Zwischen den beiden Konfliktlinien im Streit um die Geschichte der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung liegen fast 90 Jahre. Im ersten Konflikt geht es um ein Milliardenvermögen und eine mögliche Mitschuld an der Enteignung jüdischer Familien. Es geht um die Frage, wie der Unternehmer Georg Karg zur Zeit des Nationalsozialismus in den Besitz der Kaufhauskette der Familie Tietz kam. War Karg – bis 1933 ein Angestellter des Hertie-Konzerns – an der sogenannten Arisierung des Unternehmens beteiligt, und wenn ja, in welchem Ausmaß? Dieses Kapitel der Geschichte des Kaufhausimperiums liegt bis dato noch größtenteils im Dunkeln – auch weil die Quellenlage als dürftig gilt.
Ein zweiter Konflikt hat sich in den letzten zwei Jahren zwischen der Stiftung und einem Zusammenschluss aus Studierenden und Alumni der durch die Stiftung finanzierten Hochschule Hertie School of Governance entzündet. Dieser nennt sich Her.Tietz-Initiative und pocht auf eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Er wirft der Stiftung vor, sich nicht ausreichend mit der Geschichte der Kaufhäuser, der Entstehung ihres Vermögens und der Enteignung der Familie Tietz auseinandergesetzt und die Initiative zuletzt, wie verschiedene Tageszeitungen zitieren, „abgewimmelt und hingehalten“ zu haben.
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Kein Zweifel an „Arisierung“
Im Herbst 2020 eskaliert der Streit: Die Initiative wendet sich an die Süddeutsche Zeitung, die im Oktober über die Diskussion berichtet. Es folgen Meldungen in fast allen größeren Tageszeitungen. Kurz darauf, Anfang November 2020, erklärt die Stiftung, dass sie eine unabhängige Organisation mit der Untersuchung der Geschichte der Warenhauskette beauftragt habe. Die Pressemitteilung enthält den Hinweis, dass der Beschluss bereits auf einer Vorstandssitzung im März 2020 gefasst worden sei. Der Fokus der Untersuchung liege auf der Rolle Georg Kargs, der Übernahme des Hertie-Warenhauskonzerns im Nationalsozialismus und dem nach dem Krieg erfolgten Restitutionsverfahren.

Das Alsterhaus an der Hamburger Binnenalster wurde 1912 als eine Filiale des „Warenhauses Hermann Tietz“ eröffnet. Foto: Oxfordian Kissuth / wikimedia
„Es besteht kein ernstzunehmender Zweifel daran, dass es eine Arisierung gewesen ist, aber wie genau das passiert ist und ob sich jemand etwas hat zuschulden kommen lassen, das muss wissenschaftlich untersucht werden“, sagt John-Philip Hammersen, Geschäftsführer der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. „Das ist jetzt der Auftrag an die Forscher: Transparenz zu schaffen und darzulegen, wo die Wurzeln des heutigen Vermögens der Hertie-Stiftung liegen.“
Die Her.Tietz-Initiative begrüßt die Untersuchung, kann sich aber keinen Reim darauf bilden, warum die Hertie-Stiftung erst jetzt mit der Aufarbeitung beginnt. Schließlich, so der Gründer der Initiative Alexander Busold im SWR2-Interview, habe die Initiative schon seit über zwei Jahren eine Untersuchung gefordert. Außerdem könne die Beschäftigung mit dem Thema nur positive Auswirkungen auf die Stiftung und die Hertie School haben.
Auf der Website der Hertie-Stiftung findet sich ein längerer Text zur Historie der Warenhäuser. Laut SZ war dieser Text dort nur „schwer zugänglich“, aktuell ist er leicht auffindbar. Auch das war ein Kritikpunkt der Initiative: Dass nirgends, weder auf den Websites noch vor Ort an den Gebäuden von Stiftung oder Hertie School Hinweise auf die ursprüngliche jüdische Besitzerfamilie zu finden seien.
Aufstieg der Volkswarenhäuser
Die Geschichte des Konzerns liest sich wie ein Krimi über unternehmerischen Erfolg, die Zeit der prunkvollen Warenhäuser und das Unrecht, das die Nationalsozialisten ausgeübt haben. Der folgende historische Abriss ist, wo nicht anders angegeben, der Website der Hertie-Stiftung entnommen.
Den Grundstein für den späteren Hertie-Konzern legte Oscar Tietz, der mit 13 Jahren eine Lehre in dem Gemischtwarengeschäft seines Onkels Hermann Tietz in Prenzlau antrat. Zehn Jahre später, 1882, eröffnet er in Gera sein eigenes „Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiss- und Wollwaren-Geschäft“. Das Kapital dafür erhält er von seinem Onkel, dem zu Ehren er das Geschäft „Hermann Tietz“ nennt. Aus den Anfangsbuchstaben setzt sich später, lange nach dem Tod des Onkels, der Name von Konzern und Stiftung zusammen: Hertie.
Oscar Tietz’ Geschäft wird zum Erfolgsmodell, auch weil es in vielen Belangen seiner Zeit voraus ist: Die Ware ist Kollektion und wird nicht nach Wunsch in Auftrag gegeben, die Kunden müssen sofort bar zahlen und können nicht anschreiben lassen; die Preise sind nicht verhandelbar. Außerdem kauft Tietz direkt bei Fabrikanten und umgeht den Großhandel. Dadurch ist das „Warenhaus Hermann Tietz“ konkurrenzlos günstig und bietet auch einkommensschwächeren Kunden die Dinge des täglichen Bedarfs, von Möbeln über Spielzeug bis hin zu Lebensmitteln.
Das Unternehmen wächst rapide: Vor der Jahrhundertwende gibt es 15 Filialen, etwa in Weimar, München, Straßburg und Stuttgart. In Berlin öffnet 1900 die Prestigefiliale in der Leipziger Straße, in Hamburg folgt 1912 das „Warenhaus Hermann Tietz“ am Jungfernstieg, seit 1935 als Alsterhaus bekannt. Der Wachstumskurs bricht auch mit Wirtschaftskrisen und dem Ersten Weltkrieg nicht ab: 1917 steht die Firma kurz vor einem Umsatz von 100 Millionen Reichsmark.
1923 kommt es zum Generationenwechsel: Oscar Tietz stirbt, seine Söhne Georg und Martin sowie deren Schwager Hugo Zwillenberg leiten nun das Unternehmen. Die drei neuen Geschäftsführer setzen den Expansionskurs fort, zu einem erheblichen Teil finanziert durch Fremdmittel. 1926, kurz vor der Weltwirtschaftskrise, übernimmt der Konzern weitere Kaufhäuser des Berliner Unternehmens A. Jandorf & Co., darunter das Kaufhaus des Westens (KaDeWe).
Unter den Mitarbeitern, die übernommen werden, ist auch der 38-jährige Georg Karg, dem später das Hertie-Imperium zufallen wird. Die Mitarbeiterzahl zu dieser Zeit wird unterschiedlich beziffert. Je nach Quelle werden 13.000 bis 18.000 Angestellte genannt.
Mit der Weltwirtschaftskrise brechen ab 1929 auch den Warenhäusern die Umsätze weg. Die Bilanzen des Unternehmens weisen drei Jahre in Folge Verluste aus. Anfang 1933 ist das Unternehmen mit 85 Millionen Reichsmark verschuldet.
Der hierauf folgende Zeitabschnitt soll in der 2020 durch die Hertie-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie genau untersucht werden: Welche Rolle kam Georg Karg bei der Enteignung der Familie Tietz zu? Welchen Einfluss übten die Banken, welchen Einfluss die nationalsozialistische Politik aus?
NS-Politik contra Kaufhäuser

Hauptportal eines Berliner Kaufhauses mit Tietz-Globus. Foto: Autor unbekannt/wikimedia
Die Nationalsozialisten würden am liebsten die großen Kaufhäuser zerschlagen, da sie den kleineren Einzelhändlern Konkurrenz böten. Reichswirtschaftsminister Kurt Schmitt argumentiert jedoch für einen Erhalt der Kaufhäuser, die als große Auftrag- und Arbeitgeber eine wichtige Rolle spielen.
Zeitgleich treiben die Nationalsozialisten ihre Bemühungen voran, möglichst unauffällig jüdische Besitzer zu enteignen. Die als „Arisierung“ bezeichneten Zwangsverkäufe werden oft durch Repressalien bewirkt, zugleich aber als ordnungsgemäßer Verkauf inszeniert; häufig wird den Besitzern ein viel zu geringer Verkaufspreis gezahlt.
Da die Wirtschaft weiterhin nicht anzieht, braucht der Konzern weitere Kredite. Ein Konsortium aus Gläubigerbanken, darunter Dresdner Bank, Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft sowie das Bankhaus Hardy, bilden die „Hertie Kaufhaus Beteiligungs GmbH“, die einen Rettungskredit in Höhe von elf Millionen Reichsmark gewährt. Sie verlangen eine 60-prozentige Beteiligung an dem Konzern und damit faktisch die Entscheidungsrechte. Außerdem wird Hugo Zwillenberg im Juli 1933 aus der Geschäftsführung gedrängt, wenig später muss er seine Unternehmensanteile verkaufen. In dem Namen des Bankenkonsortiums wird der Name Hertie erstmals verwendet. Es ist auch der Zeitpunkt, zu dem der spätere Konzernchef Georg Karg, bestellt durch die Banken, erstmals die Leitung der Warenhäuser übernimmt.
Im Namen des Bankenkonsortiums verhandelt Karg mit der Familie Tietz. Auch die Brüder Tietz sollen durch politischen Druck dazu gebracht werden, ihre verbleibenden Unternehmensanteile abzugeben. Letztlich kommt es zu einem Verkauf, da das Bankenkonsortium droht, andernfalls die gewährten Kredite aufzukündigen. Wie genau die Rolle Kargs in diesem Vorgehen aussieht, ist nicht bekannt. Das soll die nun in Auftrag gegebene Untersuchung klären. Der Wikipedia-Beitrag über den Hertie-Konzern beziffert die an die Familie Tietz gezahlte Summe auf gerade einmal 1,5 Millionen Reichsmark. Die Familie Tietz wandert in die USA aus. Georg Karg versucht, das Geschäft zu sanieren, und entlässt ein Drittel der Belegschaft. Im Zuge dieser Entlassungen kündigt Karg auch allen jüdischen Mitarbeitern.
Karg kauft Hertie
Wenige Jahre später bietet Georg Karg den Banken an, den verschuldeten Konzern zu kaufen. Diese veräußern ihm zunächst 50 Prozent der Unternehmensanteile für – je nach Quelle – zweieinhalb bis vier Millionen Reichsmark, vier Jahre später die restlichen Anteile. Den Ankauf finanziere Karg je zur Hälfte aus eigenen Mitteln und aus Krediten, steht auf der Website der Hertie-Stiftung.

Georg Karg mit seinem Sohn Hans-Georg im Jahr 1967. Foto: Karg´sche Familienstiftung
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind 83 Prozent der Warenhäuser verloren – sie liegen in der sowjetischen Zone. Übrig bleiben sechs Häuser, jeweils unterschiedlich zerstört, darunter das weitgehend ausgebrannte KaDeWe in Berlin, das Hamburger „Alsterhaus“ sowie Häuser in München, Stuttgart und Karlsruhe. Die drei letztgenannten habe Karg 1949 an die Familie Tietz zurückgegeben, die Anspruch auf Wiedergutmachung gestellt habe – und sofort wieder von der Familie angemietet.
In „behelfsmäßigen Büros“ und den „nicht zerstörten Erdgeschossen“ der sechs Kaufhäuser habe Karg begonnen, den Warenhauskonzern wiederaufzubauen. Das Weitere ist eine Nachkriegswachstumsgeschichte: Von 1946 bis zu seinem Tod 1972 eröffnet Karg, den die Hertie-Website als fleißigen, „begnadeten Kaufmann“ beschreibt, 42 neue Warenhäuser. Auch habe Karg Ende der 1950er Jahre die drei Häuser, die wieder der Familie Tietz gehörten, zum damals marktüblichen Preis zurückerworben.
1974 errichten Kargs Erben, Hans-Georg Karg und seine Schwester Brigitte Gräfin von Norman, die „Gemeinnützige Hertie-Stiftung zur Förderung von Wissenschaft, Erziehung, Volks- und Berufsbildung“, in die 97,5 Prozent der Geschäftsanteile der Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH eingebracht werden. Doch die Geschäfte laufen schlechter, mit bekannten Folgen: 1993 verkauft die Gemeinnützige Hertie-Stiftung die Kaufhäuser an Karstadt.
Lücken, Fragen, Ungeklärtes
Diese Geschichte, im Zeitraffer durch über hundert Jahre, lässt zentrale Fragen unbeantwortet: Welche Rolle spielte Karg bei dem sogenannten Arisierungsverfahren? War er rein verwaltend tätig, von dem Bankenkonsortium bestellt, und die Firma fiel ihm mehr oder minder zu? Andere Fragen werfen der Kauf des Konzerns durch Karg und das später erfolgte Restitutionsverfahren auf: Wie konnte Georg Karg die vielen Millionen Mark aufbringen, um den Konzern zu erwerben? Wurde das Restitutionsverfahren korrekt durchgeführt? „Die juristischen Fragen sind im Restitutionsverfahren nach dem Krieg endgültig geklärt worden“, sagt Hammersen.
Der Historiker Johannes Bähr von der Goethe-Universität Frankfurt ist einer der beiden Wissenschaftler, die für die durch die Hertie-Stiftung beauftragte „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“ (GUG) die Untersuchung vornehmen. Er gibt in einem Interview mit dem Deutschlandfunk zu bedenken, dass die Geschädigten meist „nicht allzu viel Spielraum hatten. Das waren in der Regel ältere Menschen, die sich im Grunde keinen langen Prozess leisten konnten, und diese Restitutionsprozesse in der Bundesrepublik – man weiß ja auch, wie die Justiz damals zusammengesetzt war –, die zogen sich dann oft über zehn oder zwölf Jahre hin.“

John-Philip Hammersen ist Geschäftsführer der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Foto: Gemeinnützige Hertie-Stiftung
Zu den möglichen Folgen der Untersuchung für Hertie sagt Hammersen: „Es fällt mir schwer, eine Fantasie dafür zu entwickeln, wenn rauskäme, dass Georg Karg Schuld auf sich geladen hat.“ Da die Stiftung gemeinnützig ist und ohnehin ein wesentlicher Teil ihrer Förderung in den Bereich Demokratie stärken fließe, rechne er mit keinen größeren Einschnitten. Auch aus dem Umfeld der Nachfahren der Familie Tietz heißt es, die Familie habe mit diesem Kapitel ihrer Familiengeschichte endgültig abgeschlossen.
Die Hertie-Stiftung will mit der Untersuchung die Frage nach der Konzernvergangenheit und der Entstehung des Stiftungsvermögens ein für alle Mal klären: „Wir haben größtes Interesse daran, dass das Ergebnis unangreifbar ist“, sagt Hammersen. Deswegen habe man die GUG beauftragt, die wiederum renommierte Wissenschaftler ausgewählt habe. Zudem würden alle Veröffentlichungsrechte an die GUG abgetreten, so dass die Hertie-Stiftung die Studie finanziere, aber keinen Einfluss auf die Ergebnisse ausüben könne. Dennoch muss sich die Stiftung die Frage gefallen lassen, warum es erst heute zu einer Untersuchung kommt – zumal sie sich mit Demokratieförderung befasst.
„Ein Mosaik mit Fehlstellen“
Und es gibt viele weitere kleinere Unstimmigkeiten. Warum bedarf es des Drucks der Studierenden, damit die Website auf die Geschichte des Konzerns hinweist? Warum erwähnt der Text auf der Website nicht, dass es das Foto einer Betriebsfeier gibt, auf der Hertie-Angestellte den Hitlergruß zeigen (siehe Titelbild)? Auch der Begriff Restitutionsverfahren wird in dem Text nicht erwähnt, dabei gab es ein solches und es soll Gegenstand der in Auftrag gegebenen Studie sein. Zudem gab es eine außergerichtliche Einigung, die lediglich in einem weiteren Text auf der Website, ohne nähere Angaben, erwähnt wird.
Weitere Verwirrung stiftet eine durch die Hertie-Stiftung in Auftrag gegebene Voruntersuchung aus dem Jahr 2000. Hammersen erklärt dazu: „Die Untersuchung 2000 war keine Studie, sondern es gab den Auftrag an die GUG herauszufinden, ob es genügend Quellen gibt, um ein Bild der Unternehmerpersönlichkeit Georg Karg zu zeichnen.“ Diese habe ergeben, dass für ein umfassendes Unternehmerporträt die Quellenlage nicht ausreiche. Dass der inhaltliche Schwerpunkt darauf lag, Georg Karg zu porträtieren, nicht aber die Herkunft des Firmenvermögens zu klären, mag irritieren. Die Aussage, dass die Quellenlage zu dünn für eine wirkliche Untersuchung sei, prägt aber lange Zeit den Umgang der Stiftung mit der Vergangenheit. So steht auf der Website: „Viele Unterlagen und Akten sind in den Wirren des Zweiten Weltkrieges zerstört worden oder verloren gegangen. Zeitzeugen leben nicht mehr.“
Eine weitere Untersuchung zur Quellenlage gibt 2008 die gemeinnützige Karg-Stiftung in Auftrag. Diese wurde durch den kinderlosen Sohn Georg Kargs, Hans-Georg, und dessen Ehefrau errichtet, das Stiftungsvermögen liegt bei 134 Millionen Euro. Die Untersuchung kommt zu einem ähnlichen Befund und erwarte in Bezug auf Georg Karg „höchstens ein Mosaik mit vielen Fehlstellen“. Diese Recherche – durchgeführt durch einen Juristen – wird später von der Karg-Stiftung selbst zurückgewiesen und als „wissenschaftlich nicht ausreichend“ befunden, wie Hammersen erklärt. Beide Untersuchungen wurden nicht veröffentlicht, was auch die Her.Tietz-Initiative befremdet. Schließlich wirkt dies so, als habe man etwas herausgefunden, das geheim gehalten werden solle. Die Untersuchungen seien aber schlichtweg nicht zur Veröffentlichung gedacht gewesen, wirft Hammersen ein. Er hege auch weiterhin Bedenken gegen eine Veröffentlichung: Hobbyhistoriker könnten sich einzelne Quellen herauspicken und undifferenziert auslegen. Außerdem habe die Hertie-Stiftung der GUG freigestellt, ob sie die Untersuchung veröffentlichen will.
Späte Einsicht
Im Sommer 2019 schreiben der Hertie-Vorstandsvorsitzende Frank-Jürgen Weise und sein Vize Bernd Knobloch noch eine ablehnende Antwort auf eine Petition der Her.Tietz-Initiative, die damals seit fast einem Jahr eine historische Untersuchung fordert. Die Vorstände schreiben dort, sie kämen „zu einer anderen Bewertung“ als die Initiative, zitiert die SZ. Wenige Monate später, im November 2019, ändert der Vorstand seine Meinung. Den Sinneswandel erklärt Hammersen durch drei Gründe: Erstens habe das Thema mehr mediale Aufmerksamkeit bekommen; so seien verschiedene andere Unternehmerfamilien mit ihrer Vergangenheit konfrontiert worden. Zweitens sei die Quellenlage nicht mehr so dünn wie zunächst angenommen – weitere Quellen, auch durch die voranschreitende Digitalisierung, hätten zu einer neuen Quellenlage geführt. Drittens hätte „das durchaus berechtigte Anliegen der Studierenden der Hertie School“ den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben.
Einige Quellen sind bisher noch nicht berücksichtigt: In Potsdam wird derzeit der Nachlass von Hugo Zwillenberg ausgewertet, berichtet Historiker Bähr im Deutschlandfunk. Auch erhofft er sich von den Bankakten Aufschluss über den Aufkauf durch Karg. Zu den noch lebenden Mitgliedern der Familie Tietz bestehe kein geregelter Kontakt, sagt Hammersen – dabei könnten auch im Nachlass der Familie weitere Informationen zu holen sein. Und über eine weitere Quelle und erneute Vorrecherche im Jahr 2020 sagt Hammersen: „Die aktuelle Vorrecherche hat ergeben, dass es eine relativ umfassende Akte zum Restitutionsverfahren nach dem Krieg gibt. Die erste Vorrecherche hat diese Akte noch gar nicht entdeckt, die Recherche aus dem Jahr 2008 hat vier Seiten einer Akte aus dem Restitutionsverfahren aufgetan, und was jetzt gefunden worden ist, ist eine fast vollständige Akte mit etwa 600 Seiten.“ Dass diese Akte erst jetzt auftaucht, gehört zu den weiteren Ungereimtheiten dieser Geschichte.
Bleibt noch die Frage, wie Georg Kargs Erben zur Untersuchung stehen. Dessen Enkelin, Sabine Gräfin von Norman, ist eines von fünf Mitgliedern des Vorstandes der Hertie-Stiftung. Die Zeit zitiert „Stimmen aus dem Stiftungskreis“, die sie „als Gegnerin der Sache“ bezeichnen. Sie wolle den Namen ihrer Familie schützen. Hammersen sagt hierzu, dass der Vorstand einstimmig, also mit der Stimme Sabine Gräfin von Normans, in der Vorstandssitzung vom März 2020 für die Untersuchung gestimmt habe. „Sie hat ein Verständnis dafür entwickelt, dass es notwendig ist.“
Die Karg-Erben hätten sich lange damit schwergetan, ihren Großvater in die Nähe der Enteignungen gebracht zu sehen. Hammersen dazu: „Die Enkel haben mit dem Begriff der Arisierung gehadert. Das klingt so, als hätte ihr Großvater die Firma direkt übernommen, dabei hat zunächst das Bankenkonsortium die Mehrheit an dem Unternehmen erlangt.“ Was genau geschah, soll die Untersuchung jetzt klären.