Die Pläne sind ambitioniert: Mit dem European Green Deal verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, die Emissionen von Treibhausgasen in der Europäischen Union bis 2050 auf null zu reduzieren. Erreicht die EU dieses Ziel, so wäre Europa der erste klimaneutrale Kontinent.
Während die EU selbst jährlich dreistellige Milliardenbeträge in die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft investieren will, zeichnet sich bereits ab, dass auch das nicht reichen wird. Deswegen sollen zusätzlich zu den öffentlichen Geldern private Investitionen in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten gelenkt werden.
Taxonomie: Ein Katalog an nachhaltigen Aktivitäten
Ein wichtiger Baustein bei diesem Vorhaben ist die sogenannte Taxonomie. Eine Taxonomie, abgeleitet aus den altgriechischen Begriffen „Taxis“ für Ordnung und „Nomos“ für Gesetz, ist ein Klassifikationsschema, durch das Objekte nach bestimmten Kriterien klassifiziert werden können. In der Biologie zum Beispiel werden Gattungen, Ordnungen und Arten mittels Taxonomie in ein Verhältnis zueinander gesetzt. Auch in der Sprachwissenschaft und der Bilanzierung kommen Taxonomien zum Einsatz.
Die EU-Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem zur Definition nachhaltiger Geschäftsaktivitäten. Durch sie will die EU einen Katalog an Aktivitäten bestimmen, die konsensuell als nachhaltig gelten sollen. Oder allgemeiner formuliert soll die Taxonomie für jede Wirtschaftsaktivität eindeutig bestimmen, ob diese nachhaltig ist: ja oder nein.
Bisher nicht vergleichbar
Dadurch, dass die Taxonomie erst die Definition dafür liefert, was als nachhaltig gelten und somit politisch unter dieser Maßgabe gefördert werden kann, kommt dieser eine fundamentale Rolle im Hinblick auf das Ziel zu, die CO2-Emissionen bis 2050 auf netto null zu reduzieren. Auch beschert sie dem Status quo ein rasches Ende: Bisher konnte jedes Unternehmen selbst definieren, welche Aktivitäten es als nachhaltig ausweist, welche Kennzahlen es hierfür erheben und an welchem Berichtsstandard es sich orientieren will.
Auch jeder Finanzmarktakteur konnte seine Produkte als nachhaltig bezeichnen – nach eigener Definition. Dies öffnete aber Tür und Tor für Greenwashing. Darunter fasst man das Werben mit nachhaltigen Strategien und Produkten, die sich bei genauerem Hinsehen als doch nicht so nachhaltig entpuppen, etwa weil sie nur einen geringen Teil der angebotenen Produkte ausmachen oder weil selektiv nachhaltige Eigenschaften ausgewählt und andere verschwiegen werden.
Bisher war somit von Stiftungen und anderen Investoren, die nachhaltig investieren wollen, verlangt, sich mit den Fragen zu befassen: Was versteht dieser Anbieter unter Nachhaltigkeit? Wie setzt er es in dem Produkt um? Und: Entspricht das unserer Vorstellung von Nachhaltigkeit, unseren Anlagerichtlinien? Außerdem war bisher keine Vergleichbarkeit gegeben: Der eine Anbieter wirbt mit dem Ausschluss von Investitionen in Atomenergie und Waffen, der andere mit einem Best-in-Class-Ansatz, ein weiterer Fonds investiert in Solarprojekte – vergleichbar sind diese Ansätze nur schwerlich.
Bisher sechs Umweltziele
Die EU hat sechs Umweltziele bestimmt. Diese sind Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung und Schutz der Ökosysteme. Für die ersten beiden Ziele hat eine Expertengruppe bereits konkret ausgearbeitet, welche Aktivitäten als taxonomiekonform gelten dürfen. Herausgekommen ist ein gewaltiger Katalog zu den Sektoren mit den höchsten CO2- Emissionen.
Dreistufiges Vorgehen
Unmittelbar betroffen von diesen neuen Definitionen sind in erster Linie Unternehmen und Finanzmarktakteure. Unternehmen sind aufgefordert, mit dem nun dargelegten Instrumentarium ihre ökologisch nachhaltigen Aktivitäten zu bestimmen und diese in Finanzmarktkennzahlen zu übersetzen. Verpflichtend ist dies nur für große Unternehmen, die bereits jetzt gesetzlich verpflichtet sind, eine sogenannte nichtfinanzielle Erklärung abzugeben, also ökologische und soziale Kennzahlen zu veröffentlichen.
Diese Unternehmen müssen nun alle Produkte oder Dienstleistungen in ihrem Portfolio in einem dreistufigen Prozess daraufhin untersuchen, inwiefern sie zur Erreichung mindestens eines der Ziele beitragen. Ein Energiekonzern würde sich beispielsweise anschauen, inwiefern das Portfolio dem Ziel Klimaschutz dient. Dafür würde es die einzelnen Kraftwerkarten im eigenen Portfolio durchleuchten. Die eigenen Kohlekraftwerke würden aufgrund zu hoher CO2-Emissionen nicht als taxonomiekonform gelten. Windparks im Portfolio hingegen können als taxonomiekonform gelten, wenn gewisse Schwellenwerte eingehalten werden, zum Beispiel die CO2-Emissionen im gesamten Lebenszyklus in Gramm pro produzierter Kilowattstunde einen gewissen Schwellenwert nicht überschreiten. Hierfür hat die EU eine umfassende Beschreibung verschiedenster Dienstleistungen und Produkte besonders CO2-intensiver Branchen entworfen, inklusive der jeweiligen Messkriterien.
Mit der Feststellung, dass eine Aktivität einem der Umweltziele dient, ist es aber nicht getan. In einem zweiten Schritt muss geprüft werden, ob die Aktivität, die einem Ziel dienlich ist, nicht zugleich die Erreichung eines anderen Ziels behindert. Für eine Windparkanlage muss also untersucht werden, ob etwa Flugrouten von Vögeln behindert werden und so die Erreichung von Ziel Nummer sechs, der Schutz der Ökosysteme, behindert wird. Oder ob die Batterie eines E-Autos recyclebar ist und somit nicht dem Ziel einer Kreislaufwirtschaft widerspricht. Dieser zweite Prüfschritt wird als „Do no significant harm“-Prinzip bezeichnet (DNSH): „Verursache keinen erheblichen Schaden.“
In einem dritten Schritt müssen die Unternehmen sicherstellen, dass sie in den jeweiligen Produktlinien gewisse Sozialstandards, wie die UN-Leitsätze für Unternehmen und Menschenrechte, einhalten.
Sind diese Prüfschritte für ein Produkt vollzogen, so darf dieser Teil des Portfolios als taxonomiekonform gelten. Diese Aktivitäten sind noch zu quantifizieren: Unternehmen sollen den Umsatz, die getätigten Investitionen und die Betriebskosten hierfür offenlegen.
Ein Unternehmen kann so Schritt für Schritt das eigene Portfolio auf Taxonomiekonformität untersuchen und schlussendlich zu einer Kennzahl kommen, wie zum Beispiel: „Die Umsätze sind zu 25 Prozent taxonomiekonform und somit ökologisch nachhaltig erwirtschaftet worden.“ Perspektivisch können Unternehmen auch andere Kennzahlen wie etwa Gewinne anhand ihrer ökologischen Nachhaltigkeit ausweisen. Die Reduktion auf wenige Kennzahlen ermöglicht nicht nur einen Vergleich zwischen verschiedenen Unternehmen eines Sektors, also etwa innerhalb der Energiebranche, sondern auch sektorübergreifende Vergleiche.
Für betroffene Unternehmen drängt die Zeit. Geplant ist, dass sie diese Kennzahlen 2022 für das Jahr 2021 veröffentlichen sollen. Das heißt aber auch, dass sie die Daten dafür bereits seit Beginn des Jahres erheben müssten. Und um entsprechend berichten zu können, sind jede Menge Daten vonnöten – Daten, die zu einem beträchtlichen Anteil bisher nicht erhoben werden.
Die Finanzperspektive
Für Finanzmarktakteure bietet die Reduktion auf eine Kennzahl die Möglichkeit, diese für einzelne Produkte, wie Fonds, auszuweisen. Dazu multipliziert dieser den prozentualen Anteil etwa der Umsätze, die in diesem Unternehmen taxonomiekonform erwirtschaftet werden, mit der Gewichtung der Firma im Portfolio. Addiert man diese ökologisch nachhaltigen Anteile, so ergibt sich die Kennzahl, zu wie viel Prozent der Fonds ökologisch nachhaltig gemäß EU-Definition investiert ist.
Die Vorteile für Stiftungen liegen damit auf der Hand. Die Taxonomie schafft mittelfristig eine weitere Standardisierung im Bereich der nachhaltigen Kapitalanlage. Das wird Stiftungen erleichtern, sich auf gemeinsame Kriterien für die eigene Vermögensverwaltung zu einigen und Stiftern die Möglichkeit geben, ihre Präferenzen in Anlagerichtlinien anhand des Standards zu spezifizieren.
Insgesamt schafft die Taxonomie auch eine bessere Vergleichbarkeit von Vermögensverwaltern und stiftungsgeeigneten Anlageprodukten, wie Fonds. Und auch auf Unternehmensebene – nutzbar am Anleihenmarkt und der Auswahl von Aktien – wird die Verfügbarkeit von nachhaltigkeitsbezogenen Kennzahlen steigen. Last, but not least erfolgt durch die Taxonomie eine weitere Quantifizierung, da nicht nur einzelne Kennzahlen, wie CO2-Emissionen, ausgewiesen werden müssen, sondern auch die damit verbundenen Umsätze, Betriebskosten und Investitionen.
Kommt eine „braune“ Kategorie?
In den kommenden Jahren wird es weitere Schritte auf EU-Ebene geben, um die Transformation zu einer CO2-neutralen Gesellschaft zu beschleunigen. Geplant ist unter anderem ein EU-Öko-Label für Fonds. Zudem sollen noch in diesem Jahr weitere Ziele, die über die genannten sechs ökologischen Ziele hinausgehen, definiert werden.
Mittelfristig gibt es zudem die Bestrebung, nicht nur grüne Aktivitäten zu klassifizieren, sondern auch braune oder präziser: nichtnachhaltige Aktivitäten zu kennzeichnen. Dabei geht es weniger darum, Unternehmen oder Geschäftsmodelle an den Pranger zu stellen, als darum, die mit den Aktivitäten verknüpften Risiken aufzuzeigen. Denn soziale und ökologische Unternehmensrisiken stellen auch Investoren vor nicht unerhebliche Probleme.