Auch Stiftungen klagen über Mangel an guten Leuten. Und trotzdem zieht so manche die Hälfte ihrer Möglichkeiten beim Besetzen von Führungspositionen gar nicht erst ernsthaft in Erwägung. Der Verein Fair Share of Women Leaders hat sich die Frauenquoten Deutschlands größter Stiftungen angesehen und ist mit dem Ergebnis nicht zufrieden.

Innen leben, was nach außen propagiert wird – das scheint bei manchen Stiftungen noch nicht so ganz zu funktionieren, wenn es darum geht, Positionen in Gremien und Vorständen auf Männer und Frauen gleich zu verteilen. Aber wieso? Helene Wolf, Gründerin von Fair Share of Women Leaders, möchte das nicht nur verstehen, sondern auch ändern. Es geht ihr dabei nicht nur darum, eine gerechtere Gesellschaft mitzugestalten. „Wir glauben auch, dass gemischte Teams bessere Resultate bringen – das ist im Wirtschaftssektor bereits erforschter Konsens. Von einer neu gedachten Organisationskultur profitierten idealerweise alle.“

Ihr Verein nimmt Personalstrukturen unter die Lupe. 2019 hat Fair Share zum ersten Mal die Anzahl an Frauen auf Führungsebene in deutschen Stiftungen und NGO untersucht. Bei international tätigen NGO ging es 2019 bereits in die zweite Runde. Der Fair Share Index bewertet die Organisationen im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit. Hierfür wird die Anzahl an Frauen im Personal, im Kontrollgremium und in der Leitungsebene miteinander in Relation gesetzt. Der Anspruch: Mindestens 50 Prozent Frauen auf Führungsebene. Oder – bei mehr als 50 Prozent Frauen in der Belegschaft – ein entsprechend höherer Anteil auch in der Führung.

Das sind auch die Forderungen der Selbstverpflichtung von Fair Share. Wer unterschreibt, verpflichtet sich freiwillig, bis 2030 in der eigenen Organisation Geschlechtergerechtigkeit nach den Kriterien von Fair Share herzustellen. Unterzeichnet haben bislang sieben NGO und eine Stiftung. „Die Bereitschaft, sich auf Führungsebene ernsthaft damit zu beschäftigen, war gefühlt klein“, sagt Wolf enttäuscht. Auch eine generelle Ablehnung, dass so eine Frage überhaupt gestellt würde, habe sie häufig erlebt, gefolgt von „teils unfreundlichen Absagen“.

Untersucht wurden die gemäß einer vom Bundesverband Deutscher Stiftungen erstellten Liste 30 größten Stiftungen Deutschlands sowie zwölf politische Stiftungen – insgesamt also 42. „Wir haben uns dazu entschieden, gerade diese Stiftungen zu befragen, weil sie die größte Stellschraube für Veränderung darstellen“, erklärt Wolf. Die durch die Untersuchung entstehende Transparenz soll zu mehr Bewusstsein und damit zu Einstellungsänderungen führen. „Wir brauchen Vorreiterinnen, die das Thema sehen, mittragen und andere mitüberzeugen“, sagt Wolf.

Dass das nötig ist, zeigen die Ergebnisse von Fair Share: Nur fünf der 42 untersuchten Stiftungen haben positiv abgeschnitten. Auf Platz eins gelandet ist die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung, in der Rechtsform ein eingetragener Verein: weibliche Doppelspitze, Frauen auf allen Ebenen in der Mehrheit. „Für die Organe und Gremien der Stiftung gilt eine Quotierung von mindestens 50 Prozent für Frauen auf allen Arbeitsebenen“, heißt es in der Satzung.

Wille zur Veränderung?

Vorständin Barbara Unmüßig ist der Meinung, dass in vielen Organisationen noch der Wille fehle, mehr Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Freiwillige Selbstverpflichtungen hält sie jedoch nur bedingt für geeignet. „Bei den Dax-Unternehmen ist das auch gescheitert.“ Die Feministin plädiert deshalb für Frauenquoten auch bei Stiftungen. Und für Bewusstseinsarbeit. „Das richtige Mindset“ sei notwendige Voraussetzung.

Beispielsweise müsste bei der Neubesetzung einer Stelle genauso vielen Frauen wie Männern überhaupt erst eine Chance eingeräumt werden, sich zu beweisen: „Wir finden auf allen Ebenen gutes weibliches Personal. Wir laden aber auch mindestens 50 Prozent Frauen zu den Bewerbungsgesprächen ein. Sonst funktioniert das nicht“, sagt Unmüßig. „Es benötigt ein aktives Gestalten von oben, und der Wille muss in der DNA der Organisation verankert werden.“

Die Führungskultur spielt also eine nicht unwesentliche Rolle. „Wo Frauen in der Führungsposition sind, wirkt sich das meist positiv auf die Personalentwicklung aus“, ist Unmüßig überzeugt. Eine zukunftsfähige, „frauenfreundliche“ Führungskultur berücksichtige zum Beispiel die Lebensverhältnisse jenseits der Organisation. In anderen Worten: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Anke Pätsch vom Bundesverband Deutscher Stiftungen setzt sich schon mehrere Jahre intensiv mit diesen Themen auseinander und ist dabei auf viele Widerstände gestoßen – „auch aus Ecken, aus denen man es nicht erwartet“. „Das Gendergerechtigkeitsthema ist im Stiftungssektor schwierig“, sagt sie.

Die Erkenntnis daraus: „Wir müssen den Rahmen größer ziehen.“ Nicht ohne Grund ist einer von Pätschs Titeln beim Bundesverband „Leiterin Internationales und Diversität“. „Mit Diversität beziehen wir uns nicht nur auf das Geschlecht, sondern auch auf Alter, Herkunft und Bildung. Das scheint in den Köpfen weniger Ängste zu erzeugen.“

Sichtbarkeit von Expertinnen

Angst von Männern davor, Machtpositionen nicht mehr so leicht für sich beanspruchen zu können, zum Beispiel. „Männer berufen Männer. So lief das bislang oft in Stiftungen“, so Pätsch. Die traditionellen Entscheidungsstrukturen, in denen häufig Männer das Sagen haben, sind in ihren Augen der wichtigste Grund für Geschlechterungleichheiten.
Ende März hat zwar Nina Smidt Natalie von Siemens als Vorstandsvorsitzende der Siemens-Stiftung abgelöst. Doch solche Beispiele sind noch rar. Und das, obwohl es viele kompetente Frauen gibt – gerade in einem Sektor, der auf operativer Ebene im Schnitt 70 Prozent Frauen beschäftigt. „Frauen wird immer noch weniger zugetraut“, so Pätsch. Ein weiteres Problem sei die bessere Sichtbarkeit von Männern, zum Beispiel auf den Panels von Fachveranstaltungen.

Der Anfang ist gemacht

Die Thematik ist vielschichtig. Und sicher kann eine einfache Untersuchung wie die von Fair Share die hohe Komplexität nicht in vollem Umfang einfangen und abbilden. Dennoch haben sie etwas erreicht: Der Stiftungssektor befasst sich intensiver mit dem Thema, man redet und schreibt darüber. Und das ist erst der Anfang: „Wir werden die Daten in den nächsten Jahren weiter erheben“, kündigt Wolf an. „Um zu zeigen: Das Thema verschwindet nicht.“

Führungspositionen

Diese Frauen haben leitende Funktionen (von links): Barbara Unmüßig ist Vorständin der Heinrich-Böll-Stiftung, Anke Pätsch ist Mitglied der Geschäftsleitung sowie Leiterin Internationales und Diversität beim Bundesverband Deutscher Stiftungen, Helene Wolf ist die Gründerin von Fair Share of Women Leaders. Foto: Bettina Keller/David Ausserhofer/kommaKLAR Winnie Mahrin

Info

Fair Share Monitor
Die Befragung:
Nach Angaben von Fair Share of Women Leaders wurde in drei Kommunikationsrunden mit Leitungsebene und Presseabteilung der größten sowie der politischen Stiftungen Deutschlands Kontakt aufgenommen. Gefragt wurde nach meist hauptamtlichen Mitarbeitenden auf Leitungsebene sowie meist ehrenamtlichen Mitarbeitenden in Aufsichtsgremien. Die Daten derjenigen Stiftungen, die keine eigenen Angaben machten, wurden im Internet recherchiert und im Anschluss zur Verifizierung an die Stiftungen geschickt. „18 von 42 Stiftungen haben Daten geliefert oder verifiziert“, berichtet Wolf. In einer weiteren Untersuchung, in der 41 NGOs unter die Lupe genommen wurden, waren es 61 Prozent. Die restlichen in der Untersuchung veröffentlichten Daten entsprechen den Rechercheergebnissen von Fair Share.
Die Ergebnisse: 93 Prozent der deutschen Nichtregierungsorganisationen werden noch immer von Männern dominiert, obwohl die Mitarbeiterschaft aus fast 70 Prozent Frauen besteht – das waren zwei der Kerninformationen, mit denen Fair Share of Women Leaders Anfang März an die Öffentlichkeit trat, um die Ergebnisse der Untersuchung bekannt zu machen. Drei von 41 untersuchten NGOs erfüllen die von Fair Share definierten Kriterien für einen fairen Frauenanteil, bei den 42 untersuchten deutschen Stiftungen sind es fünf. Sieben der NGOs haben die Selbstverpflichtung von Fair Share unterzeichnet, von den 42 untersuchten Stiftungen keine einzige.
Alle Ergebnisse sind auf der Website
www.fairsharewl.org veröffentlicht.
Die erste Stiftung: Im Nachgang zur Untersuchung hat sich die Heinz-Sielmann-Stiftung in eigenen Stücken an Fair Share of Women Leaders gewandt und die Selbstverpflichtung als erste Stiftung unterzeichnet. Ihre Daten werden gerade untersucht, dann wird auch sie offiziell in den Monitor aufgenommen.

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