönlichkeiten gebe, die sich gegen FGM positionieren – und auch weibliche Vorbilder, die nicht beschnitten sind und trotzdem Familie und Kinder haben. Häufig verschwänden unbeschnittene Frauen einfach aus den Gemeinden, werden ausgestoßen, wenn sie die Tradition nicht akzeptieren. Um überhaupt die Entscheidung treffen zu können, spielen Bildung und berufliche Perspektive eine entscheidende Rolle: Eine Berufsausbildung kann im Zweifelsfall Leben retten, da Frauen nicht auf eine Heirat angewiesen sind.

Was Empowerment für die Mädchen und Frauen ist, ist im Umkehrschluss das Werben für Verständnis bei jüngeren Männern. Bei Gesprächen mit Frauen, die bereits beschnitten sind, erfahren sie von den negativen Folgen der Praxis, vom Trauma, das die Tradition bringt. „Sie müssen aufgeklärt werden, damit sich ihr Bild von einer heiratsfähigen Frau wandeln kann“, sagt Bähr.

Auch wenn internationale Unterstützung wirkt, hängt die Arbeit vor Ort an lokalen, geschulten Kräften. „Da darf keine Weißnase eine Rolle spielen. Es braucht Mitarbeiterinnen aus dem Kontext, die wirklich sensibel mit den verschiedenen Interessen umgehen“, sagt Bähr. Die Arbeit sei nicht nur präventiv: „Auch die bereits beschnittenen Mädchen und Frauen erhalten Unterstützung in Form von Selbsthilfegruppen.“

Eskaliert die Situation und eine junge Frau will sich gegen Widerstand der Beschneidung entziehen, sind Safe Spaces notwendig. In der Pandemie gingen Schutzräume zum Teil verloren, als Schulen geschlossen wurden. Spezielle Mädchenhäuser bieten im Ernstfall die Zuflucht.

Angepasstes Strafgesetzbuch

Durch Migration ist weibliche Genitalverstümmelung auch in Europa ein Thema. Das zeigt sich auch an Paragraph 226a des Strafgesetzbuchs, der seit 2013 explizit die Beschneidung weiblicher Genitalien unter Strafe stellt. Wie das bloße Gesetz in den Herkunftsländern ist das Strafrecht allein jedoch keine Lösung, betont Bähr. „Es ist niemandem geholfen, wenn die Jugendlichen für die Beschneidung ins Ausland geschickt werden.“ Es brauche vielmehr hier wie dort eine menschenrechtsbasierte Auf­klärung.

Zumal es die Tendenz gibt, dass Migration im Zielland zu traditionellerem Verhalten führe als in der ursprünglichen Heimat. Dort geht es langsam voran. Es sei immer wieder ein Silberstreif, wenn etwa Stammesälteste daran arbeiten, die weibliche Beschneidung abzuschaffen und am Ende selbst überzeugt sagen: „Wir schützen unsere Mädchen vor FGM.“

Info

Typen von FGM

Typ I: Entfernung oder Verletzung der Klitoris und/oder Klitorisvorhaut

Die „Klitoridektomie“, bezeichnet die teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut. Ist von der „milden“ Sunna-Beschneidung zu lesen, bezeichnet dies häufig einen kleinen Schnitt in der Klitoris, so dass „nur“ ein Bluttropfen fließt. Mitunter werden jedoch auch Eingriffe als „sunna“ bezeichnet, bei denen Gewebe entfernt wird.

Typ II: zusätzlich zu Typ I werden die inneren Schamlippen gekürzt oder komplett entfernt

Die „Exzision“ bedeutet, dass der äußerlich sichtbare Teil der Klitoris sowie die inneren Schamlippen teilweise oder vollständig entfernt werden. Mitunter werden auch die äußeren Schamlippen verstümmelt. Diese Form der Genitalverstümmelung wird oft zum Zwecke der Initiation, welche den Übergang vom Kind sein zur Frau darstellt, praktiziert.

Typ III: komplettes äußeres Genital wird entfernt und bis auf ein kleines Loch zugenäht

Die „Infibulation“ ist die schwerste Form von weiblicher Genitalverstümmelung. Das gesamte Genital – Klitoris(vorhaut) und Schamlippen – wird entfernt und die Wunde bis auf ein kleines Loch zugenäht. Durch dieses kleine Loch sollen Urin und Menstruationsblut abfließen, aber keine Penetration möglich sein. Diese Form wird vor allem in Gemeinschaften praktiziert, in denen der Wert einer Frau allein durch Jungfräulichkeit und eheliche Treue bestimmt wird.

Typ IV: jegliche andere Praktiken, die teilweise physische und/oder psychische Schäden hinterlassen

Alle weiteren, medizinisch nicht begründeten Eingriffe, welche die Vulva und Klitoris der Frau nachhaltig schädigen. Darunter fallen zum Beispiel Ätzen, Brennen, Scheuern und das Auftragen von nervenschädigenden oder betäubenden Substanzen.

Quelle: WHO/Terre des femmes

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