Mehr als 800.000 Beschäftigten von Großkonzernen wird in Deutschland durch juristische Tricks die paritätische Mitwirkung im Aufsichtsrat versagt. Dieses Ergebnis, zu welchem die Experten der Hans-Böckler-Stiftung Dr. Norbert Kluge, Dr. Sebastian Sick und Dr. Lasse Pütz gekommen sind, wurde gestern bekannt gegeben. Erstellt wurde zudem ein Überblick über die Praktiken, mit denen Unternehmen die gesetzlichen Mitspracherechte der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat aushebeln.
Während es 2002 noch 767 paritätisch mitbestimmte Unternehmen gegeben habe, sei die Zahl bis Ende 2015 auf 635 geschrumpft. Vor allem im Einzelhandel sei die Lage kritisch. Dort gäbe es mittlerweile mehr mitbestimmungsfreie als paritätisch mitbestimmte Unternehmen mit über 2.000 Beschäftigten. Das Gesetz sieht in Deutschland paritätische Mitbestimmung für alle Kapitalgesellschaften mit mindestens 2.000 Mitarbeitern vor. Jedoch ließen die europäischen Rechtsformen sowie Defizite der deutschen Gesetzgebung Umgehungsmöglichkeiten – und diese würden für die Aushebelung von Mitbestimmungsrechten kräftig genutzt.
Zur Umgehung von Arbeitnehmerrechten werden unter anderem spezielle Organisations- und Rechtsformen eingesetzt, so zum Beispiel die Europäische Aktiengesellschaft (SE), sowie Konstruktionen mit ausländischen Rechtsformen genutzt, wie beispielsweise die Ltd. & Co. KG.
Die Experten sehen die hiesige Mitbestimmung als Standortvorteil. Unternehmen, die diese umgehen, gefährden demnach das Erfolgsmodell. Sie fordern deshalb von der Politik, gesetzlich aktiv zu werden und die Umgehungspraktiken rechtlich auszuschließen.
Die Untersuchung stützt sich auf Daten, die der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Walter Bayer von der Universität Jena im Auftrag der Stiftung ermittelt hat, sowie auf eigene Untersuchungen der Experten.