Die Amadeu-Antonio-Stiftung erlebt einen Umbruch. Anetta Kahane hat das Amt der Vorstandsvorsitzenden abgegeben. Im Interview sprechen Tahera Ameer und Timo Reinfrank darüber, wie sie ihre Arbeit im künftig dreiköpfigen, gleichberechtigten Vorstand sehen – und warum sie Kritik aus allen Richtungen gewohnt sind.

Die Amadeu-Antonio-Stiftung wurde 1998 von Anetta Kahane gegründet und maßgeblich von ihr geprägt. Nun erweitern Sie den Vorstand von zwei auf drei Personen, die gleichberechtigt sind. Warum?
Tahera Ameer: Ich würde sagen, es liegt genau an dieser historischen Situation. Anetta Kahane hat der Stiftung ein Profil gegeben – für sie gibt es keinen Ersatz. Wir haben uns gefragt, wie wir weiterführen können, was sie gegründet hat. Das drückt sich in dieser neuen, paritätischen Besetzung aus. Wir drei haben unterschiedliche Kompetenzen, Aufgabenbereiche und ergänzen uns hervorragend.
Timo Reinfrank: Wir sind eine rasant wachsende Stiftung mit einem großen Aufgabenfeld. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der Vollzeitstellen auf rund 100 verdoppelt, das Jahresbudget beträgt inzwischen sieben Millionen Euro. Inhaltlich geht es nicht mehr nur um die Themen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus, sondern um das große Thema unserer Zeit schlechthin: Die Verteidigung der Demokratie. Darauf reagieren wir mit unserer Vielfältigkeit. Das Führungsteam bildet verschiedene Schwerpunkte ab: Tahera Ameer die inhaltliche und operative Programmarbeit vor allem im Bereich Rassismus und Antisemitismus, Lars Repp den Bereich Finanzen, Verwaltung und Organisationsentwicklung, ich Außenkontakte, Vernetzung und politische Lobbyarbeit. Wir verstehen uns als gleichberechtigtes Kollegialorgan und versuchen, eng aufeinander abgestimmt zu arbeiten. Eine Person kann das alleine nicht mehr bewältigen. Der neue Vorstand ist Teil eines Professionalisierungsschubs.

Als Reaktion auf rechtsextremistische Morde initiierte Anetta Kahane 1998 die Amadeu-Antonio-Stiftung. Foto: Peter van Heesen

Welche weiteren Schritte zur Professionalisierung haben Sie unternommen?
Ameer: Die Professionalisierung wirkt nach außen und innen. Es geht auch um Zwischenstrukturen, die man einführen muss, um Transparenz und Prozessverlässlichkeit sicherzustellen. Beides hatten wir schon früher, aber heute sind andere Fähigkeiten gefragt als in einem kleinen Kollegium. Wir wollen eine professionelle Organisation sein, die Planungssicherheit bietet und in der sich Mitarbeitende langfristig wohlfühlen können. Wir haben zum Beispiel eine neue Kollegin im Bereich Human Resources, die sich zielgerichtet um die Anliegen der Mitarbeitenden kümmert.
Reinfrank: Eine große Baustelle ist das Wissensmanagement. Wir haben viel Fachwissen, Prozesswissen und Kontakte in unseren Bereichen, möchten diese aber stärker aufeinander abstimmen und einheitlicher nach außen agieren. Viele Stiftungen verfügen über mehrere Bereiche, die nichts miteinander zu tun haben. Wir haben ein klares Mission Statement: dass sich die Perspektive der von Gewalt Betroffenen in allen Bereichen der Stiftung wiederfindet und dass wir unsere Themen verschränkt miteinander bearbeiten.

Sie haben Personal und Finanzierung angesprochen. Wie sind Sie aufgestellt?
Reinfrank: Spenden und Erträge der Stiftung machen circa ein Drittel unseres Budgets aus. Dazu kommt etwa ein Drittel aus Kooperationen mit anderen Stiftungen. Der größte Anteil stammt aus der Kooperation mit Bund und Ländern. Wir sehen es kritisch, dass dieser Anteil dominiert, möchten in den anderen Bereichen entsprechend wachsen, um so langfristig unabhängig von staatlichen Förderanteilen zu bleiben und mit der Hilfe unserer Spender unsere kritische Funktion ausüben zu können.
Ameer: Der kleinste Teil unserer Mitarbeitenden ist festangestellt. Das ist den Finanzierungslogiken in unserem Bereich geschuldet, vermutlich werden wir die Schwierigkeiten der Projektfinanzierung nie ganz loswerden – wir wollen aber nachhaltige Perspektiven schaffen. Etwa durch die Professionalisierung des Fundraisings und Möglichkeiten, jenseits von immer wieder befristeten Einzelprojekten zu finanzieren.

Frau Kahane sagt, sie wolle die Stiftung weiterhin begleiten. Was ist gemeint?
Ameer: Sie will uns weiterhin beratend zur Verfügung stehen. Zumindest noch im laufenden Jahr. Das ist auch deshalb wichtig, weil sie eine klare Sicht auf unsere Themen hat. Sie ist und bleibt weiterhin nicht nur ein gern gesehener Gast, sondern Teil der Stiftung, auch wenn sie aus dem operativen Geschäft ausscheidet. Reinfrank: Wir sind in der glücklichen Situation, dass wir die Zeit hatten, einen guten Übergang mit Anetta Kahane zu gestalten. Das ist nicht selbstverständlich.

Wie viel Vorbereitungszeit hatten Sie auf den Wechsel?
Ameer: Der Abschied von Anetta Kahane aus dem operativen Geschäft ist mit langem Vorlauf klar gewesen. Wir haben den Wechsel drei Jahre lang vorbereitet. Was nicht heißt, dass sie sich zur Ruhe setzen will. Ganz sicher nicht (lacht).

Sind inhaltliche Änderungen vorgesehen?
Reinfrank: Wir werden weiterhin alle Menschen unterstützen, die sich vor Ort mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus auseinandersetzen. Mit Blick auf das Thema Migrationsgesellschaft bedeutet das für uns auch, dass wir nicht nur auf die „weiße“ Mehrheitsgesellschaft schauen, sondern die Vielfalt der Einwanderungsgesellschaft mitgestalten. Die gewachsene Demokratiefeindlichkeit – die wir aktuell zum Beispiel bei Demonstrationen gegen die Corona- Maßnahmen beobachten – fordert uns ganz neu heraus. Gerade der digitale Raum und die Verteidigung gegen Desinformation und Verschwörungserzählungen wird noch ein größerer Schwerpunkt werden.
Ameer: Die Grundlagenarbeit der vergangenen Jahrzehnte wird uns weiter prägen: die Perspektive von Minderheiten als Maßstab zu nehmen und das in immer komplexeren Zusammenhängen. Das bedeutet auch neue Herausforderungen – etwa im Umgang mit Minderheiten innerhalb von Minderheiten. Türkischer Rechtsextremismus ist zum Beispiel auch Rechtsextremismus, den bekommen vor allem Kurdinnen und Dissidentinnen zu spüren, was die Mehrheitsgesellschaft aber oft nicht wahrnimmt. Das Bild des springerstiefeltragenden Neonazis als Inbegriff des Rechtsextremismus ist längst überholt.
Reinfrank: Ich glaube, dass wir in bestimmte demokratiefeindliche Milieus stärker hineinschauen müssen. Hass hat sich ausdifferenziert – auf Wissenschaft, Presse, Lokalpolitiker, Mediziner, auf Frauen. Wir müssen das Thema in der Breite sehen, was nicht heißt, dass wir unsere Kernthemen vernachlässigen.

Anetta Kahane schlägt viel Ablehnung, ja Hass entgegen. Haben Sie es in dieser Hinsicht künftig leichter?
Ameer: Hass und Anfeindung werden uns weiterhin begleiten, denn die Stiftung steht für die Werte von Anetta Kahane. Ich gehe davon aus, dass sich daran nicht viel ändern wird. Wir werden weiterhin eine Zielscheibe sein – und scheinen einiges richtig zu machen.
Reinfrank: Der Hass hatte sich zwar auf Anetta als Person fokussiert, aber er wird nicht verschwinden. Die Sicherheit aller Kolleginnen und Kollegen und auch weiter von Anetta Kahane beschäftigt uns im Alltag stark.

Wie erleben Sie die öffentliche Wahrnehmung der Amadeu-Antonio-Stiftung?
Reinfrank: Ich würde das recht positiv sehen. Wir haben eine breite politische Unterstützung – auch die Entwicklung während der Coronakrise hat aufgerüttelt. Auch als die AfD neu im Bundestag war, wurden wir mitunter angefeindet wegen unserer klaren Haltung zu dieser Partei. Nach den rechtsextremen Attentaten und der Einschätzung des Verfassungsgerichts zur AfD sehe ich uns mit einem breiten gesellschaftlichen Konsens ausgestattet in vielen Fragen.
Ameer: Viele Aspekte, die wir vertreten, sind Mainstream geworden. Bei anderen erleben wir mitunter Backlashs. Als wir auf den historischen Antisemitismus in der DDR aufmerksam machten, waren wir anfangs allein auf weiter Flur. Trotzdem haben wir angestoßen, dass darüber geredet wurde. Auch wenn wir nicht immer Konsens erwarten können, arbeiten wir so lange daran, bis wir einen Mainstream geschaffen haben
Reinfrank: Es kommt immer wieder auch zu pauschalisierenden Betrachtungsweisen. Es sind nicht nur die Rechten, die uns anfeinden. Das BDS-nahe Milieu will uns am liebsten auch verschwinden sehen, weil wir konsequent israelbezogenen Antisemitismus thematisieren.

Sie sitzen gewollt zwischen allen Stühlen?
Reinfrank:
Manchmal fühlt es sich so an (lacht).
Ameer: Unsere Positionen richten sich eben nicht an Ideologien aus. Wir kämpfen gegen Menschenfeindlichkeit jeder Art.

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